Generation FeindbildBoomer verkaufen Altersstarrsinn als jugendlichen Widerstandsgeist

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Ein Dinosaurier frisst die Erde auf.

Die Boomer haben die Welt für sich vereinnahmt.

Die Boomer sind eine anstrengende Generation. Sie nehmen zu viel Platz ein, ihnen mangelt es an Umweltbewusstsein und dabei sind sie noch verbohrter als ihre Eltern gegen die sie einst rebellierten.

Wie viel Schuld trifft die Generation der Boomer? Sie haben bei allen Verfehlungen unseren Wohlstand aufgebaut und Großartiges erfunden, von dem wir heute noch profitieren, sagt Claudia Lehnen. Sie gelten als Umweltzerstörer und überhebliche Hedonisten und sind vor allem eines: Immer zu viele. Sagt Christian Bos.

Die Pubertät dient bekanntlich dazu, aus Kindern Erwachsene zu machen. Erwachsene, die ihren eigenen Weg finden. Nicht den der Eltern. Das führt zu Konflikten. Probleme gibt es aber erst, wenn man diese Konflikte nicht ausagiert. Ein Generationenkonflikt wie der zwischen den Millennials und den Babyboomern überträgt die Pubertät ins gesellschaftliche Feld.

Nur müsste der inzwischen längst gelöst sein, die ersten Millennials haben bereits die 40 überschritten. Warum sollten sie sich noch an den Boomern abreagieren? Und wo bleibt die Auseinandersetzung zwischen der Generation X – meiner Zeitkohorte – und ihren Kindern, den Zoomern? Genau: die haben uns die Boomer auch geklaut, für sich vereinnahmt.

Christian  Bos

Christian Bos

Redakteur im Kulturressort. Schreibt seit Mitte der 1990er über Theater und Popkultur. Seit 2001 arbeitet er für den „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er ist in Niedersachsen geboren, im Allgäu aufgewachsen un...

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Sie nehmen zu viel Platz ein, diese Boomer, nicht nur zahlenmäßig, sondern vor allem im Diskurs. So lautet, denke ich, der unausgesprochene Grundvorwurf an die zwischen 1945 und 1965 Geborenen, der sich hinter vielen anderen Anfeindungen versteckt, wie etwa dem angeblich mangelnden Umweltbewusstsein der Boomer – wenn sie nicht gleich vollumfänglich die Klimakatastrophe zu verantworten haben.

Das ist selbstredend Humbug. Aber das Gefühl nachfolgender Jahrgänge, von den Boomern regelrecht erdrückt zu werden, über das müssen wir mal reden. Es ist eben nahezu unmöglich, gegen eine Generation anzupubertieren, die von sich behaupten kann, das Konzept „Teenager“ überhaupt erst erfunden zu haben. Ach, und die Idee, gegen „die Alten“ zu rebellieren natürlich auch.

Boomer wehren sich gegen Veränderung mit dem Hinweis, sie hätten genug bewegt

Das gipfelt letztlich darin, dass sich auf Konzerten der Rolling Stones 70- bis 80-jährige Eigenheimbesitzer gegenüberstehen und zubrüllen, dass sie einfach keine Befriedigung erreichen können. Während jüngere Musikfreunde von Stars abgeholt werden, die sich maximal nahbar geben und ihnen zuerst einmal einen „safe space“ versprechen: „Gimme Shelter“, um noch einmal die Rolling Stones zu bemühen. Von großen Eigenheimen können die meisten Millennials nur träumen, vielleicht reicht es ja irgendwann zum Tiny House.

Das ist unfair. Aber „unfair“ ist eben eine typische Teenager-Kategorie und wenn man die bemüht, läuft man nur Gefahr, von Boomern darauf hingewiesen zu werden, wie viel radikaler einst ihr Protest gegen die herrschenden Verhältnisse war. Den rebellischen Geist haben sie sich bewahrt. Nur, dass der sich heute gegen jede weitere Veränderung richtet, man hat ja selbst schon genug bewegt. Und zwar ganz große Brocken. Aber jetzt wollen die jungen Konformisten diese heroisch errungene Freiheit wieder beschränken, indem sie neue Grenzen des Verhaltens einführt, neue Minderheiten, neue Geschlechter. Indem sie unsere Sprache mit Sternchen und Doppelpunkten mikromanagen will? Unverschämtheit!

„Ok, Boomer“, lautete die schnippische Antwort der Millennials, die vor vier Jahren um die Welt ging. Es war eher ein Ausruf der Erschöpfung. Angesichts einer Generation, die keinen Millimeter von ihrer kulturellen und politischen Hegemonie abzutreten bereit ist. Die alle guten Bands und alle wichtigen Umwälzungen für sich reklamiert hat. Die viel verbohrter ist, als die Eltern, gegen die sie rebelliert hat. Und die dann noch die Chuzpe hat, ihren Altersstarrsinn als jugendlichen Widerstandsgeist zu verkaufen.

Es reicht, Boomer. Gebt uns Platz zum Atmen.

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