Wohnen im AlterAuf der Suche nach den Alternativen zum Seniorenheim

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Ein Pionier in Sachen alternatives Wohnen im Alter: der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf.

Köln – Es ist eine Frage, die uns alle früher oder später umtreibt. Die meisten beschäftigt sie allerdings erst später. Und manche auch zu spät. Dann, wenn der Oberschenkel schon gebrochen ist. Der Schlaganfall zu Einschränkungen geführt hat. Oder die Einsamkeit in eine Depression gemündet hat. Die Frage lautet: Wie wollen wir im Alter leben? Oder auch: Wie wollen wir im Alter nicht leben? „Die Fülle der Auswahlmöglichkeiten dezimiert sich, je älter man wird. Wenn man zu lange abwartet, muss man das nehmen, was übrig bleibt“, sagt Christiane Hastrich. „Und das ist zurzeit immer noch das Seniorenheim. Doch das ist teuer, die Plätze sind rar – und viele möchten dort auch gar nicht hin.“ Deswegen haben Christiane Hastrich und ihre Freundin Barbara Lueg sich auf die Suche nach alternativen Wohnformen begeben. In diesem Artikel berichten sie über die vielfältigen und hoffnungsvollen Möglichkeiten, die sie dabei gefunden haben. Und mit Hilfe von Kathleen Battke werfen wir einen Blick auf die spezifische Situation in Köln.

Die meisten Seniorinnen und Senioren leben heute, da sind sich die Experten einig, in ihrer Mietwohnung oder dem eigenen Haus – und die allermeisten wollen auch dort bleiben. Dies benennen die Altenberichte der Bundesregierung – differenzierte und belastbare Zahlen gibt es dazu jedoch kaum. „Das Grundbedürfnis ist: Nicht allein und nicht ins Heim“, formuliert Kathleen Battke zugespitzt. Battke arbeitet für den von der Stadt Köln geförderten Verein „Neues Wohnen im Alter“, der Menschen mit einem Interesse an gemeinschaftlichen Wohnformen berät und zusammenbringt. Sind die Kinder aus dem Haus, bleibt das Paar meist alleine zurück. Und wenn dann einer stirbt, lebt ein Mensch plötzlich alleine. Und manchmal auch einsam. „Wir wissen, dass wir durch gemeinschaftliches Wohnen Einsamkeit und damit auch Krankheiten wie Depressionen vermeiden können“, sagt Kathleen Battke.

KBattke KStA - Foto von Tine Huth-Jelkmann

Kathleen Battke

Also doch ins Heim? „Die meisten Menschen wollen ihre Autonomie und Selbstbestimmtheit nicht an eine Institution wie ein Heim abgeben, sie wollen ein Gefühl des Privaten aufrechterhalten“, beschreibt die studierte Kommunikationswissenschaftlerin das Bedürfnis. Also bleiben die meisten lieber alleine zu Hause in der gewohnten Umgebung. „Aber glücklich sind sie damit oft nicht mehr“ , sagt Battke.

Rollator oder Rollstuhl machen Probleme

Und was passiert, wenn Rollator oder Rollstuhl in die heimischen vier Wände einziehen? Gerade in Einfamilienhäusern führt das zu Problemen: Schon zur Haustür führen Stufen hinauf, das Schlafzimmer liegt im ersten Stock, das Bad ist zu klein, die Dusche nicht ebenerdig, die Türen viel zu schmal. Und was, wenn die Mietwohnung in einem Haus ohne Aufzug im dritten Stock liegt? In Köln informiert die Beratungsstelle „wohn mobil“ vom Amt für Wohnungswesen und der PariSozial gGmbH kostenlos zum Thema Wohnraumanpassung und Finanzierung. Doch selbst wenn eine Anpassung aus architektonischer Sicht möglich ist und eine finanzielle Unterstützung durch die Pflegekasse genehmigt wird, bleibt doch oft noch ein ganzer Batzen übrig, der dann von der kleinen Rente bezahlt werden möchte. Nicht ideal.

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Seniorenresidenz in Bad Füssing, wo Barbara Lueg und Christine Hastrich (hinten Mitte) zur Probe gewohnt haben.

Battke betont, dass ihr Verein Heimen nicht generell ablehnend gegenüber stehe. „Aber wir versuchen, zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen besser abdecken.“ Und die sind auch dringend notwendig. Denn die Plätze in Heimen sind für viele nicht nur unattraktiv, sondern mit ungefähr 2000 Euro pro Monat und mehr auch sehr teuer. Zudem sind sie rar, es gibt lange Wartelisten und vor allem viel zu wenig Pflegepersonal. Und diese Situation wird sich aufgrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahren noch verschärfen, wenn durch eine ganze Generation von Babyboomern aus den 1950er und 1960er Jahren zuerst das Rentensystem und dann die Pflegestrukturen ihre Grenzen erreichen.

