Kistenweise Mitbringsel: Vor gut 300 Jahren gingen junge englische Aristokraten auf «Grand Tour». Sie setzten Tourismus und Reiseandenken als Trends. Auch eine Art Vorläufer des Selfies war angesagt.
Wurzeln des TourismusKunst und Kurioses: Schon frühe Touristen liebten Souvenirs

Die Ausstellung „The Grand Tour“ im Mauritshuis zeigt derzeit in einer Sonderausstellung Spitzenstücke aus den Kunstsammlungen von drei britischen Landhäusern, darunter auch das Portrait von Thomas William Coke (M).
Copyright: Mauritshuis/dpa-tmn
Der junge Graf von Exeter, Brownlow Cecil, hatte einen Kopf in seinem Koffer, als er Ende des 18. Jahrhunderts von seiner großen Italienreise nach England zurückkehrte. Den Kopf der Medusa! Die schrecklich-schöne mythische Figur mit den Schlangen, die sich um den Kopf winden, war kunstvoll aus Marmor gehauen.
Der Graf stellte die Büste auf den Sims seines Kamins in seinem Landsitz Burghley House in Lincolnshire. Er musste dafür sogar ein Stück aus der dahinter liegenden Wand schlagen. Der Kopf steht dort noch immer, und nun schauen die Nachfahren des Grafen auf dieses Souvenir aus Italien.

Zu sehen in der Ausstellung „The Grand Tour“ im Mauritshuis: Kopf der Medusa.
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Ein auffälliges Souvenir eines schrulligen Grafen? Ein Einzelfall also? So ungewöhnlich sei das gar nicht gewesen, sagt die niederländische Kunsthistorikerin Ariane van Suchtelen. „Eigentlich machen wir das heute auch so: Wir kaufen uns die Kopie von einem Kunstwerk als Andenken. Zum Beispiel einen kleinen David von Michelangelo aus Gips oder Plastik.“ Auch die Medusa ist die Kopie eines Kunstwerks, vor etwa 300 Jahren hergestellt vom Bildhauer Joseph Nollekens extra für britische Touristen.
„Grand Tour“ als Beginn des Tourismus
Die Jagd nach Souvenirs ist so alt wie das Reisen. „Man ist überwältigt von der unglaublichen Schönheit einer Stadt wie Venedig oder Rom, von einer Landschaft oder einem Kunstwerk“, sagt die Kunsthistorikerin. „Man möchte etwas mitnehmen, was die Atmosphäre und das Gefühl zu Hause wieder heraufbeschwört und die Erinnerung wachhält.“ Souvenirs verhießen Erinnerung.
Van Suchtelen ist Konservatorin am Mauritshuis in Den Haag. Das Museum, berühmt für seine Gemälde niederländischer Meister aus dem 17. Jahrhundert wie Vermeer und Rembrandt, zeigt derzeit in einer Sonderausstellung Spitzenstücke aus den Kunstsammlungen von drei britischen Landhäusern: „Grand Tour – Ziel Italien“ präsentiert die Mitbringsel der ersten Touristen. Sie unterstreicht: Souvenirs von einst unterscheiden sich gar nicht so sehr von heutigen Andenken.

Von Angesicht zu Angesicht: Eine Besucherin der Ausstellung „The Grand Tour“ schaut der Gottheit Roma ins Gesicht.
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Ab dem frühen 17. Jahrhundert gingen britische Aristokraten auf „Grand Tour“ - dies gilt als Beginn des Tourismus. Die Tour sollte eine Bildungsreise vor allem für junge vermögende Männer sein. Sie sollten die klassische Kultur Italiens kennenlernen, aber auch das Leben genießen, bevor es ernst werden sollte mit Beruf und Familie.
Sie reisten mit großem Gefolge, Kutschen, Butler und Lehrer, und oft dauerte so eine Reise mehr als ein Jahr. Aber diese Reise war auch eine Shopping-Tour. Die jungen Grafen und Barone kauften kistenweise Kunst und Kurioses. So auch der Graf und die Gräfin von Exeter. Sie gaben ein Vermögen aus, erzählt der Konservator von Burghley House, Jon Culverhouse: „Ganz ehrlich, sie wollten mit ihrem Reichtum und gutem Geschmack auch protzen.“
Gemälde als Souvenir
Einer der ersten Touristen war auch Graf Thomas Coke. Er war erst 15 Jahre alt, als er 1712 nach Italien geschickt wurde. Im Süden kaufte er Kunst, um sein künftiges Familienhaus zu dekorieren: Holkham Hall in Norfolk. Diesen prächtigen Palazzo ließ Coke nach italienischem Vorbild nach seiner Rückkehr bauen. An den mit purpurrotem Damast bespannten Wänden in den Salons hängen bis heute Bilder vom Petersdom und Kolosseum in Rom.
Coke hatte in Italien einen Maler beauftragt, Bilder von Orten zu malen, an denen er selbst gewesen war. Heute wohnen seine Nachfahren in Holkham Hall umgeben von diesen Andenken. „Diese Stadtansichten waren das klassische Souvenir“, sagt Ariane van Suchtelen. Vergleichbar mit den heutigen Ansichtskarten, „und damals war es Big Business.“ Deutsche oder niederländische Künstler zogen extra nach Italien, um für Touristen Andenken herzustellen: Bilder von Sehenswürdigkeiten, Kopien von Kunstwerken oder pseudo-antike Statuen.
Portrait als Vorläufer des Selfie
Ein absolutes Muss war ein Porträt. Die jungen Männer ließen sich von damals angesagten Künstlern vor italienischer Kulisse malen. Das war mühsamer als heute ein Selfie mit dem Handy und deutlich kostspieliger, aber Geld spielte ja keine Rolle bei diesen immens reichen Dandys. „Die großen Reiseporträts sollten natürlich zu Hause Eindruck machen: Schaut her, hier war ich“, sagt Ariane van Suchtelen.

