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Mystische InselKraftorte in Irland: Zur Wintersonnenwende in die Höhle

6 min
Sonne scheint in den Gang der Grabkammer von Newgrange: Zur Wintersonnenwende fällt das Morgenlicht besonders lang hier hinein.

Sonne scheint in den Gang der Grabkammer von Newgrange: Zur Wintersonnenwende fällt das Morgenlicht besonders lang hier hinein.

Am 21. Dezember wird in der prähistorischen Grabstelle von Newgrange der niedrigste Sonnenstand im Jahr als ein spiritueller Höhepunkt gefeiert. Rundreise zu mythologischen Orten auf der grünen Insel.

Stockfinster ist es in der steinernen Grabkammer. Mit mulmigem Gefühl blickt man gebannt ins Dunkle, genau wie die Menschen vor 5.000 Jahren, die im nebligen irischen Winter sich am kürzesten Tag des Jahres hier versammelten. Plötzlich schießt ein bernsteinfarbener Lichtstrahl durch den Raum und illuminiert die rätselhaften Zickzacklinien, Rauten und Spiralen an den Steinwänden. Ein, man könnte es so sagen, magischer Moment. Wenn auch ein herbeigeführter.

„Der Sonnengott kommt herein, bringt Licht und Hoffnung“, sagt die Führerin Gráinne Downey in dem megalithischen Ganggrab von Newgrange und hantiert an den Reglern für das elektrische Licht. „Auf unseren Führungen simulieren wir ein einzigartiges Phänomen, das seit Jahrtausenden jedes Jahr am 21. Dezember morgens um 8.58 Uhr hier ganz real stattfindet.“

Denn exakt zur Wintersonnenwende fällt das Morgenlicht durch einen Mauerspalt und beleuchtet 17 Minuten lang die tief in dem riesigen Hügel verborgene Grabkammer. 200.000 Tonnen Steine sind dort zu einem Gewölbe aufgeschichtet, nichts für Klaustrophobiker. Erst ab den 1960er-Jahren erforschten Archäologen diese komplexe Konstruktion aus der neolithischen Zeit.

Die Grabanlage von Newgrange: Die Kammer verbirgt sich unter dem Hügel.

Die Grabanlage von Newgrange: Die Kammer verbirgt sich unter dem Hügel.

Seit 1993 gehört Newgrange als Teil der Ansammlung prähistorischer Kultstätten Brú na Bóinne in der irischen Grafschaft Meath im zentralen Osten der Insel zum Unesco-Weltkulturerbe.

Der Glaube an die „Anderswelt“

„Die Grabanlage von Newgrange ist älter als das berühmte englische Stonehenge und sogar als die ägyptischen Pyramiden“, erklärt Peter Cole. Der Guide schreitet im benachbarten Knowth, das ebenfalls zum Komplex Brú na Bóinne gehört, zu den grasbewachsenen, kreisrunden Grabhügeln. Wie in einer antiken Kunstgalerie säumen riesige Sandsteine die Kultstätten. Ihre spiralförmigen, eingeritzten Muster - sie muten psychedelisch an.

„Die Kraftorte der antiken Gottheiten wirken noch immer“, davon ist Treasa Kerrigan überzeugt, die sich an einer anderen Kultstätte, rund 20 Kilometer südwestlich von Brú na Bóinne als Hohepriesterin vorstellt. Ihr langes Haar weht im Wind, während sie eine Besuchergruppe auf den heiligen Hügel von Tara führt. Die einstige heidnische Kultstätte war Sitz der Hochkönige von Irland, ein Ort der Macht und der Mysterien.

Ganz oben reckt sich der Königsstein, „Lia Fáil“ genannt, in den Himmel. Touristen berühren die Säule aus Granit und umrunden sie dreimal mit geschlossenen Augen, wie es das Ritual besagt, um die Energie des Steins zu spüren. Nicht jedem gelingt dies.

Treasa Kerrigan stellt sich selbst als Hohepriesterin vor - wie viele ihrer Landsleute glaubt sie an die Wirkung von Kraftorten wie dem Hill of Tara.

Treasa Kerrigan stellt sich selbst als Hohepriesterin vor - wie viele ihrer Landsleute glaubt sie an die Wirkung von Kraftorten wie dem Hill of Tara.

Viele Iren glauben an die „Anderswelt“, wo Götter, Elfen und Geister wohnen sollen. Als Tor zu dieser nicht-materiellen Parallelwelt gelten Feenbäume, meist markante Weißdorngehölze am Wegesrand. Einen solch magischen Baum zu fällen, bringt schlimmes Unglück, auch das glauben manche in Irland.

„Spirituell empfindsame Menschen aus aller Welt empfinden an unseren Kraftorten einen inneren Frieden, als würden sie mit etwas Größerem verbunden sein“, versichert Treasa Kerrigan. So auch am Hügel von Uisneach in der Grafschaft Westmeath, rund 80 Kilometer weiter westlich, der auf dieser Kraftort-Rundreise eine zentrale Rolle spielt. 

Der Hill of Uisneach gilt als mythisches Zentrum Irlands.

Der Hill of Uisneach gilt als mythisches Zentrum Irlands.

