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„Debatte ist Bullshit“SPD-Chefin Bas verteidigt den Sozialstaat nach heftiger Kritik an Kanzler Merz

4 min
Bärbel Bas (SPD) kritisiert die Einspar-Pläne von Kanzler Merz vehement

Bärbel Bas (SPD) kritisiert die Einspar-Pläne von Kanzler Merz vehement

Bärbel Bas (SPD) verteidigt im Streit um Kürzungen des Sozialstaats das sozialdemokratische Profil der SPD –  und könnte damit punkten.

Selten zuvor hatte eine Ministerin des Koalitionspartners einen Bundeskanzler öffentlich dermaßen düpiert. Als „Bullshit“ bezeichnete SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas am Wochenende die Aussagen von Kanzler Friedrich Merz (CDU) zum überteuerten Sozialstaat. Am Mittwochnachmittag nun tagt der Koalitionsausschuss im Kanzleramt. Dort treffen Merz und Bas aufeinander und könnten ihren Zwist beilegen – oder erst so richtig anfachen. Streitlustig genug dafür wäre die SPD-Chefin gewiss.

Einen Tadel konnte sich der Kanzler vor dem Treffen der Koalitionsspitzen nicht verkneifen. „Das ist nicht der Sprachgebrauch, den ich für die Koalition insgesamt akzeptieren möchte“, sagte Merz am Dienstag in Sat1. Er habe mit Bas darüber gesprochen und ihr gesagt, „wir sollten das nicht auf diesem Niveau fortsetzen – tun wir auch nicht“.

Bas: Begriff „Sozialstaat“ soll kein Schimpfwort werden

Die Vorzeige-Sozialdemokratin aus dem Ruhrgebiet ist noch gar nicht so lange in ihrer Rolle: Bis Frühjahr war Bas Bundestagspräsidentin und führte das zweithöchste Staatsamt noch jovial und weitgehend unbestritten überparteilich aus. Manche Parlamentarier sehnen sich angesichts der umstritteneren Nachfolgerin Julia Klöckner von der CDU nach Bas zurück.

Vom Bundestagspräsidium strebte die 57-jährige Bas direkt ins schwarz-rote Kabinett: Als Arbeits- und Sozialministerin besetzt sie nicht nur ein Kern-Ressort der Sozialdemokratie, sondern hat auch den größten Einzeletat unter sich. Seit Ende Juni kommt noch das Amt der SPD-Vorsitzenden neben Co-Chef und Finanzminister Lars Klingbeil hinzu.

In ihrer Bewerbungsrede auf dem Parteitag sprach Bas Sätze, mit denen sie bei der SPD-Basis sicher punkten konnte: Bas kritisierte Versuche, den Begriff „Sozialstaat“ zu einem Schimpfwort zu machen. Das Reden von angeblich faulen Deutschen sei „schamloses Treten nach unten“.

Ein sozialdemokratischer Bilderbuch-Werdegang

Bas sprach auch über ihre eigene Vita als Arbeiterkind aus Duisburg, wo sie mit drei Brüdern und zwei Schwestern aufwuchs: Sie ging zur Hauptschule, spielte Fußball auf dem Bolzplatz. Ihren Wunschausbildungsplatz als technische Zeichnerin bekam sie nicht, machte stattdessen bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft eine Ausbildung zur Bürogehilfin. Bei einer Betriebskrankenkasse setzte sie noch eine Ausbildung und ein Studium obendrauf.

In Duisburg begann auch Bas' SPD-Parteikarriere: 1988 trat sie ein, war von 1994 bis 2002 im Stadtrat. 2009 holte Bas erstmals das Bundestags-Direktmandat in Duisburg. Von 2021 bis 2025 war sie Bundestagspräsidentin. Im Februar gewann sie ihr Direktmandat zum fünften Mal.

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) gibt sich streitlustig bei der Verteidigung des Sozialstaates

Bärbel Bas (SPD) gibt sich streitlustig bei der Verteidigung des Sozialstaates

Ein solcher sozialdemokratischer Bilderbuch-Werdegang verleiht Bas Glaubwürdigkeit, etwa im derzeitigen Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Seit der Landtagswahl 2022 ist die SPD in ihrer vielbeschworenen „Herzkammer“ in Umfragen um rund ein Drittel geschrumpft, die AfD ist stark gewachsen – besonders in Bas' Heimat, dem Ruhrgebiet.

Der bisher größte offene Streit in der Koalition

Hier, auf dem Landeskongress der Jusos in Gelsenkirchen, sprach Bas nun ihren bisher vielleicht berühmtesten Satz. Kanzler Merz hatte Bas mit einer wiederholten Äußerung auf die Zinne gebracht, der Sozialstaat sei mit der derzeitigen Wirtschaftsleistung nicht mehr finanzierbar und müsse verschlankt werden.

Die Debatte „ist – und da entschuldige ich mich jetzt schon für den Ausdruck – Bullshit“, erwiderte Bas; ein Frontalangriff auf Kanzler Merz und der bisher größte offene Disput in der Koalition vor den wichtigen Sozialstaatsreformen des Herbstes.

Dabei eckte Bas schon mehrfach beim Koalitionspartner an. Sie findet, dass auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rente einzahlen sollten und dass die Politik den Mindestlohn festlegen können sollte.

Bas als Hoffnungsträgerin der SPD

Bei der Union sorgt die Parteilinke mit solchen Thesen für Kopfschütteln, in den eigenen Reihen hingegen für Applaus. So ist Bas es, die in der Koalition für das sozialdemokratische Profil steht – und sich so zu einer Hoffnungsträgerin der Partei aufschwingt.

Im Gegensatz zum eher konservativen Klingbeil gilt Bas als weitgehend unbeteiligt an der Ampel-Politik. Bas könnte das auch in Sachen SPD-Kanzlerkandidatur 2029 Chancen einräumen. Zwei Jahre zuvor wird noch in NRW ein neuer Landtag gewählt – und auch hier müsste irgendjemand die SPD aus dem Umfragetief holen.

Dass sie nicht immer den einfachsten Weg wählt, machte Bas in der Vergangenheit immer wieder klar. So sagte sie nach ihrer Wahl zur Parteichefin, der Job werde sicher nicht leicht. „Aber ich sag immer: Wenn’s leicht wär, könnten es auch andere machen.“ (dpa)