Gefährliche MaschenWie Pick-up-Artists Frauen manipulieren

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Illustration: Ein Mann steht inmitten einer Gruppe von Frauen, die zu ihm aufschauen.

Pick-up-Artists greifen auf zahlreiche manipulative Techniken zurück, um Frauen zu erobern.

Sie glauben, dass Männer Frauen dominieren und manipulieren müssen. Warum Pick-up-Artists so gefährlich sind.

Sie geben sich Tipps, wie man am besten Frauen manipuliert, oder bezahlen Dating-Coaches, um es zu lernen: Pick-up-Artists greifen auf zahlreiche manipulative Techniken zurück, um Frauen zu erobern. Warum diese Szene für Frauen gefährlich sein kann, erklärt Veronika Kracher. Sie arbeitet in der Fachstelle für gendergruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung.

Frau Kracher, es gibt Communitys von Männern, die sehr unzufrieden sind mit ihrem Sex- und Liebesleben und sich darüber austauschen – zum Beispiel Incels oder Pick-up-Artists. Was verbirgt sich hinter den Begriffen und was unterscheidet die beiden?

Veronika Kracher: Die Ansicht, dass Frauen praktisch nur den dominanten Alphamann begehren, teilen sich Pick-up-Artists und Incels. Pick-up-Artists suggerieren jungen Männern, dass sie keine Partnerin bekommen, weil sie zu verweichlicht, zu unmännlich und einfach keine richtigen Alphatypen seien. Selbst ernannte Coaches und Flirtexperten geben dann das Versprechen: Wenn du in mein Seminar kommst, wenn du mir Hunderte von Euro oder Dollar gibst, bringe ich dir bei, wie du ein Alphamann wirst und somit Frauen flachlegst.

Und wie ist es bei den Incels?

Sie sagen, die Techniken, die sie zu einem Alphamann machen sollten, funktionieren nicht, weil sie zu unattraktiv seien. Tatsächlich hat sich die Incel-Bewegung größtenteils in einem Forum, das sich gegen Pick-up-Artists und ihre Flirt- und Aufreißtechniken wandte, radikalisiert und gebildet. Es wurde von Männern gegründet, die in diesen Pick-up-Artists-Seminaren waren und trotz dieser Techniken keinen Erfolg bei Frauen hatten. Und anstatt darauf zu kommen, dass diese Techniken einfach manipulativ und ekelhaft sind und Frauen auch in der Lage sind, das zu begreifen und entsprechend zu reagieren, folgte für Incels der Kurzschluss: „Frauen stehen nur auf superattraktive Männer – ich bin das nicht und deswegen bringen mir diese Techniken nichts.“

Sie sagen, viele Incels hätten gemerkt, dass diese Techniken bei Frauen gar nicht funktionieren. Dann könnte man doch theoretisch sagen, dass Pick-up-Artists keine Gefahr für Frauen sind, weil man sie nicht manipulieren kann.

Das Problem ist, dass viele Frauen von klein auf, aufgrund ihres Geschlechts, Abwertung erfahren. Viele dieser Frauen suchen nach Bestätigung, nach Anerkennung und nach Liebe. Ihnen fällt es schwer, ihre eigenen Grenzen zu verteidigen. Auf diese vulnerablen Frauen, die auch häufig Erfahrungen mit körperlichem oder emotionalem Missbrauch gemacht haben, zielen Pick-up-Artists ab. Ihre Techniken sind darauf ausgelegt, eine emotionale Abhängigkeit bei Frauen zu erzeugen. Sie wollen den Willen und das Selbstbewusstsein von Frauen brechen. Außerdem suchen sich viele Pick-up-Artists gezielt jüngere Frauen aus, die diese Manipulation aus mangelnder Lebenserfahrung schlechter einschätzen und auch ihre Grenzen schlechter verteidigen können. Es werden da ganz gezielt Machtverhältnisse aufgebaut.

Die Techniken von Pick-up-Artists

Welche Techniken sind das denn?

Zum Beispiel Love Bombing. Das heißt, eine Frau erst mit Aufmerksamkeit, Geschenken und Zuneigung zu überschütten, um ihr das dann plötzlich wieder zu entziehen. Das soll bei der Frau Gedanken hervorrufen wie „Was habe ich falsch gemacht, dass mir plötzlich diese Liebe entzogen wird?“ und „Wie kann ich das ihm gegenüber wiedergutmachen?“.

Ein klassischer Aufreißtrick ist das sogenannte Negging: Man soll auf eine Frau zugehen und eine Beleidigung in ein Kompliment verpacken. Zum Beispiel: „Du hast ja tolle Brüste. Man könnte fast glauben, dass sie echt wären.“ Das soll eine Frau verunsichern und zu einer Reaktion provozieren.

Was sollen diese Techniken bewirken?

Es geht darum, die Macht haben zu wollen, Frauen zum Sex zu manipulieren und sich selbst narzisstisch darüber aufzuwerten. Pick-up-Artists verwenden auch eine ganz bestimmte Terminologie. Daran merkt man schon, dass es fast sektenartige Strukturen sind. Frauen werden als „HB“, also „Hot Babes“ bezeichnet, sie werden auf einer Skala von eins bis zehn optisch bewertet und Kontakte werden als „Closes“ bezeichnet, also ein „Hug Close“ oder ein „Kiss Close“. Das zeigt, dass Frauen als eine Beute, die zu erobern ist, begriffen werden und eben nicht als normaler Mensch, mit dem man normale und eben auch erotische Annäherung hat.