Denn der rituelle Versammlungsort gilt als mythisches Zentrum Irlands. Hier feierten schon die Kelten Feuerfeste. Mit Gebeten auf Irisch ruft die spirituelle Führerin die Götter der Anderswelt, deren Zeichen sie persönlich gesehen zu haben glaubt. Sie entzündet ein Feuer. 

Kraftort mit Bio-Gemüse

Einen Kraftort der anderen Art schufen sich Gaby und Hans Wieland in Ballincastle in der Grafschaft Sligo selbst. 1985 ließ sich das Ehepaar aus Deutschland an der nordwestlichen Küste der Irischen Insel nieder, um auf ihrer Farm biologisch Gemüse und Obst anzubauen. „Wir fühlen in Irland die Energie der Natur“, sagt Hans Wieland. In ihrem üppigen Garten duften Kräuter, im Gewächshaus gedeihen Auberginen, Paprika, sogar Pfirsiche und Tomatenpflanzen.

Glauben an die Kraft der irischen Natur: die deutschen Auswanderer Hans und Gaby Wieland.

Glauben an die Kraft der irischen Natur: die deutschen Auswanderer Hans und Gaby Wieland.

Auf einer Wildkräuterwanderung zupft Gaby Wieland an einer geschmähten Pflanze: der Brennnessel. „Ihre Samen sind äußerst energiereich!“ In ihrer Küchengarten-Schule Neantóg (Gälisch für Brennnessel) vermittelt die Kräuterkundige, wie man die Kraft der Wildpflanzen nutzt und knüpft damit an altes irisches Naturwissen an.

Und es gibt weitere Orte, die Energie spenden, nicht aber unbedingt mit den alten Kraftorten in Zusammenhang stehen - etwa das Kilcullen Seaweed Bath in Enniscrone am Atlantischen Ozean. In der historischen Badeanstalt verteilt Bademeisterin Brenda Smith Seetang in Keramikbadewannen von 1912 und lässt heißes Meereswasser einlaufen.

„Unser ältester Kunde ist 96 Jahre alt“, berichtet sie, „er schwört auf die Heilkraft der jodhaltigen Algen.“ Und sobald man selbst in das seidige Wasser abtaucht und den Seetang wie eine weiche Decke über sich zieht, scheinen kraftraubende Sorgen tatsächlich entschwunden.

Doch ein Stück weiter an der Atlantikküste, wo sich der Berg Knocknarea erhebt, wird es schnell wieder mythisch. Von Weitem sichtbar ist oben ein Steinhaufen zu erkennen: das sagenhafte Grab der Königin Maeve. „Die keltische Göttin Maeve wird als unerbittliche Kriegerin beschrieben, die noch dazu jeden Mann haben konnte“, schildert Fiona Stapelton.

Die Irin leitet Wandergäste durch eine heideblühende Sumpflandschaft auf den 327 Meter hohen Berg. Oben pfeift der Wind, Regenwolken galoppieren über den Himmel. Der 360-Grad-Panoramablick muss die Menschen schon vor 5.000 Jahren beeindruckt haben. Denn thronend über der weiten Landschaft legten sie das gewaltige Steingrab mit 60 Metern Durchmesser an.

Einsam hebt sich der Knocknarea am Horizont: Der Monolith beherbergt ein altes Steingrab, in dem der Legende nach die Kriegerkönigin Maeve begraben ist.

Einsam hebt sich der Knocknarea am Horizont: Der Monolith beherbergt ein altes Steingrab, in dem der Legende nach die Kriegerkönigin Maeve begraben ist.

Archäologen haben in der Umgebung mehrere Gräber freigelegt, bewusst aber nicht das von Maeve. Die Königin soll der Legende nach stehend mit einem Schwert bestattet worden sein. Es wagte bisher jedoch niemand, den Grabhügel zu öffnen. So ruht die kraftvolle Sagengestalt in ihrem steinzeitlichen Megalithgrab ungestört weiter und nährt Irlands mythologisches Erbe – vielleicht für die nächsten Jahrtausende.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Die Republik Irland macht den größten Teil der Insel Irland aus, die westlich von Großbritannien liegt. Hauptstadt ist Dublin. Die Kraftorte liegen über ganz Irland verteilt.

Klima: Bedingt durch den Golfstrom herrscht das ganze Jahr hindurch ein mildes Klima. Für plötzliche Regenschauer sollte man stets gewappnet sein.

Anreise: Dublin ist mit mehreren deutschen Flughäfen verbunden. Von dort geht es am besten weiter mit dem Mietwagen.

Aktivitäten: 

Der Besuch von Newgrange muss vorab online gebucht werden. Tickets zur Wintersonnenwende werden im Lotterieverfahren vergeben.

Weniger frequentiert ist Loughcrew, der „Hügel der Hexen“, im County Meath.

Mehr Informationen zum Queen Maeve Trail am Knocknarea Hill auf der Website des Countys Sligo oder hier.

Kurse und Führungen in der Neantóg Kitchen Garden School mit Gaby Wieland können unter neantog.com reserviert werden.

Touren auf den heiligen Hügel von Tara mit Treasa Kerrigan können unter sacredsites.ie gebucht werden.

Das Touren-Angebot am Hügel von Uisneach findet sich unter uisneach.ie.

Weiterführende Informationen: ireland.com (dpa)