„Ich bin jetzt Vegetarier"Wenn Kinder kein Fleisch mehr essen möchten

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Hey, so viel Obst und Gemüse!

Eltern sollten einen kindlichen Salami-Boykott respektieren. Das sagt Prof. Mathilde Kersting, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) im Interview. Wir haben die Expertin zu vegetarischer Ernährung von Kindern befragt.

Kinder machen sich viele Gedanken über ihr Essen. Manche finden es komisch, Tiere zu essen, und werden zu Vegetariern. Wie ernst sollte man das nehmen?

Eltern sollten dem Wunsch, vegetarisch zu leben, entgegenkommen, aber nicht überreagieren. Weder positiv noch negativ. Manchmal bleiben die Kinder Vegetarier, manchmal ist es aber auch nur eine kurze Phase, weil „vegetarisch“ im Freundeskreis gerade angesagt ist.

Viele Eltern haben Angst, dass ihren Kindern etwas fehlt, wenn sie fleischlos leben. Wie berechtigt ist diese Sorge?

Fleisch liefert Nährstoffe wie Eiweiß und Vitamine und von den Mineralstoffen vor allem Eisen. Beim Eisen muss man sich mehr Gedanken machen. Fleisch ist ein guter Lieferant, denn das Eisen kann leichter vom Körper aufgenommen werden als das von Pflanzen. Vor allem Säuglinge und Kleinkinder brauchen sehr viel Eisen. Ebenso Mädchen in der Pubertät: Eisen wird für die Blutbildung benötigt. Mit dem starken Wachstum in der frühen Kindheit vergrößert sich entsprechend auch die Blutmenge. In der Pubertät erhöht sich der Eisenbedarf der Mädchen, da die Blutverluste durch die Regelblutung ausgeglichen werden müssen.

Aber Nährstoffe und Eisen lassen sich ersetzen. Wie schwer ist das?

Normalerweise empfehlen wir für Kinder und Jugendliche die „Optimierte Mischkost“ – ein Konzept, das das Forschungsinstitut für Kinderernährung schon Anfang der 1990er entwickelt hat. Diese Kost enthält alle Lebensmittelgruppen und die Kinder sollten in jedem Fall reichlich pflanzliche Lebensmittel essen. Der Fleischgenuss hingegen sollte ohnehin mäßig sein. Kinder benötigen bei Optimierter Mischkost nur etwa 40 Gramm Fleisch oder Wurst, Jugendliche und Eltern etwa 70 Gramm. Je mehr Gruppen der tierischen Lebensmittel aus dem Speiseplan gestrichen werden – also außer Fleisch auch Fisch und schließlich auch Milch –, desto mehr Gedanken muss man sich um die richtige Lebensmittelauswahl machen. Solange die vegetarische Ernährung ausgewogen ist, können Nährstoffe und Eisen relativ leicht ersetzt werden.

Womit genau kann man 40 Gramm Fleisch ersetzen, um eine gute Nährstoffversorgung zu gewährleisten?

Milch alleine ist kein Ersatz für Fleisch. Milch liefert zwar das benötigte wertvolle Eiweiß, aber nicht genügend Eisen. Kinder, die auf Fleisch verzichten, sollten möglichst viele Vollkornprodukte und Gemüse essen – auch eisenhaltige Lebensmittel. Eltern sollten darauf achten, dass in einer solchen Mahlzeit. Auch Vitamin C enthalten ist, damit das Eisen besser aufgenommen werden kann.

Zum Beispiel?

Am Morgen kann das ein Müsli mit Haferflocken sein, das auch Apfel- oder Apfelsinenstückchen enthält. Schulbrote können zusätzlich mit Tomaten, Paprika oder Äpfel belegt werden. Ein Vollkornnudelauflauf mit Kohlrabi ist auch ein tolles Gericht.

Halten Sie es für realistisch, dass man Pubertierende für Vollkornaufläufe begeistern kann?

Natürlich essen Kinder und Jugendliche auch gerne Fast Food und Süßigkeiten. Es bringt auch nichts, das generell zu verbieten. Im Konzept der Optimierten Mischkost sind auch solche kalorienreichen Nahrungsmittel enthalten, aber nur ab und zu. Eltern sollten deshalb kompromissbereit sein und diese Produkte in kleinen Mengen akzeptieren. Wenn die restliche Ernährung ausgewogen ist, ist das der Gesundheit nicht abträglich. Wichtig ist, dass die Familie sich generell gemeinsam gut ernährt, denn Kinder lernen gesundes Essen am leichtesten durch Gewöhnung, ohne Zwang.