Ich finde, es ist auch bezeichnend, dass Sex oder Erotik nicht als ein sinnlicher Akt der Annäherung begriffen werden, sondern als etwas, was in Form einer Jagd oder eines Kampfes erledigt werden muss. In Foren findet man Beiträge von Männern, die prahlen, dass sie mit 100 verschiedenen Frauen Sex hatten, oder es wird von Wettbewerben berichtet, in denen es darum geht, wer die meisten Nummern, Küsse, Sex-Dates bekommt.

Pick-up-Artists: Unsichere Männer, die sich nach Liebe sehnen?

Es gibt aber auch Threads, in denen es um unterschiedliche Bindungstypen geht oder wie man eine gute Beziehung zu den Eltern der Freundin aufbaut. Ist Pick-up einfach ein Anlaufpunkt für sehr unsichere Männer, die nicht offen über Emotionen reden können?

Das zeigt das Elend der cis-männlichen Sozialisation auf. Männern wird nicht beigebracht, wie man über Gefühle spricht, sondern dass sie sich für ihre Gefühle und ihre Unsicherheiten schämen müssen. Pick-up-Artists schämen sich ja dafür, nicht „richtige Männlichkeit“ performen zu können. Sie sind der Meinung, ihre Probleme mit Frauen implizieren, dass sie Männlichkeit nicht richtig performen. Und im Internet fällt das Sprechen darüber anonymisiert leichter. Aber ich finde es bezeichnend, dass sie sich an Orte wenden, wo Beziehungen führen als Form einer Eroberung begriffen wird.

Was würden Sie ihnen stattdessen raten?

Viel besser wäre es doch, die eigene Unsicherheit anzuerkennen, zu erforschen und offen mit ihr umzugehen. Diese verunsicherten Männer könnten sich zum Beispiel auch in einem progressiven Rahmen auf Reddit austauschen. Das ist eine Internetseite mit sogenannten Subreddits, also Foren zu unterschiedlichsten Themen. Dort gibt es das profeministische Subreddit „MensLib“, also „Men‘s Liberation“, das als Gegenbewegung zu dem antifeministischen „MensRight“-Subreddit gegründet worden ist.

Es gibt aber auch Frauen bei den Pick-up-Artists, sogenannte Pick-up-Cats. Wie erklären Sie sich das?

Es ist unglaublich bitter, dass wir in Verhältnissen leben, in denen Frauen vermittelt wird, dass die Anerkennung von Männern wichtiger ist als Solidarität zu anderen Frauen. Viele Frauen stellen immer noch ihre eigenen politischen Interessen zurück, um Anerkennung von Männern zu bekommen. Sie sagen: „Ich bin nicht wie diese nervigen Feministinnen, sondern ich bin eine von den coolen Frauen.“

Aber warum ist das so?

Frauen, die für ihre eigenen politischen Interessen einstehen, also feministisch agieren, erfahren dadurch häufig gesellschaftliche Sanktionen. Ich bin Feministin, und ich werde dafür regelmäßig angegriffen. Mir ist relativ egal, was Männer über mich denken oder zu mir sagen. Ich kann meine Position gut verteidigen. Aber gerade für jüngere Frauen kann das schwierig sein. Es ist schlicht anstrengend, Feministin zu sein.

Wie kann man sich als Frau gegen solche Pick-up-Artists wehren oder sie auf der Straße erkennen?

Aufklärung ist wichtig, damit man weiß, mit wem man es zu tun hat. Pick-up-Artists arbeiten auch damit, dass Mädchen von klein auf vermittelt wird, die eigenen Bedürfnisse zurück­zustellen, höflich zu sein und nicht Nein zu sagen, weil das Neinsagen ganz oft mit verbaler bis körperlicher Gewalt bedroht wird. Davon profitieren Pick-up-Artists, eigentlich sogar alle Männer. Ich meine, wer kennt das nicht? Man gibt falsche Telefonnummern raus, weil man sich nicht traut, Nein zu sagen, oder weil ein Nein nicht akzeptiert wird. Die Frage sollte eigentlich eine andere sein: Was sollte man als Gesellschaft tun, damit Männer nicht mehr zu Pick-up-Artists werden?

Wüssten Sie eine Antwort auf diese Fragen?

Wie der Soziologe Pierre Bourdieu beschreibt, wird Jungen von klein auf beigebracht, andere Beziehungen in einem Konkurrenz- und Wettkampfverhältnis zu sehen. Und wenn Jungen daran scheitern, Männlichkeit adäquat zu performen, werden sie teilweise von ihrem Umfeld sanktioniert. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Jungen beigebracht wird, ihre Identität nicht auf der Abwertung des Nichtmännlichen aufzubauen. Jungen muss beigebracht werden, Mädchen und Frauen als Subjekte zu respektieren.

Deswegen appelliere ich auch an Männer, in männlichen Kontexten bei ihren Freunden zu intervenieren, sexistische Sprüche nicht stehen zu lassen. Wenn sie mitbekommen, dass ihr Freund eine Frau anwirbt, die darauf keine Lust hat, zu sagen: „Lass die Frau in Ruhe.“ Männer müssen daran arbeiten, dass sie selbst und die Männer im eigenen Umfeld keine übergriffigen, widerlichen, sexistischen Typen sind oder werden.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.

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