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Kommentar

Arbeitsvolumen
Weniger reden, mehr arbeiten – das täte auch der Regierung gut

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Lesezeit 3 Minuten
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, M) nimmt den Applaus von Carsten Linnemann (l), CDU-Generalsekretär, Karin Prien (CDU), Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und dem Vorstand zu Beginn der Vorstandssitzung ihrer Partei entgegen.

Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz.

Die Deutschen sollten mehr arbeiten, findet Friedrich Merz. Am besten, Merz fängt mit der Arbeit endlich an, kommentiert Andreas Niesmann.

So einig waren sich Politik und Wirtschaft lange nicht mehr. In Deutschland müsse wieder mehr gearbeitet werden, findet Bundeskanzler Friedrich Merz, „mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance“ werde das Land den Wohlstand nicht erhalten können.

Unternehmenslenker applaudieren, Verbandsvertreter jubeln, und das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) liefert postwendend den Beweis: Die Deutschen, meldet das Kölner Institut via Bild-Zeitung, liegen mit durchschnittlich 1036 Arbeitsstunden pro Jahr auf dem drittletzten Platz des Industrieländerclubs OECD. Nur Franzosen und Belgier arbeiten noch weniger.

Hat Merz also recht? Ist seinen Landsleuten die vermeintlich deutscheste aller Tugenden abhandengekommen – ihr sprichwörtlicher Fleiß? Regiert der Kanzler ein Volk voller Faulpelze, denen er mal Beine machen muss, damit das wieder wird, mit dem Wirtschaftswachstum?

Ganz so einfach ist die Sache bei näherem Hinsehen nicht.

Wo Merz recht hat – und wo nicht

Richtig liegt Merz mit seiner Feststellung, dass die Deutschen im internationalen Vergleich relativ wenig arbeiten. Zwar ist die durchschnittliche Arbeitsstundenzahl auch hierzulande in den vergangenen zehn Jahren um 23 Stunden pro Jahr und Kopf gestiegen, andere Industrieländer aber haben deutlich mehr draufgesattelt: 121 Stunden in Italien, 204 in Griechenland, 244 in Polen.

Wahr ist auch, dass sich Deutschland diesen Rückstand wegen seiner Demografie nicht mehr leisten kann. Schon heute ist der Mangel an Arbeitskräften der entscheidende limitierende Faktor beim Wachstum, mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Jahrgänge wird sich die Lage weiter verschärfen.

Bei der Suche nach den Gründen für das geringe Arbeitsvolumen jedoch springt Merz deutlich zu kurz. Die Vier-Tage-Woche ist mitnichten das größte Problem des deutschen Arbeitsmarktes, auch wenn es für diese (falsche) Behauptung auf CDU-nahen Unternehmertagen noch so viel Applaus geben mag. Die Vier-Tage-Woche macht die Situation nicht besser, sie passt auch nicht in die Zeit, sie ist aber bei Weitem nicht so verbreitet, wie der CDU-Chef glauben machen will.

Renteneintrittsalter und Erwerbsquote von Frauen: Was wirklich helfen würde

Wem es nicht um billigen Beifall, sondern um eine echte Erhöhung der Erwerbsarbeitszeit geht, der muss an zwei deutlich wichtigeren Stellschrauben drehen: dem durchschnittlichen Renteneintrittsalter und der Erwerbsquote von Frauen. Beide sind in Deutschland viel zu niedrig, über eine Erhöhung ließe sich in beiden Bereichen schnell neue Arbeitskraft mobilisieren.

Dazu allerdings müsste die SPD bereit sein, über eine längere Lebensarbeitszeit zu sprechen (was sie nicht ist) und die Union müsste die Abschaffung von Fehlanreizen wie dem Ehegattensplitting ins Auge fassen (was sie nicht will). Auf bessere Betreuungsangebote für Kinder könnten sich die Koalitionäre noch am ehesten verständigen, an diesem Vorhaben aber scheitert die Politik seit Jahren.

Bleibt nur noch ein Weg, um das Arbeitsvolumen signifikant zu erhöhen: Die Sozialabgaben für niedrige Einkommen und die Steuertarife für mittlere Gehälter müssen runter. Derzeit lohnt sich Mehrarbeit für beide Einkommensgruppen kaum, da Sozialbeiträge und Steuern einen großen Teil des zusätzlichen Verdienstes auffressen. Es klingt wie eine Plattitüde und ist doch wahr: Wer will, dass Menschen mehr leisten, muss dafür sorgen, dass sich Leistung für sie mehr lohnt.

Merz und seine Koalition haben es in der Hand, das jetzt zu tun. Es wäre ein echter Beitrag, um das Land und seine Wirtschaft zukunftsfest zu machen. Schneidige Auftritte und flotte Sprüche werden dafür nicht reichen, harte und ernsthafte Arbeit wäre nötig. Vielleicht fangen der Kanzler und seine Regierung einfach mal an.