Vier Handwerksberufe in einem Jahr ausprobieren: Das Freiwillige Handwerksjahr bietet Jugendlichen neue Wege zur Berufsorientierung. Wo das schon möglich ist - und welche Alternativen es gibt.
Berufsorientierung4 Berufe in 12 Monaten: Das Freiwillige Handwerksjahr

Celine Köster, Auszubildene zur Fliesen- und Mosaiklegerin, hat sich nach ihrem Hauptschulabschluss dazu entschieden, ein Freiwilliges Handwerksjahr (FHJ) zu absolvieren.
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Den Hauptschulabschluss in der Tasche – und nun? Eine Frage, die sich viele stellen. Auch Celine Köster: „Ich wusste mit 15 nur, dass ich etwas im handwerklichen Bereich machen wollte“, sagt die Kielerin. Doch welchen Berufsweg sie einschlagen wollte, war ihr unklar.
Daher entschied sie sich, ein Freiwilliges Handwerksjahr (FHJ) zu absolvieren – innerhalb von zwölf Monaten lernen Teilnehmende den Alltag in vier Handwerksberufen durch Mitarbeit in Fachbetrieben kennen. „Schon gleich bei meiner ersten Station stand für mich fest, dass ich Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerin werde“, erzählt Celine Köster, die inzwischen im ersten Ausbildungsjahr bei Bau und Fliesen Herzberg in Kiel ist.
FHJ gibt es bislang noch nicht bundesweit
Das FHJ ist ein Pilotprojekt der Handwerkskammer Lübeck, das im Sommer 2024 gemeinsam mit dem Schleswig-Holsteinischen Institut für Berufliche Bildung (SHIBB) ins Leben gerufen wurde. „Bislang gibt es das FHJ noch nicht bundesweit, aber immer mehr Kammern zeigen Interesse“, sagt Kirsten-Kielbassa-Schnepp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH).
Von dem Projekt profitierten nicht nur die Jugendlichen, die mit dem FHJ ausloten können, ob ein Beruf wirklich ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht oder nicht. Auch für Arbeitgeber lohnten sich FHJ, da sie auf diesem Weg Auszubildende bekommen, die wissen, auf was sie sich einlassen - wodurch die Abbrecherquote sinkt.
Beide Seiten testen, ob es passt
Ähnlich sieht es Celine Köster. „Ich konnte in Ruhe die Arbeit, aber auch den Betrieb und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen kennenlernen“, erzählt sie. „Beim FHJ fand ich auch gut, dass es keinerlei Druck gab, schnell zu einer Entscheidung zu kommen.“ Vom ersten Tag an war sie einem Gesellen zugeteilt und hatte unter seiner Aufsicht kleinere Arbeiten rund ums Fliesen, Verfugen und Verputzen erledigen dürfen. Auch auf Großbaustellen war sie dabei und lernte so die Zusammenarbeit mit anderen Gewerken kennen.
Und natürlich hat auch die andere Seite testen können, ob es passt. „Am Anfang habe ich unter Beweis stellen müssen, dass ich als Mädchen die herausfordernde und auch körperlich schwere Arbeit hinkriege“, so Köster.
Für das FHJ können Jugendlichen die vier Berufe, die sie kennenlernen möchten, nach ihren Wünschen wählen, erklärt Kielbassa-Schnepp. Denkbar ist dann etwa eine Kombination wie: Bäcker, Maler/Lackierer, Kfz-Mechatroniker und Elektroniker. Wer bereits nach der ersten Station sicher ist, den richtigen Beruf und den richtigen Betreib gefunden zu haben, kann das FHJ beenden und sofort dort in eine Ausbildung übergehen – vorausgesetzt, der Arbeitgeber ist einverstanden.
FHJ-Teilnehmende erhalten im Kammerbezirk Lübeck eine Aufwandsentschädigung von 450 Euro brutto monatlich von den Betrieben. Auch Urlaub ist gewährleistet: „Er entspricht den Regelungen in dem jeweiligen Betrieb“, so Kielbassa-Schnepp.
Viele Handwerksbetriebe wünschen sich das FHJ
Celine Köster geht es nun darum, den Beruf der Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerin von der Pike auf zu lernen – das hat ihr das FHJ verdeutlicht. Auch ihr Chef, Betriebsinhaber Habib Herzberg ist zufrieden. Das FHJ sei das, was sich Handwerksbetriebe seit Jahren gewünscht hätten: Arbeitgeber lernten die Jugendlichen kennen und die jungen Leute könnten herausfinden, welcher Beruf zu ihnen passt. Wichtig ist aus Sicht von Herzberg der Aspekt der Freiwilligkeit. „Dadurch sind sie motiviert und pünktlich“, so Herzberg.
Aus Sicht des ZDH sollte das Freiwillige Handwerksjahr bundesweit gesetzlich verankert werden – und zwar analog zu den Regelungen für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Damit das Projekt überall in Deutschland ein Erfolg wird, sind auch Koordinatorinnen und Koordinatoren bei den Handwerkskammern nötig, die als Ansprechpartner für Jugendliche und Betriebe fungieren.
Teils gibt es bereits Modelle, bei denen Unternehmen eigeninitiativ ein freiwilliges Handwerksjahr anbieten - ein Elektrotechnikanbieter im Großraum Stuttgart etwa. Das FHJ dort richtet sich speziell an Interessierte mit Abitur oder abgebrochenem Studium, die in 12 Monaten verschiedene Berufsbereiche beim Arbeitgeber kennenlernen können. Im Anschluss an das freiwillige Jahr im Handwerk kann der Start in eine Ausbildung folgen, für die unter Umständen bereits Zeiten aus FHJ angerechnet werden.
Alternative Wege ins Handwerk
Wer sich für eine Ausbildung im Handwerk interessiert, kann aber auch unabhängig vom FHJ Angebote zur Berufsorientierung nutzen. Viele Handwerksbetriebe suchen engagierte Nachwuchskräfte und bieten zum Beispiel Praktika an, in denen Interessierte die Arbeit in bestimmten Berufen kennenlernen können. Oft lohnt es sich, direkt beim Betrieb anzufragen. Weitere hilfreiche Anlaufstellen gibt es gesammelt auf den Seiten der Arbeitsagentur.
Wer nach dem Schulabschluss noch nicht genau weiß, welche Ausbildung eigentlich die Richtige ist oder noch keinen passenden Ausbildungsplatz gefunden hat, kann sich zusätzlich unterstützen lassen. Möglichkeiten sind unter anderem die von der Agentur für Arbeit geförderten Angebote Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB), Einstiegsqualifizierung (EQ) und Berufsorientierungspraktikum (BOP). Zu den jeweiligen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen können sich Interessierte auf dem Online-Portal «Mein Beruf» der BA informieren. (dpa)
