Noch im November hatte Putin das Gegenteil angedeutet – nun ergreift sein Bildungsministerium in der Ukraine imperialistische Maßnahmen.
Entsetzen über Putins nächsten Schritt„Russland führt mitten in Europa eine ethnische Säuberung durch“

Auf einer großen Videowand ist Kremlchef Wladmir Putin beim St. Petersburger Wirtschaftsforum zu sehen. Der russische Präsident äußerte bei dem Kongress radikale Worte über die Ukraine. (Archivbild)
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Die russischen Schulbücher wurden bereits auf Geschichtsklitterung umgebaut: Nun ergreift Russland auch in den von seiner Armee völkerrechtswidrig besetzten ukrainischen Gebieten zu radikalen Mitteln im Bildungssystem. Moskau plant, den Unterricht in ukrainischer Sprache und Literatur aus dem nationalen Lehrplan zu streichen, auch in dem Teil der Ukraine, über den die russischen Streitkräfte die Kontrolle erlangt haben. Das berichtet die Wirtschaftszeitung „Kommersant“ unter Berufung auf Planungen des Bildungsministeriums. Der Kreml begründet die angestrebten Änderungen offenbar mit einer „veränderten geopolitischen Lage“, heißt es weiter.
Als Landessprache der Ukraine war Ukrainisch bisher ein Pflichtfach für Kinder an Schulen in den teilweise besetzten Regionen, darunter auch Saporischschja und Cherson. In den anderen von Russland kontrollierten Regionen hätten Eltern nach Russlands Einmarsch sogar auf den Ukrainisch-Unterricht bestanden, berichtete das Exilmedium „Moscow Times“. Demnach drängten Eltern etwa im Schuljahr 2023/2024 auf der annektierten Krim sowie in den teilweise besetzten Gebieten Donezk und Luhansk auf ein entsprechendes Angebot für die dortigen Schulkinder.
Russland will Ukrainisch vom Lehrplan in der Ukraine streichen
Bisher gab es das auch – das Moskauer Bildungsministerium will das nun jedoch radikal ändern und den Unterricht in der Landessprache komplett streichen. Laut einem Verordnungsentwurf, auf den „Kommersant“ seinen Bericht stützt, soll offenbar zusätzlich auch ukrainische Literatur als Unterrichtsfach von der ersten bis zur neunten Klasse komplett aus dem Lehrplan entfernt werden. Lediglich in den Klassen 10 und 11 soll Literatur aus der Ukraine noch in den Schulen zur Sprache kommen, so die Pläne, die als Beleg für die imperialistischen und faschistischen Motive des Kremls gelten können.
„Russland führt mitten in Europa eine ethnische Säuberung durch“, schrieb etwa Marko Mihkelson, der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des estnischen Parlaments, auf der Plattform X zu Moskaus radikalen Plänen. „So funktioniert Kolonialismus: Man nimmt den Menschen ihre Sprache und Kultur, zwingt sie zur Übernahme der Herrscherkultur und degradiert sie zu reinen Rohstofflieferanten“, schrieb auch Annette Werberger, Professorin für osteuropäische Literatur an der Europa-Universität Viadrina, bei X zu dem geplanten Verbot.
Entsetzen über Putins Maßnahme: „So funktioniert Kolonialismus“
Der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski sprach unterdessen von einer „Russifizierung der okkupierten Gebiete der Ukraine“. Damit führe Russland die „imperiale Politik des 19. und 20. Jahrhunderts“ fort, führte Wehowski bei X aus – und fügte ernüchtert an: „Die Weltgemeinschaft schaut untätig zu.“
Das russische Vorgehen dient jedoch nicht nur als Beleg für die imperialistischen und faschistischen Motive Moskaus, sondern kann auch die Heuchelei des Kremls verdeutlichen, sagen die Experten. „Es ist schwer zu glauben, dass dieselben Leute, die versuchen, die ukrainische Sprache in den eroberten Gebieten auszurotten, den Respekt für die russische Sprache in den Gebieten fordern, die sie nicht erobern können“, zitierte die „Moscow Times“ dazu den Politik-Analysten Abbas Gallyamov.
Kremlchef forderte noch 2024 eine „sanfte“ Sprachpolitik
Der von Moskau geplante Schritt steht zudem im Widerspruch zu früheren Beteuerungen von Kremlchef Wladimir Putin, der noch im November 2024 eine „sanfte und natürliche“ Sprachpolitik gefordert und betont hatte, die ukrainische Sprache habe „ihre eigene Schönheit“. Russland habe „keine Wünsche“ den Ukrainern ihre Sprache oder Kultur zu verweigern, versicherte Putin damals.
Falschangaben über die eigenen Absichten und Pläne sind beim Kremlchef allerdings keine Neuheit. Noch kurz vor der russischen Invasion in der Ukraine hatte der russische Präsident beteuert, dass Russland das Nachbarland nicht angreifen werde. Kurz darauf marschierten seine Truppen schließlich über die Grenze.
Russland streicht Hinweise auf Ukraine aus heimischen Schulbüchern
Putins Worte zur Sprachpolitik wirken nun ebenso heuchlerisch – denn bereits im Frühjahr 2025 wurden aus dem neuen Literaturlehrbuch, das an russischen Schulen zum Einsatz kommt, alle Hinweise auf die Ukraine gestrichen, berichtete die „Moscow Times“ weiter. Auch Informationen über die ukrainische Herkunft von Schriftstellern wie Nikolai Gogol seien aus den Lehrbüchern in Russland komplett entfernt worden.
Der Kremlchef hat unterdessen zuletzt immer deutlicher durchblicken lassen, dass die von Russland oft angeführten „Sicherheitsinteressen“ oder die angeblich für Moskau bedrohliche „Nato-Osterweiterung“ vor allem vorgeschobene Kriegsgründe zu sein scheinen, während der Kreml vorrangig imperialistische Ziele im Nachbarland verfolgt.
„Ich habe bereits gesagt, dass ich das russische und das ukrainische Volk als ein Volk betrachte. In diesem Sinne gehört uns die gesamte Ukraine“, erklärte Putin in der letzten Woche freimütig. Dann wurde der Kremlchef noch deutlicher: „Wo der Fuß eines russischen Soldaten hintritt, das gehört uns“, sagte Putin und machte so keinen Hehl aus seinen Zielen – und seinem kruden Weltbild.
Ukraine meldet russischen Raketenangriff auf Schule
Auch Russlands Taten belegen weiterhin die Skrupellosigkeit des Kremls. So meldete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag (23. Juni) einen „wahnsinnigen Raketenangriff“ auf eine Schule in Bilhorod-Dnistrowskyj. Schülerinnen und Schüler hätten sich wegen der Sommerferien nicht in dem Gebäude aufgehalten, berichtete Selenskyj. Mitarbeiter der Schule seien jedoch vor Ort gewesen, es habe mindestens zwei Todesopfer gegeben, hieß es weiter. Auch das Schulgebäude sei „fast vollständig zerstört“ worden, berichtete Selenskyj.
„Keiner dieser russischen Angriffe ist zufällig – die russische Armee weiß genau, wohin sie zielt“, fügte der ukrainische Präsident bei X an. „Es sind Demonstrationsangriffe. Die russische Führung hat nicht die Absicht, sich zu ändern, und nicht die Absicht, den Krieg freiwillig zu beenden“, erklärte Selenskyj und forderte erneut eine „schmerzhafte Verschärfung“ des internationalen Drucks auf den Kreml.