Nach Attacken auf Raffinerien gibt es Schlangen vor russischen Tankstellen. In Moskaus Telegram-Kanälen herrscht Unruhe – und Warnungen werden laut.
„Selenskyj hat Trümpfe auf der Hand“Wut und Warnungen vor Flamingo – Ukraine stürzt Russland in Benzinkrise

Nach einem ukrainischen Drohnenangriff ist an einer russischen Ölraffinerie in Samara Anfang August ein Feuerball zu sehen. (Archivbild)
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Nicht nur Ungarn und die Slowakei bekamen die Auswirkungen ukrainischer Gegenangriffe auf Ziele in Russland zuletzt zu spüren – in beiden Ländern versiegten nach einem Drohnenangriff auf Russlands Druschba-Pipeline die Öllieferungen. Auch in Russland selbst werden die Auswirkungen der ukrainischen Nadelstiche in diesen Tagen für die Bevölkerung unübersehbar.
„Die Ukraine verstärkt ihre Angriffe auf die russische Energieversorgung – und es funktioniert“, analysierte der US-Sender CNN nach mehreren erfolgreichen Angriffen auf russische Ölraffinerien, Pumpstationen und Treibstoffzüge. Primäres Ziel der ukrainischen Streitkräfte dürfte dabei sein, die russische Kriegsmaschinerie zu schwächen. Dass der Krieg so auch für die Russen spürbar wird, ist ein gerne gesehener Nebeneffekt der Attacken.
Ukraine attackiert im August zehn russische Energieanlagen
Nach der Auswertung von CNN haben ukrainische Drohnen allein im August mindestens zehn wichtige russische Energieanlagen angegriffen – mit Erfolg. Die Benzinpreise erreichen in Russland derzeit Rekordhöhen, vor Tankstellen im Land bilden sich lange Schlangen. Im Sommer, so berichtet der US-Sender, sei die Nachfrage nach Benzin bei russischen Autofahrern und Landwirten stets am höchsten. Doch nun ist der Treibstoff plötzlich knapp – und die Ukraine weist in den sozialen Netzwerken ausführlich daraufhin.
Die größte Raffinerie in Südrussland, eine Lukoil-Anlage in Wolgograd, wurde gleich zweimal von ukrainischen Drohnen getroffen. Auch in Saratow und Rostow gingen Raffinerien in Flammen auf. Mehrere russische Regionen berichten seitdem von Benzinknappheit, auch auf der von Russland illegal besetzten ukrainischen Halbinsel Krim wird das Benzin knapp, räumte die Besatzungsregierung ein.
Treibstoffknappheit in Russland: „Alle möglichen Maßnahmen“
Man ergreife „alle möglichen Maßnahmen, um die notwendigen Mengen an Treibstoff zu kaufen und die Preise zu stabilisieren“, versuchte Russlands Gouverneur Sergej Aksjonow zu beruhigen. Immer wieder kursieren in den letzten Tagen Aufnahmen von neuen Attacken und langen Schlangen vor russischen Tankstellen im Netz.
Auch die russischen Medien benennen die Benzinkrise, verschweigen die tatsächlichen Gründe dafür jedoch allermeist. So zitierte die Zeitung „Kommersant“ zuletzt einen Experten, der zunächst von einer „ungünstigen Prognose“ berichtete. Mindestens einen Monat müssten die Russen noch auf fallende Benzinpreise warten, erklärte Sergej Frolow und behauptete dann, der rapide Preisanstieg im August sei auf „Unfälle in Ölraffinerien“ zurückzuführen.
Unruhe in Russland: Ölraffinerien als Putins wunder Punkt?
Auch dass die Ukraine in dieser Woche die Druschba-Pipeline erfolgreich ins Visier nahm und kurz zuvor den neuen reichweitenstarken Marschflugkörper Flamingo vorstellt hat, sind für die russische Energieinfrastruktur keine guten Nachrichten.
