WindelfreiPaul aus Köln ist trocken, seit er 1 Jahr alt ist – So haben seine Eltern das geschafft

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Kleinkind sitzt auf Töpfchen umringt von Spielzeug. Symbolbild.

Auf dem Weg zum Trockenwerden dürfen Kinder das Töpfchen auch mal als Spielzeug nutzen. Das Kleinkind auf dem Foto ist übrigens nicht unser Protagonist Paul.

Das Thema „Trocken werden“ stresst viele Eltern. Wie man die Kinder schon frühzeitig dabei begleiten kann, verrät eine Kölner Coachin.

Mit 16 Monaten konnte Paul jene Worte, die für das Alter typisch sind: Seine Mutter nannte er „Mama“, seinen Vater „Papa“, das runde, rollende Ding „Ball“ und wenn er mal groß auf Toilette musste, sagte er „Aa“. Paul aus Köln war schon mit einem Jahr trocken, kurze Zeit später konnte er sein Bedürfnis sogar benennen. Seit er 18 Monate alt ist, braucht er auch nachts keine Windel mehr. Erzieherinnen, Freunde, Fremde auf dem Spielplatz: Alle sind völlig fasziniert, wenn sie Pauls Geschichte hören. Doch wie haben seine Eltern es geschafft, dass Paul so früh keine Windel mehr braucht? Darüber haben wir uns mit Pauls Eltern, Oli und Nina, die in diesem Artikel lieber anonym bleiben möchten, unterhalten. Und wir haben eine Coachin für Babys und Kleinkinder gefragt, wie das auch anderen Eltern gelingen kann.

„Ich bin in Russland geboren und da war es damals ganz normal, dass die Kinder früh trocken wurden. Es gab einfach keine Plastikwindeln“, erzählt Nina. „Die drei Kinder meiner Schwester waren auch mit etwa einem Jahr trocken. Deswegen war für mich von Anfang an klar, dass wir es mit Paul auch so machen.“ Und gemacht haben sie und ihr Mann folgendes: Zu Hause trug Paul fast nie eine Windel. „Es gab Tage, da hatten wir zehn nasse Hosen am Tag“, erzählt Nina und lacht. „Wir hatten einen richtigen Stapel mit Pinkel-Hosen.“ Fürs Schlafen, wenn sie unterwegs waren oder Besuch hatten, trug Paul aber Windeln, als er noch kleiner war.

Durch Windeln verlieren Kinder das Gefühl für ihre Ausscheidung

Damit haben Nina und Oli schon den wichtigsten Schritt in Richtung Trockenwerden unternommen, findet Maja Gyenis. Sie ist Coachin im „artgerecht“-Projekt, gegründet von Nicola Schmidt, und bietet im Kölner Raum Baby- und Kleinkind-Kurse sowie Vorträge zu verschiedenen Elternthemen an. „Wir gehen davon aus, dass ein Baby von Geburt an bereit ist, sein Bedürfnis nach Ausscheidung anzuzeigen. Denn kein Baby will sein „Nest“ beschmutzen.“ Dieses Bedürfnis verschwindet allerdings mit der Zeit – zumindest, wenn das Baby 24 Stunden am Tag hochleistungsfähige Super-Absorber-Windeln trägt. „Das Baby macht Pipi, aber die Windel bleibt trocken. Daran gewöhnen die Kinder sich – und verlieren nach und nach das Gefühl für ihre Ausscheidung“, sagt Gyenis.

Porträt-Foto. Maja Gyenis bietet im Kölner Raum Baby- und Kleinkind-Kurse sowie Vorträge zu verschiedenen Elternthemen.

Maja Gyenis bietet im Kölner Raum Baby- und Kleinkind-Kurse sowie Vorträge zu verschiedenen Elternthemen an.

„Und dann sollen die Kinder ab etwa drei Jahren bitte schnell trocken werden und ihr Körpergefühl wieder anschalten. Das geht natürlich nicht so plötzlich.“ Deswegen ist Gyenis Verfechterin der Windelfrei-Methode. Das Wort jedoch, das muss man direkt dazu sagen, ist irreführend. Windelfrei bedeutet nämlich nicht, dass das Kind überhaupt keine Windel trägt. Es bedeutet, dass man es immer mal wieder ohne Windel sein lässt und ihm mehrmals am Tag die Möglichkeit gibt, durch Abhalten seine Ausscheidungen abzusetzen – und zwar von Geburt an. Dafür lehnt man den Säugling mit dem Rücken gegen den eigenen Bauch und klemmt sich selbst das Töpfchen zwischen die Beine. „Der Zweck von Windelfrei ist nicht, dass das Kind möglichst früh trocken werden soll“, betont Maja Gyenis. „Es geht um Kommunikation und darum, die Verbindung zum Kind zu stärken und das Gefühl für das Ausscheidungsbedürfnis zu erhalten.“

Auch Paul bekam in den ersten Wochen nach seiner Geburt ein winziges Töpfchen. „Wir hatten uns vorher gar nicht informiert und bekamen dann diesen Tipp von der Hebamme“, sagt Nina. „Das Abhalten hat wirklich gut funktioniert, dadurch hatte Paul auch weniger Koliken.“ Mit der Zeit lernten sie: Direkt nach der Milch kommt das große Geschäft – und hielten das Töpfchen dann schon parat. Auch sonst boten sie Paul mehrmals am Tag an, sich auf dem Töpfchen zu entleeren und fragten ihn mit einigen Monaten, ob er Pipi oder Aa muss. Doch je älter Paul wurde, desto seltener klappte es. „Es gab immer wieder Phasen, wo Paul überhaupt nicht mitgemacht hat, und in den ersten Monaten hatten wir wirklich viele nasse Hosen. Das war schon aufwändig. Aber wir wussten ja durch meine Mutter, dass es klappen kann und sind deswegen dran geblieben.“ Das, so betont Nina, sei aber auch nur möglich gewesen, weil sie mehrmals gemeinsam Elternzeit hatten und sich so die Zeit dafür nehmen konnten. Was sie neben dem Trockenwerden vor allem vermeiden wollten, war, dass Paul Hautausschläge bekommt. Kostenersparnis und Müllvermeidung waren dritt- beziehungsweise viertrangige Faktoren.

