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„Schlägt dem Fass den Boden aus“Merz äußert sich zu Regenbogenflagge beim CSD – Kritikwelle aus Köln

Lesezeit 5 Minuten
Friedrich Merz applaudiert Julia Klöckner nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin. Der Kanzler hat sich in der Debatte um die Regenbogenflagge am Bundestag hinter Klöckner gestellt. (Archivbild)

Friedrich Merz applaudiert Julia Klöckner nach ihrer Wahl zur Bundestagspräsidentin. Der Kanzler hat sich in der Debatte um die Regenbogenflagge am Bundestag hinter Klöckner gestellt. (Archivbild)

Karl Lauterbach, Sven Lehmann, Nyke Slawik – von Kölner Politikern kommt scharfe Kritik an den Worten von Bundeskanzler Friedrich Merz.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat sich hinter den umstrittenen Kurs von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zum Christopher Street Day (CSD) gestellt. „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“, auf dem man beliebig Fahnen zeige, sagte der CDU-Chef in der ARD-Talkshow „Maischberger“ auf die Frage, wie er es finde, dass Klöckner die Regenbogenfahne zum CSD nicht auf dem Bundestag hissen will. Für seine Aussagen bekommt Merz jetzt scharfe Kritik – insbesondere von Politikern aus Köln.

Es gebe einen Tag im Jahr, das sei der 17. Mai – das ist der Tag gegen Homophobie – an dem die Regenbogenflagge gehisst werde. „An allen anderen Tagen ist auf dem Deutschen Bundestag die deutsche Fahne und die europäische Fahne gehisst und keine andere. Und diese Entscheidung ist richtig“, hatte Merz erklärt.

Friedrich Merz: Nicht „beliebig irgendwelche Fahnen“ aufhängen

Jeder könne vor seiner eigenen Haustür Fahnen hissen, wie er wolle, sagte der Kanzler. „Aber wir reden hier über das deutsche Parlament, und im deutschen Parlament werden nicht jeden Tag beliebig irgendwelche Fahnen aufgehängt, sondern die deutsche Nationalflagge und die europäische Flagge.“

Klöckners Entscheidung, zum Berliner Christopher Street Day am 26. Juli nicht wie in Vorjahren die Regenbogenflagge am Parlament aufzuziehen, war zuvor unter anderem von Grünen und Linken kritisiert worden. Auch die eigenwillige Verteidigung Klöckners, bei der sie Christen als die am meisten verfolgte Gruppe deklarierte und behauptete, dann müsse man auch die Flagge des Vatikans hissen, konnte die Kritik nicht stoppen. Zumal ohnehin nicht alle Christen durch den Vatikan, also die katholische Kirche, vertreten werden.

Kritik aus Köln: „Dass Merz lieber spaltet als verbindet, ist bekannt“

Die Regenbogenfahne steht für die Vielfalt und das Miteinander, das am CSD gefeiert wird. Ebenso wird an dem Tag der Unterdrückung von homosexuellen, bisexuellen und Transgender-Menschen gedacht – speziell mit Blick auf die Stonewall-Unruhen in der Christopher Street 1969 in New York.

Entsprechend laut fällt nun auch die Kritik an Merz aus. „Dass Friedrich Merz lieber spaltet als verbindet, ist leider bekannt. Aber eine ganze Community so von oben herab zu behandeln – das geht zu weit“, kommentierte etwa der ehemalige Queerbeauftragte der Ampel-Regierung, Sven Lehmann, die Aussagen des Kanzlers bei Instagram.

Nyke Slawik: „Schlägt dem Fass wirklich den Boden aus“

„Die Regenbogenfarben signalisieren Menschen im Alltag: Hier kannst du sicher sein“, führte der Kölner Grünen-Politiker aus. „Also Werte, die der Bundestag verkörpern sollte.“ Die Worte des Bundeskanzlers seien „nicht konservativ“, sondern„ respektlos“, so das Urteil Lehmanns. 

Auch die Leverkusener Grünen-Politikerin Nyke Slawik fand deutliche Worte für Merz. Der Vergleich der Regenbogenflagge mit einem Zirkus „schlägt dem Fass wirklich den Boden aus“, schrieb Slawik bei Instagram. Erst in der vergangenen Woche sei im Bundestag über gestiegene Gewalt gegenüber queeren Menschen und die Bedrohungslage gegenüber CSD- und Pride-Veranstaltungen, die „regelmäßig von Neonazi-Versammlungen bedroht werden“, debattiert worden, erklärte Slawik weiter.