Babyboomer wollen im Alter selbstbestimmt leben

Zu genau dieser Generation gehören Barbara Lueg und Christiane Hastrich. „Unsere Eltern sind einfach dort wohnen geblieben, wo sie waren, und sind völlig arglos in diese Seniorenzeit gestolpert. Wir kennen so viele aus unserer Altersklasse, die mit gebrechlichen, alten, pflegebedürftigen Eltern und Modellen zu kämpfen haben, weil sich niemand rechtzeitig gekümmert hat“, sagt Barbara Lueg. Das wollen sie und ihre Kollegin Christiane Hastrich nicht. „So selbstbestimmt und unabhängig, wie wir gelebt haben, wollen wir auch ins Alter treten“, sagt Christiane Hastrich. „Wir wollen nicht passiv sein und von unseren Kindern versorgt werden, denn die haben ihr eigenes Leben, sondern aktiv sein und diesen neuen Lebensabschnitt selbst gestalten!“

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Die beiden Autorinnen Barbara Lueg (vorne) und Christiane Hastrich

Hastrich und Lueg sind beide Journalistinnen beim öffentlich rechtlichen Fernsehen, sie sind 56 Jahre alt, leben in München, die Kinder sind bald ausgezogen. Und sie beide wissen: Die teure Miete werden sie sich von ihrer Rente nicht mehr leisten können. Wie vermutlich viele andere auch, vor allem alleinstehenden Frauen geht das so. „Durch so schnöde Gründe ist man dann ja gezwungen zu überlegen, wie es später weitergehen soll“, sagt Barbara Lueg. „Wir haben in den vergangenen Jahren schon viele Gespräche auf Partys, in Kantinen, auf Festen geführt und alle treiben die gleichen Fragen um: Was wird uns glücklich machen? Was treibt uns an im Alter? Wollen wir nicht zusammenziehen? Wie könnte das aussehen?“ Christiane Hastrich ergänzt: „Wir dachten uns: Wir müssen doch erstmal wissen, welche Chancen wir überhaupt haben. Und dann müssen wir sie ausprobieren.“ Und das taten sie dann auch.

Probewohnen in Tiny House und Ökodorf

Die beiden Frauen haben sich unterschiedliche Wohnformen herausgepickt: Sie waren in einer Alters-WG und im Tiny House, in der Bauernhof-WG und auf dem Campingplatz, im Ökodorf und im Mehrgenerationenhaus und natürlich auch im Klassiker, der Seniorenresidenz. An manchen Orten haben sie probeweise für einige Tage gelebt. Immer mit der Frage im Hinterkopf: Kann ich mir vorstellen, später so zu leben? Ihre Erfahrungen haben die beiden zu dem sehr persönlichen Ratgeber „Statt einsam gemeinsam – Wie wir im Alter leben wollen“ verarbeitet.

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Die Alters-WG von Henning Scherf hat es Barbara Lueg (links) und Christine Hastrich (links) ganz besonders angetan.

Besonders angetan hat es den beiden die Alters-WG von Henning Scherf, erzählen sie im Interview. Der ehemalige Bremer Bürgermeister und seine Frau sind Pioniere in puncto alternatives Wohnen. Das Paar hat sich schon vor mehr als 30 Jahren mit acht Freunden zusammengetan und gemeinsam ein großes Haus gekauft, saniert und umgebaut. Jedes Paar bekam eine Eigentumswohnung, der Garten wird gemeinsam genutzt. Die Gruppe sei natürlich privilegiert, weil genug Geld da gewesen sei, um sich gemeinsam ein Haus zu kaufen, betont Hastrich. „Jeder kann sich in seine eigene Wohnung zurückziehen und muss nicht zu viele Kompromisse machen.“ Denn genau das sei der Knackpunkt: Die Balance zwischen Gemeinschaft und Freiheit zu finden.