Moskau überzieht die Ukraine unterdessen weiterhin nahezu täglich mit massiven Luftangriffen – und nimmt dabei oftmals zivile Ziele ins Visier. Während der Kreml versucht, seinen Krieg wie gehabt fortzusetzen und die tatsächlichen Gründe für die Benzinknappheit in der Heimat zu verschleiern, gibt es mittlerweile jedoch durchaus Unruhe unter den russischen Kriegsbloggern.
„Große Raffinerien liegen in Reichweite ukrainischer Drohnen“
„Die Karte der russischen Raffinerien offenbart ein zentrales strategisches Problem: Die wichtigsten Verarbeitungskapazitäten konzentrieren sich im europäischen Teil des Landes“, stellte etwa der Telegram-Kanal „Nezygar“ kürzlich nicht ohne Frustration fest. „Große Raffinerien – von Kirischi bis Wolgograd – liegen in Reichweite ukrainischer Drohnen“, schrieben die Blogger – und verwiesen auf den neuen ukrainischen Marschflugkörper.
„Der Flamingo kann, sofern seine Spezifikationen bestätigt werden, Russlands größte Raffinerie in Omsk erreichen“, erklärte der Telegram-Kanal seinen Lesern. Der Schutz aller Raffinieren sei „praktisch unmöglich“, hieß es weiter angesichts der neuen Waffe, die nach ukrainischen Angaben bis zu 3.000 Kilometer weit fliegen kann.
Angriffe auf Ziele in Russland: „Selenskyj hat Trümpfe auf der Hand“
„Die russische Öl- und Gasindustrie, einst eine Quelle wirtschaftlicher Stärke, ist zu einer Schwachstelle geworden“, lautete schließlich das Fazit der russischen Blogger, das auch bei westlichen Experten nicht unbemerkt bliebt. „Schlussfolgerungen aus Russland: Selenskyj hat doch ein paar Karten, ja Trümpfe auf der Hand“, kommentierte etwa Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität Köln, die Missstimmungen in Russland.
Für den Kreml, der die Auswirkungen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine in der Heimat stets zu verschleiern versucht, steigt damit der Druck. Misstöne hatte es unter den russischen Kriegsbloggern schließlich bereits nach dem Treffen von Kremlchef Wladimir Putin mit US-Präsident Donald Trump gegeben.
Radikale Kriegsblogger fürchten Deal von Putin mit Trump
Während das Aufeinandertreffen in Alaska im Westen vor allem als Erfolg für Putin gewertet wurde, sah das insbesondere in den Reihen der Hardliner in Russland anders aus, berichtete die „Moscow Times“. Man könne sich „kaum eine größere Demütigung“ vorstellen, als dass Putin ins abgelegene Alaska habe reisen müssen, das einst Russland gehörte, befand demnach etwa der Blogger Alexei Larkin und fügte an: „In die Provinz, wo die Hinterwäldler und Bären leben.“
Die radikalen Kriegsbefürworter fürchten, dass Putin zu einem Deal mit Trump bereit sein könnte – und dafür auf die Eroberung weiterer ukrainischer Gebiete verzichten würde. Für Putins radikalste Anhänger wäre das eine Niederlage.
Kreml auf Kriegskurs: Provokationen und absurde Bedingungen
„Die meisten glauben, dass ein Stillstand bei den Eroberungen nur zu einem Aufschub des Krieges führen würde und dass die Kämpfe bis zum Sieg fortgesetzt werden müssten“, erklärte der Publizist Ivan Filippov, der prorussische Telegram-Kanäle analysiert, der „Moscow Times“ die Haltung der russischen Hardliner. Mittlerweile dürften die jedoch wieder beruhigter sein.
Moskau hat die jüngsten westlichen Friedensbemühungen im Laufe der letzten Woche immer deutlicher zurückgewiesen. Während Außenminister Sergej Lawrow erneut absurde Bedingungen aufstellte, schickte das russische Militär ebenfalls ein deutliches Signal – und provozierte mit der Zerstörung der ukrainischen Fabrik eines amerikanischen Elektronikherstellers. Putin, das machte Moskau klar, bleibt auf Kriegskurs – Benzinknappheit und großen täglichen Verlusten zum Trotz.