Leverkusener Politikerin berichtet von Übergriffen auf queere Menschen

Am Wochenende sei in Berlin etwa eine Bar gleich viermal „von Schlägertrupps attackiert“ worden. Der Besitzer einer weiteren queeren Gastronomie habe nach einem Angriff sogar ins Krankenhaus gebracht werden müssen, führte die Leverkusenerin aus, die auch von Anfeindungen gegen ihre Person berichtete.

„Solche Vorfälle sind für uns leider Alltag. Immer noch“, schrieb Slawik. Es sei zwar in den letzten Jahren „vermeintlich vieles besser geworden“, gerade herrsche jedoch der Eindruck vor, „dass wir von Rückschritten bedroht sind“, so Slawik.

Kritik an Merz und Klöckner: Mehr Solidarität mit queerer Community

Dafür seien maßgeblich CDU-Politiker verantwortlich, etwa Klöckner und Merz mit ihrem Anti-Regenbogenflaggen-Kurs, aber auch Bildungsministerin Karin Prien, die kürzlich die „Gender-Sprache“ in ihrem Ministerium verbieten ließ. Queere Menschen bräuchten gerade jetzt jedoch „dringend Solidarität von den Menschen, die die höchsten Ämter in unserem Staat besetzen“, befand Slawik.

Mit Karl Lauterbach mischte sich schließlich auch der wohl prominenteste Kölner Politiker in die Debatte ein. „Die Regenbogenflagge ist kein Symbol für einen Zirkus“, schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X.

Karl Lauterbach: „Regenbogenflagge ist kein Symbol für einen Zirkus“

„Sie steht für die Rechte von Menschen, die es heute wieder viel schwerer haben als noch vor Jahren. Dem Bundestag hätte diese Geste in Anbetracht der vielen abgeordneten Demokratiefeinde gutgetan“, fügte Lauterbach an, der regelmäßig Pride-Paraden in Leverkusen und Köln besucht hat.

Ein Besuch von Kanzler Merz beim Berliner CSD scheint unterdessen ausgeschlossen. Die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) hatten kürzlich eine Teilnahme von Merz ins Spiel gebracht.

„Der Bundeskanzler hat andere Termine an diesem Tag“

„Vielleicht hat ihn noch niemand eingeladen. Ich glaube, er würde das machen“, sagte LSU-Chef Sönke Siegmann letzte Woche dem „Stern“. Merz’ Sprecher erteilte diesen Überlegungen nun jedoch eine Absage: „Ich denke nicht, der Bundeskanzler hat andere Termine an diesem Tag“, erklärte Stefan Kornelius auf eine entsprechende Frage. 

Bisher habe noch kein Bundeskanzler und keine Bundeskanzlerin einen CSD besucht, berichtete „queer.de“ dazu. Merz’ Vorgänger, der Sozialdemokrat Olaf Scholz, habe sich jedoch in den letzten Jahren zum Pride-Monat mit der Regenbogenflagge gezeigt und den CSD in Kurzbotschaften unterstützt. „Von Merz kamen bislang keinerlei Gesten dieser Art“, stellte das Fachmagazin indessen fest.

Harte Kritik an Merz’ Aussagen über Homosexualität gab es bereits 2020

Auch in der Vergangenheit hatte es immer wieder Kritik an der Haltung des nunmehrigen Bundeskanzlers hinsichtlich der LGBTIQ-Rechte gegeben. „Die Frage der sexuellen Orientierung geht die Öffentlichkeit nichts an. Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“, hatte Merz etwa in einem Interview mit „Bild“ im Jahr 2020 erklärt – und damit für Entrüstung gesorgt, da er laut seinen Kritikern Homosexualität und Kindesmissbrauch in einen Zusammenhang gebracht hatte.

Merz bestritt das damals und bezeichnete die Vorwürfe als „bösartig konstruiert“. Die Kritik an Merz’ Aussagen war unterdessen bereits damals deutlich – und kam auch aus den Reihen des jetzigen Koalitionspartners SPD. 

„So laviert jemand, der nicht kaschieren kann, dass er mit der Normalisierung des Umgangs mit Homosexualität eigentlich nichts anfangen kann“, hatte etwa der damalige Partei-Vize Kevin Kühnert die Worte kommentiert. Auch der jetzige Vizekanzler Lars Klingbeil fand damals klare Worte zu Merz’ Äußerungen: „Friedrich möchte aus dem letzten Jahrhundert abgeholt werden.“