Bericht der Financial TimesGeleakte russische Militärakten offenbaren Kriterien für einen Atomschlag

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Eine mit Nuklearsprengköpfen bestückbare Interkontinentalrakete vom Typ Topol wird auf einer Rüstungsmesse präsentiert. Russische Militärakten geben offenbar Aufschluss über mögliche Kriterien für einen Atomschlag.

Eine mit Nuklearsprengköpfen bestückbare Interkontinentalrakete vom Typ Topol wird auf einer Rüstungsmesse präsentiert. Russische Militärakten geben offenbar Aufschluss über mögliche Kriterien für einen Atomschlag.

In 29 geheimen Akten werden laut Financial Times konkrete Szenarien für den Einsatz von Atomwaffen geschildert. 

Geleakte Militärdokumente skizzieren Russlands Doktrin für den Einsatz taktischer Atomwaffen. Die insgesamt 29 geheimen Akten legen demnach auch die Mindestkriterien für den Einsatz taktischer Atomwaffen offen, wie die „Financial Times“ (FT) berichtet.

Demnach übte das russische Militär offenbar bereits mehrere Jahre vor dem Angriff auf die Krim 2014 den Einsatz taktischer Atomwaffen – und erstellte Szenarien, wann diese einzusetzen seien. Das belegen laut FT geleakte russische Militärakten, die aus den Jahren zwischen 2008 und 2014 stammen sollen. Die Dokumente seien von Experten geprüft und verifiziert worden, ihr Inhalt dürfte nicht nur für den Westen von großem Interesse sein.

Geheime Akten offenbaren mögliche Szenarien für einen Atomschlag Russlands

Vor allem eine Erkenntnis der Experten, die die geheimen Papiere ausgewertet haben, klingt besorgniserregend. Sie beschreiben eine Schwelle für die Verwendung taktischer Atomwaffen, die – zumindest zur damaligen Zeit – deutlich geringer sein soll, als bisher von Russland offen kommuniziert.

Die Kriterien reichen „von einem feindlichen Überfall auf russisches Territorium bis hin zu spezifischeren Auslösern wie der Zerstörung von 20 Prozent der russischen strategischen ballistischen Raketen-U-Boote“, so die FT.

Russische Geheimakten: Mögliche Bedingungen für Atomschlag konkret aufgeführt

Die Zerstörung von drei oder mehr großen Kriegsschiffen, drei Flugplätzen, 30 Prozent der atomgetriebenen Angriffs-U-Boote oder ein „gleichzeitiger Treffer auf Haupt- und Reserve-Kommandozentralen an der Küste“ werden laut Bericht ebenfalls als mögliche Bedingungen für einen Atomschlag genannt.

Die durchgesickerten Dateien enthielten auch konkrete Trainingsszenarien für eine Invasion durch eine Weltmacht, konkret wird hier China genannt. Gut zehn Jahre nach der Erstellung der geleakten Militärpapiere haben sich die diplomatischen Beziehungen zum russischen Nachbar allerdings deutlich verbessert. Nach Beginn des völkerwidrigen russischen Angriff auf die Ukraine hatte Chinas oberster Außenpolitiker, Wang Yi, vergangenes Jahr beteuert, die Beziehungen zu Russland seien „felsenfest“.

Chinas Präsident Xi Jinping und Wladimir Putin gelten als Vertraute.

Chinas Präsident Xi Jinping und Wladimir Putin gelten als Vertraute. (Archivbild)

Russlands taktische Atomwaffen seien für den Einsatz auf dem Schlachtfeld in Europa und Asien konzipiert, so die Analysten der FT. Sie hätten eine geringere Reichweite als strategische Atomwaffen, die die USA erreichen können.

Experte über geleakte russische Militärakten: „Zeigen, dass die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen ziemlich niedrig liegt“

„Dies ist das erste Mal, dass die Öffentlichkeit Dokumente wie dieses zu sehen bekommt“, sagte Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin der FT. „Sie zeigen, dass die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen ziemlich niedrig liegt, wenn das gewünschte Ergebnis mit herkömmlichen Mitteln nicht erreicht werden kann.“

Obwohl die Akten mindestens zehn Jahre alt sind, glauben Experten, dass sie für die aktuelle russische Militärdoktrin noch immer relevant sein könnten. „Wir haben kein grundsätzliches Umdenken gesehen“, sagt William Alberque, Direktor für Strategie, Technologie und Rüstungskontrolle am Internationalen Institut für Strategische Studien.

Alberque glaubt, dass Russland vermutlich eine hohe Schwelle für den Einsatz taktischer Nuklearwaffen gegen die Ukraine habe. Ein solcher Erstschlag würde den Konflikt eskalieren lassen und zu einem direkten Eingreifen der USA oder Großbritanniens führen, so der Experte. „Das ist absolut das Letzte, was Wladimir Putin will.“

Drohungen aus dem Kreml mit einem Atomschlag nichts Neues

Russland hatte in den vergangenen Monaten dem Westen wiederholt mit dem Einsatz von Nuklearwaffen gedroht. Vor allem der ehemalige russische Präsident und jetzige Putin-Propagandist Dmitri Medwedew hatte wiederholt angekündigt, Russland könne jederzeit Atomwaffen einsetzen. Konkrete Hinweise auf einen derartigen Angriff gab es bisher bei keiner seiner Drohungen. Die Atomdrohung dürfte unterdessen politisches Kalkül sein.

Wladimir Putin hatte im vergangenen Jahr angegeben, dass die russische Nukleardoktrin zwei Szenarien für einen Atomschlag vorsähen: Vergeltung für einen nuklearen Erstschlag durch einen Feind und wenn die existenzielle Bedrohung Russlands als Staat.

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