Zurück in die Wohngemeinschaft

Die Freundinnen Lueg und Hastrich werden sich wohl kein komplettes Haus für ihre Alters-WG leisten können. Doch sie können sich auch vorstellen, mit weiteren Freunden in eine große Mietwohnung zu ziehen: Jeder bekommt ein eigenes Zimmer, Küche und Bad werden geteilt. „Wir sind vielleicht offener für diese Wohnmodelle als die Generation vor uns, denn wir haben ja oft schon als junge Menschen in WGs gelebt. Vielleicht kehren wir im Alter einfach wieder dorthin zurück“, sagt Barbara Lueg. Allein an weiteren Mitstreitern mangelt es bisher. Denn so viele Gespräche es auf Partys und Festen auch schon darüber gab – bislang waren es nur Gedankenspiele. „Da werden die wildesten Pläne geschmiedet, aber wenn es dann konkret wird, machen die meisten einen Rückzieher. Denn man muss auch etwas dafür tun“, sagt Christiane Hastrich. „Und man braucht mehr Vorlauf als man denkt“, ergänzt Barbara Lueg.

Christiane Hastrich und Barbara Lueg stellen fünf Wohnmodelle vor

Alters-WG mit Wohnungen

Gemeinsam ein Mehrfamilienhaus kaufen mit abgeschlossenen Eigentumswohnungen für jede Partei. Die Türen  stehen meist offen, Begegnungen, Besuche erwünscht. Empfehlenswert: ein Gemeinschaftsgarten. Und regelmäßige Haus-Events. Das Modell setzt frühzeitige Planung, Einigkeit und individuelle, finanzielle Möglichkeiten voraus.

Unser Tipp: Vor der Umsetzung gemeinsame Urlaube in einem Ferienhaus verbringen und gucken, ob Stimmung und Konfliktfähigkeit tragen.

Pro: Kein Streit ums Geld, jeder wirtschaftet für sich und kann seinen Stil leben. Privatsphäre und Gemeinschaft gehen Hand in Hand.

Contra: Wenn eine Partei ausschert, droht das Konstrukt zu zerbrechen. Gruppenzwang auf lange Zeit schafft Abhängigkeit.

Kosten: Sehr unterschiedlich je nach Ort und Lage.

Alters-WG mit eigenem Zimmer

Alters-WGs sind im Kommen! Laut Demografen eine sehr erfolgversprechende Wohnform, da sie für jedes Portemonnaie taugt und sie überall umzusetzen ist – auf dem Land und in der Stadt. Später im Rentenalter eine gemeinsame, große Wohnung mieten. Küche und Wohnzimmer sollten alle nutzen dürfen, gestalten und pflegen. Mit oder ohne Dienstplan.

Pro: Gleiche Wellenlänge verbindet. Niemand bleibt allein, niemand geht unter. Lange Küchenabende mit Rotwein garantiert.

Contra: Wenig Privatsphäre. Hohe Konfliktgefahr. Jeder redet mit und über alles. Viel Toleranz gefordert – zu viel?

Unser Tipp: Mit langjährigen Freunden lebt es sich leichter. Wer schon früher ein WG-Typ war und WG-erprobt ist, hat hier sicher keine Berührungsängste. Das Modell der Zukunft – glauben wir. Im Blick halten: Die Findungsphase von Mitstreitern und Wohnobjekt dauert manchmal Jahre!

Kosten: Je nach Wohnort für ein WG-Zimmer: zwischen 200 und 600 Euro.

Mehrgenerationen-Bauernhof

Ein Modell für Weitgereiste, Einzelgänger und Heimatlose, die irgendwann einen Hafen und ein familiäres Umfeld suchen. Ein Mikrokosmos auf dem Land. Wer naturverbunden und tierlieb ist, findet hier emotionalen Halt, klare Strukturen und verlässliche Geborgenheit. Hier wird die Idee der traditionellen Großfamilie wieder lebendig. Jeder kann etwas zum Miteinander beitragen und seine Erfahrungen weitergeben. Aktive Lebensgestaltung, statt passiver Bespaßung. 

Pro: das Landleben ist bunt und abwechslungsreich. Tiere fordern Verantwortung und fördern Disziplin. Die Generationen bereichern einander und halten jung. Die Gemeinschaft inspiriert und individuelle Aufgaben und Zuständigkeiten halten länger mobil und aktiv. Wenn mehr Unterstützung nötig wird, kann ambulante Pflege und Betreuung hinzugebucht werden.

Contra: Die städtische Inspiration fehlt. Die Bauernhöfe liegen weit ab vom Schuss. Wenig Rückzugsmöglichkeiten, zu viel Trubel.

Unser Tipp: Für Tierliebe und Menschen, die sich nicht scheuen, neue Bindungen einzugehen. Wer eine Kolonie an Verbündeten sucht und mit ihr und sich selbst genug ist – ideal.

Kosten: Abhängig von Zimmer oder Größe der Wohnung. Eventuelle Zusatzbetreuung wie Pflege oder Mahlzeiten kosten extra.