Gemalt von Pompeo Batoni, 1774: Thomas William Coke. Das Portrait hängt umgeben von anderen Werken in Holkham Hall.
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In Burghley House zum Beispiel hängt das Porträt von Graf Cecil über dem Sofa. Stolz posiert er im schicken roten Wams vor dem feuerspeienden Vesuv. „Genauso ein Selfie würden wir vor einem Vulkan machen“, sagt die Kunsthistorikerin.
Auch das Bedürfnis nach echten, authentischen Mitbringseln ist uralt. So wie heute Berlin-Touristen am liebsten nicht ohne ein Stück Mauer nach Hause fahren würden, wollten die ersten Touristen Steine aus Pompeji oder archäologische Fundstücke mitnehmen. Hauptsache alt. Doch das war schon damals nicht immer legal.
Nicht immer legal oder echt
Gerade archäologische Funde durften nicht einfach so aus dem Land gebracht werden, sagt die Kunsthistorikerin. „Vor allem der Vatikan war da sehr aktiv und sorgte dafür, dass wichtige Statuen in Italien blieben.“

Souvenir des Grafen Cecil, das nicht so alt ist, wie er dachte: der kauernde Löwe in der Schau „The Grand Tour“ im Mauritshuis.
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Eine Erkenntnis galt ebenfalls damals wie heute: Nicht alles, was echt aussieht, ist auch echt. Graf Cecil zum Beispiel kaufte einen kleinen Löwen aus rosafarbenem Marmor. „Echt antik, dachte er“, amüsiert sich der Konservator Jon Culverhouse. Man hatte dem Grafen nur weisgemacht, dass der Löwe aus der Villa des römischen Kaisers Adrianus in Ostia ausgegraben worden und also mehr als 2.000 Jahre alt war. Kenner datieren ihn dagegen auf das frühe 18. Jahrhundert. „Aber“, so Culverhouse, „es bleibt eine sehr hübsche Statue.“
Mit dem Aufkommen der Eisenbahn Anfang des 19. Jahrhunderts endete die Tradition der Grand Tour, doch nicht der Tourismus. Im Gegenteil: Reisen wurde für immer mehr Menschen erschwinglich, und die Jagd nach Souvenirs ging weiter.
Links, Tipps und Praktisches
Anreise: Den Haag ist mit Zug und Auto gut zu erreichen. Der Flughafen Amsterdam-Schiphol ist etwa 40 Kilometer entfernt, es gibt gute Bahnverbindungen. Die Landsitze Burghley House und Holkham Hall liegen 170 bzw. 200 Kilometer nördlich von London, das man über die Flughäfen Heathrow, City, Stansted, Luton oder Gatwick bzw. per Zug via Brüssel mit dem Eurostar erreicht; von dort weiter mit Bus und Bahn in gut anderthalb Stunden zum Burghley House bzw. in viereinhalb Stunden zur Holkham Hall.
Einreise: Für die Einreise in die Niederlande genügt ein gültiger Personalausweis, während Großbritannien den Reisepass sowie eine elektronische Reisegenehmigung (ETA) für 16 Pfund (rund 19 Euro) erfordert.
Unterkunft: In und um Den Haag gibt es eine große Zahl von Hotels und Pensionen in allen Preisklassen. Auf den Anwesen der beiden britischen Landsitze gibt es stilvolle Übernachtungsmöglichkeiten.
Ausstellungen und Kunst: Das Mauritshuis in Den Haag beheimatet eine große Sammlung von Gemälden niederländischer Meister. Die Ausstellung «The Grand Tour - Reiseziel Italien» läuft noch bis 4. Januar 2026 und kostet regulär 20 Euro Eintritt (Kinder bis 18 Jahre gratis). Der Eintritt ins Burghley House mit großer Kunstsammlung, historischen Sälen und Gärten beträgt 20 Pfund (umgerechnet knapp 23 Euro), der zur Holkham Hall 24 Pfund (gut 27 Euro).
Weiterführende Informationen: holland.com; visitbritain.com (dpa)
