Umstrittene Doku im TVWarum der Film „Elternschule“ so heftig diskutiert wird

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Elternschule - Greta

Szene aus dem Film „Elternschule“.

Köln – Wohl kaum ein Kinofilm wurde so heftig und kontrovers diskutiert wie die Dokumentation „Elternschule“, die vergangenen Herbst in den Kinos gezeigt wurde. Darin wird der Alltag in der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen gezeigt, wo Kinder mit schweren Verhaltensauffälligkeiten und psychosomatischen Beschwerden, mit Schlaf- oder Essstörungen in Behandlung sind. Am Mittwoch, 3. Juli, wird der Dokumentarfilm um 23 Uhr in der ARD ausgestrahlt. Worum es im Film selbst und in den heftigen Kontroversen über den Film geht, können Sie in unserer aktualisierten Besprechung noch mal nachlesen.

Worum geht es in dem Film genau?

Der Film begleitet verschiedene Eltern-Kind-Paare über den Zeitraum von mehreren Wochen. In der Therapie wird mit den Kindern Verschiedenes geübt. Es beginnt damit, überhaupt einmal für kurze Zeit von den Eltern getrennt zu sein. Und schließlich zu lernen, an festen Essenszeiten zu essen. Und nachts alleine zu schlafen. Parallel wird gezeigt, wie die Eltern in Kursen lernen, warum sich ein Kind wie verhält, weshalb es sich verweigert. Aber auch, was ihr Verhalten damit zu tun hat. Und warum Konsequenz, Regeln und Grenzen wichtig sein sollen.

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Szene aus dem Film „Elternschule“.

Was wird alles gezeigt?

Die Familien, die sich freiwillig in der Klinik melden, sind weit entfernt von einem normalen Familienleben. Die Eltern sind mit den Nerven am Ende und suchen fachliche Hilfe. „Wenn das mit dem Schlafen hier nicht klappt, dann müssen wir sie in ein Heim geben, ich kann das nicht mehr“, sagt etwa die Mutter eines Mädchens beim Aufnahmegespräch.

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Der Film zeigt sowohl die Kinder als auch die Eltern in den für sie schwierigen Therapiesituationen. Oft weinen und wimmern die Kinder und wehren sich mit Händen und Füßen. Etwa wenn sie bei den körperlichen Untersuchungen, schon als Teil der Therapie, alleine auf der Liege festgehalten und untersucht werden, während die Mutter etwas entfernt auf einem Hocker sitzen bleiben muss. Oder wenn sie beim Schlaftraining über Nacht alleine in die Hände des Fachpersonals gegeben werden. Wenn sie zum Spazierengehen und Joggen gezwungen werden. Die älteren Kinder müssen beim Essen teilweise alleine mit ihrem Teller in einem Raum sitzen.

Elternschule - Essverhaltenstraining durch Scheibe

Essverhaltenstraining, beobachtet durch eine Scheibe.

Auch die Emotionen der Eltern werden gezeigt. Man sieht, wie schwer es für sie ist, die Reaktionen ihrer Kinder auszuhalten. Wie sie mit der Situation zu kämpfen haben. Auch in den Besprechungen des Fachpersonals werden die Gefühle der Eltern ständig im Blick gehalten. Es wird erörtert, welche Rolle ihr Empfinden und Handeln vor Ort für das Verhalten der Kinder und den Therapieerfolg spielt. Am Ende gibt es Sequenzen, in denen gezeigt wird, wie einige Kinder wieder essen. Und schlafen. Im Rückblick bedanken sich manche Eltern und berichten von Erfolgen. Andere erzählen von wechselnden Rück- und Fortschritten.

Worüber wurde gestritten?