Dauer-Camper

Ein Modell für Freigeister und Abenteurer mit kleinem Portemonnaie. Für Grillaffine und Do-it-yourself-Profis. Frischluftfans genießen ihr abgestecktes Terrain und machen darin, was sie wollen. Der Platz ist begrenzt, Luxus und Komfort auch.

Pro: Camper verstehen und helfen einander. Eine Schicksalsgemeinschaft ohne Sozialneid. Jeder findet Anschluss. Niemand vereinsamt. Ein günstiges, eigenes Reich mit maximaler Mobilität!

Contra: Die Nachbarn kann man sich nicht aussuchen. Noch sind Campingplätze mit Erst-Wohnsitz-Genehmigung rar. Viele Dauercamper leben in einer juristischen Grauzone.

Unser Tipp: Nur für eingefleischte Campingfans geeignet, die schon immer gerne ihr Zelt irgendwo anders aufgeschlagen haben. Die Lage der Dauercampingplätze ist nicht immer ideal – oft in der Nähe von Gewerbegebieten oder Schnellstraßen.

Im Norden liegen die Plätze mit Erst-Wohnsitz-Genehmigung oft schöner. Aber es ist ein Trend, der durch den Freiheitsdrang der Babyboomer-Generation und auch durch die drohende Altersarmut befeuert wird. Auf bis zu 60 Quadratmeter ist Platz für ein mobiles Eigenheim mit Wasser und Strom und viel individuellem Spielraum fürs persönliche Glück.

Kosten: Sie liegen für Pacht, Strom und Wasser monatlich bei insgesamt ca. 400 Euro plus einmalige Anschaffungskosten für den Camper.

Tiny House

Ein Modell für Lebenskünstler, die Natur und Freiheit schätzen und sich reduzieren können, um im Kleinen ihr Glück zu finden.

Pro: Rechtzeitig Ballast abwerfen hilft auch dem Geist, loszulassen und sich von Unnützem zu trennen.  Downsizen befreit, macht leichtfüßig. Leben inmitten der Dinge, die einem wirklich am Herzen liegen. Ein Häuschen im Grünen!

Contra: Es ist eng! Sehr eng! Außerdem braucht auch ein Tiny House Baugrund und einen offiziell genehmigten Stellplatz. Tiny-Dörfer sind noch rar, boomen aber. Die Nachbarn kann man sich meist nicht aussuchen. Oft weit weg von Theater, Kino und jeglichem urbanen Treiben. Ohne eigenes Auto ist die Mobilität stark eingeschränkt. Tiny Häuser gibt es maßgeschneidert oder im Bausatz –  von 30 000 Euro bis zu Luxusvarianten mit Solarzellen und Traumbad.

Unser Tipp: Urlaub machen oder Probewohnen im Tiny House hilft bei der Entscheidungsfindung.

Kosten: für Pacht, Strom und Wasser monatlich: insgesamt ca. 400 Euro plus einmalige Anschaffungskosten für das Tiny House.

Und das gilt für jede alternative Wohnform. Im Kommen sind vor allem die Mehrgenerationen-Wohnprojekte: Hier leben in einem mehrgeschossigen Haus oder in einem Gebäudekomplex mehrere Familien zusammen. Alle haben ihre eigenen, abgetrennten Wohnungen, zusätzlich gibt es Gemeinschafträume. Die Nachbarn sind durch eine Rechtsform – Verein, Genossenschaft oder ähnliches – verbunden und unterstützen sich im Alltag gegenseitig. Es gehe hier aber nicht darum, dass die jungen Familien die Seniorinnen und Seniorgen versorgten, betont Kathleen Battke. „Die Frage lautet nicht nur: Was bekomme ich? Sondern auch: Was bringe ich mit?“ Deswegen sei es wichtig, sich schon frühzeitig in einem solchen Projekt zu engagieren – nicht erst, wenn man vor allem Entlastung braucht.

Grundstücke sind schwer zu finden

Der Verein „Neues Wohnen im Alter“ hat bereits mehrere Kölner Wohnprojekte beim Aufbau unterstützt. So gibt es schon seit mehr als 20 Jahren das „Haus Mobile“ in Köln-Weidenpesch mit 22 Eigentumswohnungen und 15 geförderten Mietwohnungen. Oder das im Jahr 2017 bezogene Projekt „Lebensräume in Balance“ in Köln-Ostheim. Noch viel zu selten werden solche Projekte auch von den Kommunen unterstützt. „Die Stadt Köln hat unter anderem die Konzeptvergabe für kommunale Baugrundstücke eingeführt“, erläutert Battke. Heißt: Einen Teil der Grundstücke bekommt nicht der höchst bietende Investor, sondern die Bewerber mit dem unter Gesichtspunkten des Gemeinwohls besten Konzept. „Trotzdem bleibt es extrem schwierig für Baugruppen, an Grundstücke für gemeinschaftliche Wohnprojekte zu kommen.“ Bei vielen Projekten dauere das mehrere Jahre.