Windelfrei soll allen Spaß machen und nicht stressen!
Maja Gyenis

Sobald sich die Kinder drehen oder krabbeln lernen, klappe Windelfrei bei vielen Eltern nicht mehr so gut, erzählt Gyenis aus ihrer Erfahrung. „Die Babys werden dann mobiler und wollen in ihrer Bewegung nicht unterbrochen werden. Die haben dann was anderes im Kopf.“ Dann sei es wichtig, eine Pause einzulegen. „Wenn man zu streng daran festhält, verweigert das Kind das Abhalten irgendwann komplett.“ Sie empfiehlt, es nach einigen Wochen erneut zu versuchen. Meist komme das Interesse zurück, auch noch nach Monaten. „Windelfrei soll allen Spaß machen und nicht stressen!“ Eine Lektion, die sie schmerzhaft lernen musste: Sie selbst setzte sich so sehr unter Druck, dass sie vom vielen Abhalten ihres Babys an beiden Händen Sehnenscheidenentzündungen bekam. Nach der Windelfrei-Coach-Ausbildung lautet ihr Rat heute: „Zwei Mal am Tag Abhalten reicht. Besonders gut klappt es übrigens morgens nach dem Aufstehen, nach dem Mittagsschlaf und während oder nach dem Stillen.“ Sobald die Kinder frei sitzen können, kann man ihnen ein Töpfchen zum Sitzen anbieten. Gyenis rät, gemeinsam mit dem Kind verschiedene Töpfchen im Babymarkt auszuprobieren. Der Vorteil des Töpfchens sei, dass das Kind sich selbstständig daraufsetzen kann – und mit den Füßen Kontakt zum Boden hat. „Das brauchen die Kinder, um sich entspannen zu können.“

Teddybär sitzt auf Töpfchen. Symbolbild zu Magazin-Geschichte über Kleinkind Paul, der schon mit 1 Jahr trocken ist. 

Getty Images/Liudmila Chernetska

Das Kind spielerisch ans Töpfchen gewöhnen – da muss auch schon mal der Teddy Pipi machen.

Immer wieder, so erinnert Mama Nina sich, gab es Situationen, da habe Paul an sich runtergeschaut und dann wurde die Hose nass. „Und irgendwann hat er verstanden, was da passiert ist.“ Mit etwa einem Jahr lief er Richtung Bad, wenn er mal musste. Denn dort hatte er seinen Toilettensitz. Für ein erfolgreiches Geschäft gab es Applaus von den Eltern. Doch dann musste Paul seine Wohlfühlzone verlassen: Die kleine Familie tourte vier Monate lang mit dem Bully durch Südeuropa und Paul musste unterwegs oder auf Campingplätzen aufs Töpfchen gehen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte er sich umgewöhnt.

Je mehr wir uns und ihm zugetraut haben, desto besser hat es funktioniert.
Oli und Nina

Es brauche eine hohe Bereitschaft, sich so auf das Kind einzustellen, dass man es so früh und ohne Druck trocken bekommt, findet Maja Gyenis. Ihrer Erfahrung nach sind die meisten windelfreien Kinder zwischen 22 und 26 Monaten dann wirklich ohne Windeln. Interessierten Eltern empfiehlt sie, die Ausscheidungen schon möglichst früh klar und vor allem wertfrei zu benennen. Statt zum anderen Elternteil zu sagen „Bah, den Stinker musst du aber wegmachen!“, könne man zum Kind sagen: „Du hast Kaka gemacht.“. Hilfreich sei auch, nach dem Aufstehen einfach gemeinsam mit dem Kind ins Bad zu gehen, der Elternteil sitzt auf Toilette, das Kind auf dem Töpfchen. Rund um den ersten sowie rund um den zweiten, später dann um den dritten Geburtstag öffnen sich Lernfenster in der Entwicklung, in denen es für Kinder leichter sei, trocken zu werden. Trotzdem: „Der Mythos, dass Kinder unter 24 Monaten gar nicht trocken werden können, hält sich hartnäckig.“

Auch Oli und Nina haben neben Faszination schon Kritik geerntet. Ob es denn wirklich gut für das Kind sei, so früh schon trocken zu sein, fragte sie jemand. „Aber natürlich haben wir Paul nie zu etwas gezwungen, sondern ihm immer nur Angebote gemacht“, betonen sie. Ihr wichtigster Lerneffekt: „Je mehr wir uns und ihm zugetraut haben, desto besser hat es funktioniert.“ So trug er anfangs auf den Fahrten im Urlaub immer noch Windel, erzählt Oli. Und dann haben sie es mal ohne probiert. „Klar hatten wir auch mal einen nassen Autositz, aber im Großen und Ganzen hat das gut geklappt.“ Geschichten, in denen etwas daneben ging, haben sie trotzdem einige zu erzählen. Zum Beispiel die, als sie mit Paul im Restaurant saßen und ihr Sohn einfach drauflos pinkelte. „Das war schon extrem peinlich“, sagt Oli. Und Nina: „Ja, aber zum Glück saßen wir doch draußen.“

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