Bio-Produkte, Erkenntnisse, Untersuchungen

Was bedeutet es, wenn Kinder auch keinen Fisch mehr möchten?

Seefisch ist eine wichtige Jodquelle. Wenn diese fehlt, muss sie unbedingt ersetzt werden. Eltern sollten also beim Salzen im Haushalt immer Jodsalz verwenden und darauf achten, dass dies auch in industriell hergestellten Produkten enthalten ist. Es genügt nicht, wenn Fertigsuppen, Tiefkühlprodukte oder Brot laut Packungsangabe Salz enthalten. Es muss Jodsalz sein. Ich empfehle außerdem, dass Eltern beim Bäcker nachfragen sollten, ob er dieses verwendet.

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Mutter und Tochter schnippeln Gemüse.

Sollten Eltern für ihre kleinen Vegetarier lieber Bioprodukte kaufen?

Bei der biologischen Produktion  wird weitgehend auf Pflanzenschutzmittel, Gentechnik und Mineraldünger verzichtet. Auf die Nährstoffe hat die Herstellung aber keine nennenswerten Auswirkungen. Eine Ausnahme gibt es bei der Milchproduktion: Konventionelle Milch beinhaltet meist mehr Jod, weil die Kühe es ins Futter bekommen. Sie ist daher neben Jodsalz und Seefisch eine wichtige Jodquelle.

Wie erfolgreich sind die Eltern bei der Umsetzung einer gesunden vegetarischen Ernährung? Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Wissenschaft?

Zur vegetarischen Kinderernährung und deren Auswirkungen auf die Gesundheit liegen uns leider keine aktuellen Studien vor. Was wir haben, sind Publikationen zu Schwangeren und stillenden  Müttern, die sich vegan ernähren. Sie besagen, dass die Gefahr eines Mangels an Vitamin B12 bei den Kindern sehr hoch ist. Denn Vitamin B12 ist nur in tierischen Lebensmitteln enthalten. Bei veganer Ernährung kommt es ohne zusätzliche Vitamin-B-12-Supplementierung auf Dauer zu einem Vitaminmangel. Davon ist auch das Kind betroffen, wenn es schon vor der Geburt und anschließend beim Stillen mangelhaft mit Vitamin B12 versorgt wurde. Die hat bei jungen Kindern leider schonwiederholt zu Entwicklungsstörungen geführt.

Wie häufig sollten sich vegetarisch lebende Kinder untersuchen lassen?

Wenn es keine gesundheitlichen Schwierigkeiten gibt, sollten sie regelmäßig zum Kinderarzt gehen, das empfehle ich vor allem bei veganer Ernährung. Ob es nötig ist, ein Blutbild zu machen, entscheidet er.

Aus Angst vor Allergien und Krankheiten vermeiden immer mehr Eltern präventiv Milchprodukte und Weizen. Wie sinnvoll ist das?

Nur Kinder, bei denen in entsprechenden Tests unter ärztlicher Kontrolle eine Nahrungsmittelallergie nachgewiesen wurde, sollten diese Lebensmittel meiden. Eine vorauseilende Vermeidung von Lebensmitteln, die häufig Allergien auslösen, ist dagegen bei gesunden Kindern sinnlos. Im Gegenteil: Aus der Säuglingsernährung wissen wir, dass eine frühe Auseinandersetzung des kindlichen Immunsystems mit Nahrungsmittelallergenen die Entwicklung einer Toleranz sogar fördern kann.

Was raten Sie Eltern, die sich oder ihre Kinder vegan ernähren (wollen)?

Bei veganer Ernährung sollten Eltern sehr gut informiert sein, weil sie viele Nährstoffe ergänzen müssen, die in Fleisch, Fisch, Milch und Eiern enthalten sind. Sie müssen sich mit Supplementierungen sehr gut auskennen. Dazu nur ein Beispiel: Sie müssen nicht nur Vitamin B12 ersetzen, sondern sie müssen genau wissen, wie groß die Menge sein muss. Dasselbe gilt für Vitamin D, Jod, Kalzium, wichtige Fettsäuren und schließlich auch Eiweiß. Darüber sollten Eltern sich sehr genau bei ihrem Kinderarzt informieren.

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