Der Film hat eine ambivalente Debatte in Gang gebracht. Insbesondere der Umgang mit den Kindern in der Klinik hat einen Aufschrei unter Eltern, Bloggern, Verbänden und Fachleuten ausgelöst. Viele kritisieren die dort gezeigten Behandlungsmethoden. Kinder „zum Essen zu zwingen, schreien zu lassen, ihre Seelen zu brechen“, das würde die Würde des Kindes und sein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung verletzen, hieß es in einer Petition, die forderte, die Ausstrahlung des Films zu untersagen und den Betrieb der Klinik zu überprüfen. Eine „unwürdige Behandlung kleiner Kinder“

Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster sagte, der Film zeige viele Beispiele einer unwürdigen Behandlung kleiner Kinder. „Er enthält Szenen, die eindeutig im Zusammenhang mit Kindeswohlgefährdung diskutiert werden müssen.“ Auch für problematisch halte er, dass in dem Film Eltern vermittelt würde, diese Form der Erziehungsmethoden sollten sie selbst zuhause anwenden, zum Beispiel ihr Kind zum Essen zu zwingen.

Kritisch beäugt wird aber auch die Frage, ob Familien auf diese Weise in der breiten Öffentlichkeit dargestellt werden dürfen. Der Kinderschutzbund stellte in einem offenen Brief in Frage, „ob die Einwilligung der Kinder aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung sowie die Einwilligung der Eltern aufgrund der Abhängigkeit gegenüber solchen Hilfsangeboten objektiv gegeben sein kann.“

Klinik verteidigt ihre Therapiemaßnahmen

Die Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen verteidigte ihr Therapiekonzept. Seit vielen Jahrzehnten profitierten die Kinder und ihre Familien von dem Therapieprogramm. Das Konzept sei „wissenschaftlich evaluiert, von den Krankenkassen anerkannt und leitliniengerecht.“ Die Vorwürfe gegenüber der Klinik seien absurd.

Elternschule_Seminar

Seminar an der Kinder- und Jugendklinik Gelsenkirchen mit Leiter Dietmar Langer (li).

Der Psychologe Dietmar Langer, der auch im Film vorkommt, sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zum Vorwurf, dass Kinder bevormundet werden: „Was wir da machen, ist eine Krankenbehandlung. Das Ziel ist eine entspannte Familiensituation, ein entspanntes kooperatives Verhalten, ein erholtes Kind. Aber um dahinzukommen, brauch ich Klarheit. Mit Drill hat das nichts zu tun.“ Hinter ihren Behandlungsverfahren stehe der Ansatz, konsequent und liebevoll mit dem Kind umzugehen.

Auch die Filmemacher Jörg Adolph und Ralf Bücheler reagierten auf die viele Kritik mit weiteren Erklärungen. Die Dokumentation sei kein „Ratgeberfilm“, sondern zeige Menschen in einem therapeutischen Verfahren und mögliche Handlungsoptionen. Die Kinder würden durch die Behandlung nicht traumatisiert, sondern entlastet und gestärkt. Die Regisseure zeigten sich entrüstet über die Heftigkeit der Kritik.

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In den Medien wurde der Film anfangs teils sehr positiv besprochen. Der Film sei ein „kraftvoller Blick auf der Suche nach einer guten Erziehung“, heißt es zum Beispiel im Bayerischen Rundfunk. Die Süddeutsche Zeitung schrieb sogar: „Für jeden, der selbst Kinder hat, ein Muss.”

Diese Sichtweise hat sich durch die Proteste, die den Film begleitet haben, verschoben. In einem aktuellen Artikel in der Süddeutschen Zeitung sagen die beiden Regisseure Ralf Bücheler und Jörg Adolph, dass sie den Film nicht noch einmal machen würden. Sie würden sich schlichtweg nicht mehr trauen. Sie haben wohl unterschätzt, wie stark sich die Ansichten, was gute Erziehung heute bedeutet, gewandelt haben.

Als positives Fazit bleibt am Schluss deshalb vermutlich nur die Tatsache, dass eine Kino-Doku über Erziehungsfragen so viele Meinungen, Emotionen und Gedanken hervorbringt. Es zeigt, wie lebendig sich Mütter, Väter und Fachleute in unserer Gesellschaft mit dem Thema auseinandersetzen. Schließlich geht es um nichts anderes als das Glück und die Gesundheit von Kindern und Eltern.   

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