Die Schweiz empfängt glühende Kriegsunterstützer aus Russland zu einer Konferenz. Die Kritik könnte deutlicher kaum ausfallen.
Eklat um „Putins Schlüsselfiguren“Kremlkritiker gehen auf Schweiz los – Klöckner verlässt Saal aus Protest

Kremlchef Wladimir Putin zusammen mit Valentina Matwijenko, Vorsitzende des russischen Föderationsrates. (Archivbild)
Copyright: IMAGO / ITAR-TASS
Der Besuch einer russischen Delegation in der Schweiz sorgt für scharfe Reaktionen. Aus Protest gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben Bundestagspräsidentin Julia Klöckner und Vertreter anderer EU-Staaten bei einer internationalen Konferenz zunächst demonstrativ den Saal verlassen. Später äußerten auch Kremlkritiker um den russischen Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa deutliche Kritik an der Schweiz.
Das Land hatte zuvor einen Auftritt von Valentina Matwijenko in Genf möglich gemacht. Als Vorsitzende des Föderationsrates, des russischen Parlamentsoberhauses, gilt sie als die mächtigste Frau Russlands. Die 76-Jährige steht als glühende Befürworterin des von Putin befohlenen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf westlichen Sanktionslisten.
Julia Klöckner: „Zynische Versuche der russischen Delegation“
„Mit seinem barbarischen Angriffskrieg gegen die Ukraine tritt Russland das Völkerrecht mit Füßen“, teilte Klöckner anschließend mit. „Den zynischen Versuchen der russischen Delegation, Geschichtsklitterung und eine Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben, schenken wir keine Aufmerksamkeit.“
Matwijenko hatte einen Auftritt vor kleinerem Publikum am Montag schon genutzt, um die Ukraine zu verunglimpfen. Ihr Auftritt im Westen wurde in Russland teils als Propagandaerfolg verbucht. Neben Matwijenko waren auch die ebenfalls sanktionierten Duma-Politiker Leonid Sluzki und Pjotr Tolstoi bei der Veranstaltung in Genf.
Schweiz: Ausnahmegenehmigungen mussten ausgestellt werden
Die Schweiz verweist darauf, dass sie als Gastgeberin internationaler Konferenzen bei solchen Anlässen Ausnahmegenehmigungen für Einreisen erteilen muss. Es geht um eine alle fünf Jahre stattfindende Versammlung von Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der Interparlamentarischen Union (IPU), die damit den Frieden fördern will.
Mehr als 200 Kremlkritiker und frühere politische Gefangene überzeugt die Begründung aus Bern jedoch nicht. Während Genf „Kriegsverbrecher“ willkommen heiße, setze Russland seine Raketenangriffe auf ukrainische Städte fort, schreiben die Kritiker – unter ihnen die Exil-Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin sowie der Menschenrechtsaktivist Oleg Orlow – in einem im Internet zugänglichen offenen Brief. „Zivilisten, Kinder und Frauen sterben.“
Kremlkritiker äußern scharfe Kritik: „Schlüsselfiguren des Putin-Regimes“
Die Kremlkritiker bezeichnen Matwijenko, Tolstoi und Sluzki in ihrem offenen Brief als „Schlüsselfiguren des Putin-Regimes“. Die Repräsentanten Russlands seien „direkt verantwortlich“ für den „Krieg gegen die Ukraine, die Zerstörung demokratischer Institutionen und die umfassende Repression innerhalb von Russland“, heißt es dort. „Ihre Teilnahme an internationalen Veranstaltungen in der Schweiz hätte verboten, sie selbst hätten festgenommen werden müssen.“
Die Unterzeichner des offenen Briefes fordern auch eine Untersuchung zu der Frage, ob Schweizer Recht gebrochen wurde. „Wir sind überzeugt, dass Neutralität keine Entschuldigung ist“, schrieben Kara-Mursa, Jaschin, Orlow und die weiteren Unterzeichner des Protestbriefes.
Ukraine reagiert empört: „Warum ist die russische Delegation heute hier?“
Gegner des russischen Präsidenten Wladimir Putin befürchten, dass westliche Staaten mehr als drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine langsam versuchen könnten, die Beziehungen zu Moskau wieder zu verbessern.
Empörung über die Schweiz herrscht derweil auch in der Ukraine. „Warum ist die russische Delegation heute hier?“, fragte die ukrainische Vize-Parlamentspräsidentin Olena Kondratiuk in Genf. Russland sei ein „Aggressor-Staat“, fügte sie hinzu.
„Schweiz hilft mit Propaganda-Auftritten leider Russland“
Deutliche Worte kamen derweil auch von CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. „Die Schweiz hilft mit solchen Propaganda-Auftritten leider Russland, das sich geschickt aus seiner internationalen Isolierung herauszulösen versucht und dies für seinen Informations-Krieg nutzt“, schrieb Kiesewetter auf der Plattform X.
Derartige Auftritte seien Teil der russischen Kriegsführung, die auch „auf dem hybriden und kognitiven Gefechtsfeld“ stattfinde, führte der CDU-Politiker aus – nahm jedoch auch Deutschland in die Pflicht. „Auch Deutschland lässt weiterhin Auftritte von Putin-Vertrauten und Unterstützern wie Anna Netrebko zu, das ist ebenfalls ein Skandal.“
Kriegsbegeisterte Putin-Delegation: „Wenn wir in Kiew sind“
Auch die Finanzierung des russischen Hauses in Berlin führte Kiesewetter als Kritikpunkt auf. „Es gibt im Systemkrieg keine Neutralität, denn Schein-Neutralität hilft dem Aggressor. Inkonsequenz leider auch“, fügte der CDU-Politiker na.
Der Russland-Experte und Historiker Matthäus Wehowski wies bei X unterdessen auf die Gesinnung der russischen Delegation hin. So stamme etwa vom Duma-Abgeordneten Pjotr Tolstoi ein Satz über Russlands Krieg gegen die Ukraine, der kaum Fragen offen lässt. „Einfrieren können wir den Konflikt, wenn wir in Kiew sind“, habe Tolstoi einst auf die Frage nach einem möglichen Waffenstillstand geantwortet, berichtete Wehowski. (mit dpa/afp)