An den Worten von Moskaus Generalstabschef zu russischen Erfolgen gibt es Zweifel – vor allem seine Landkarte sorgt aber für Aufregung.
„Russland will die Donau erreichen“Zeigt eine Karte an Gerassimows Wand die wahren Eroberungspläne von Putin?

Kremlchef Wladimir Putin (l.) mit dem russischen Generalstabschef General Waleri Gerassimow während einer erweiterten Sitzung des Verteidigungsministeriums. (Archivbild)
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Sie hängt unauffällig an der Wand, sorgt nun jedoch für Aufsehen: Eine Landkarte, die beim jüngsten Auftritt des russischen Generalstabchefs Waleri Gerassimow im Hintergrund zu sehen war, deutet auf umfassendere Eroberungspläne des Kremls hin, als von Moskau bisher offiziell bekanntgegeben wurde.
Bisher beansprucht Kremlchef Wladimir Putin vier ukrainische Regionen: Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Auf der Karte werden jedoch auch die Oblaste Mykolajiw und Odessa als russisches Territorium dargestellt. In manchen Berichten wird zudem auch die Region Charkiw angeführt. Angesichts der Bildqualität der Aufnahmen lässt sich das jedoch nicht zweifelsfrei ermitteln.
Die vier Regionen, die Moskau bereits zu seinem Staatsgebiet erklärt hat, konnten die russischen Streitkräfte bisher nicht vollständig erobern. Gerassimow kündigte ungeachtet dessen nun die Fortsetzung des Krieges an – und berichtete von bereits laufenden Planungen für neue russische Militäroffensiven im Herbst.
Wladimir Putin bezeichnete Odessa bereits als „russische Stadt“
Aus seinem Interesse insbesondere an der Schwarzmeerküste hat Moskau bereits in der Vergangenheit keinen Hehl gemacht. Während Putin noch im Juni erklärte, dass die „ganze Ukraine unser ist“, hatte der Kremlchef Odessa bereits 2023 als „russische Stadt“ bezeichnet. Die in der Schwarzmeerregion lebenden Ukrainer hätten „nichts mit der Ukraine zu tun“, hieß damals aus Moskau.
In der Ukraine blieb die entlarvende Karte nicht unbemerkt, mehrere Zeitungen berichteten über die vermeintlichen Pläne des Kremls. „Die Karte stellt wahrscheinlich die russischen Militärziele dar“, kommentierte Jaroslaw Trofimow, Korrespondent des „Wall Street Journal“ in der Ukraine, die Aufnahmen aus Russland auf der Plattform X. „Sie umfassen die Hälfte des Landes, darunter Charkiw und Odessa.“
Odessa in Putins Visier: „Für Moskau strategische Ziele“
„Die Einnahme der Gebiete würde Russland die Kontrolle über die Schwarzmeerküste, wichtige Verkehrsknotenpunkte und industrielle Zentren verschaffen – für Moskau seit langer Zeit bestehende strategische Ziele“, hieß es derweil im „Kyiv Independent“, der jedoch auch darauf hinwies, dass die russischen Streitkräfte „wahrscheinlich viel Zeit“ brauchen würden, um Odessa und Charkiw einzunehmen.

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Auch in Rumänien sorgte die Karte derweil für Aufsehen. Die Region Odessa erstreckt sich bis zum Donaudelta und grenzt somit an das Nato-Land. „Russland will das Donaudelta erreichen und praktisch an Rumänien grenzen“, kommentierte der Kriegsberichterstatter und Aktivist Radu Hossu bei X.
„Russland will praktisch an Rumänien grenzen“
„Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Russen bei solchen Veranstaltungen Symbolik und Informationen verwenden, die sie öffentlich machen wollen“, führte Hossu aus. Die Karte müsse als „klarer Beweis“ betrachtet werden, dass Russland bis an die rumänische Grenze vorrücken will, warnte der Kriegsberichterstatter weiter.
Dass die russischen Streitkräfte zu einem solchen Eroberungsfeldzug in der Lage wären, bleibt jedoch derzeit zweifelhaft. Zwar berichtete Gerassimow von angeblichen großen Geländegewinnen in den vergangenen sechs Monaten, diese Angaben halten die Analysten des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW) für ebenso übertrieben wie russische Kriegsblogger.
Zweifel an Gerassimows Worten – und Fähigkeiten der russischen Armee
Gerassimow hatte bei seinem Auftritt am 30. August behauptet, russische Streitkräfte hätten seit März 3.500 Quadratkilometer und 149 Siedlungen erobert. „Das ISW hat Beweise dafür gefunden, dass die russischen Streitkräfte in dieser Zeit nur etwa 2.346 Quadratkilometer ukrainisches Territorium erobert und 130 Siedlungen eingenommen haben“, konterte die US-Denkfabrik nun diese Angaben.
Die russischen Gebietsgewinne seien „im Verhältnis zu den hohen Verlusten weiterhin unverhältnismäßig gering und langsam“, lautete das Urteil der Analysten. Bei Gerassimows Worten handele es sich um Propaganda. In den Telegram-Kanälen der russischen Kriegsblogger war nach dem Auftritt des Generalstabschefs mitunter ebenfalls von „sehr großer Übertreibung“ die Rede.
Auch der Kriegsverbrecher und Ultranationalist Igor Girkin, der bei der Annexion der Krim 2014 eine entscheidende Rolle spielte, mittlerweile aber wegen öffentlicher Kritik am Kreml in Ungnade gefallen ist und inhaftiert wurde, äußerte sich aus dem Gefängnis heraus. „Das ist eine Schande“, schrieb Girkin bei Telegram über die russische Armee. „Wir haben im Sommer keinen einzigen Abschnitt der Front durchbrochen.“