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Die Beliebtheit dieser Wohnform erklärt Battke so: „Das Mehrgenerationen-Wohnen orientiert sich an der  Großfamilie, in der früher drei bis vier Generationen zusammen unter einem Dach lebten – nach dieser Verbundenheit sehnen sich viele, wenn es auch nicht immer idyllisch war.“ In der Gemeinschaft übernimmt jeder Aufgaben: Eine kümmert sich um die Finanzen, der andere um den Garten, die dritte kocht einmal pro Woche für alle, der vierte betreut die Kinder, die fünfte geht für die Pflegebedürftigen mit einkaufen. Gerade für die Älteren sei es einerseits belebend, noch gebraucht und gefordert zu werden – andererseits könne das aber auch unter Druck setzen. „Generell können in diesen Wahl-Familien die gleichen Probleme auftreten wie in leiblichen Familien, wenn etwa die jungen Eltern nicht mit dem Betreuungsstil der Älteren einverstanden sind“, weiß Battke. Die 61-Jährige lebt selbst seit zwölf Jahren in einer Mehrgenerationen-Wohngenossenschaft mit gut 30 Wohnungen am Bonner Stadtrand. 

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Barbara Lueg in der großen Küche eines Mehrgenerationen Bauernhofs in NRW.

Auch weitere gemeinschaftliche Wohnformen entstehen in Köln nach und nach. So gibt es zum Beispiel 14 selbstverwaltete Wohn-Pflegegemeinschaften, vor allem für Demenzkranke. In den Wohngemeinschaften mit je acht bis neun Plätzen hat jeder seinen privaten Raum mit Bad und Teeküche, die große Küche wird geteilt und mit Hilfe einer Hauswirtschaftlerin auch rege genutzt; täglich kommt der Pflegedienst; eine WG-Koordinatorin regelt die täglichen Belange mit Behörden und Ärzten. Diese WGs seien nicht unbedingt kostengünstiger als Seniorenheime, sagt Kathleen Battke. „Aber den Menschen geht es dort zum Teil so gut, dass manchmal ihr Pflegegrad sinkt – in Einzelfällen sind sie dann sogar wieder ausgezogen.“ Battke wünscht sich, dass es vergleichbare WGs bald auch für ältere Menschen ohne Pflegegrad gibt.

Es gibt nicht nur „entweder-oder“

Klar wird, wenn man Kathleen Battke, Barbara Lueg und Christiane Hastrich so zuhört, dass es nicht nur das „entweder zu Hause bleiben oder ins Heim gehen“-Szenario gibt. „Genau das haben wir bei unserer Recherche bemerkt: Es entsteht gerade so vieles, es brodelt an der Oberfläche, überall ploppen neue Projekte auf – aber es geht gerade erst richtig los“, sagt Barbara Lueg. Und Kathleen Battke macht in ihrer Beratungsarbeit die Erfahrung, dass sich immer mehr Menschen ab 50 Jahren – vor allem Frauen – für gemeinschaftliche Wohnformen interessieren. Ihr Denkanstoß: „Man sollte möglichst früh anfangen, sich über seine Bedürfnisse klar zu werden und sich sein weiteres Leben vorzustellen, damit es im Alter kein großer Kraftakt wird – und damit man länger etwas davon hat.“ Mit früh meint sie die Lebensphase ab 50 Jahren.

Und bei dieser Gedankenreise solle man alle Vorurteile über Bord werfen, finden Christiane Hastrich und Barbara Lueg. Im Kopf geblieben ist den beiden ein Ehepaar, das seinen Hauptwohnsitz auf den Campingplatz verlagert hat. „Die beiden haben sich ein kleines Reich aufgebaut, mit einem netten Wohnzimmer, einer Badewanne, Küche und Garten. Die waren unabhängig und total happy mit ihrer Entscheidung“, erzählt Christiane Hastrich. Das Fazit der beiden Autorinnen lautet deswegen so: „Es gibt viele Chancen und Möglichkeiten, man muss sie nur ergreifen.“ Und zwar lieber zu früh als zu spät.

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