Ab 60 oder ab 70 Jahren?Wer sich zum zweiten Mal gegen Corona boostern lassen sollte

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Spriten Corona-Impfung

Sind alle guten Dinge vier bei der Impfung gegen Corona?

Köln – Karl Lauterbach wirbt dafür, dass sich möglichst viele über 60 Jahre schnell ein viertes Mal gegen Corona impfen lassen. Mit diesem Vorschlag geht der Bundesgesundheitsminister über die Empfehlung der Stiko hinaus, die bisher den zweiten Booster erst ab 70 Jahren und mit Vorerkrankungen empfiehlt, andere Wissenschaftler bleiben skeptisch. Wer sich die Impfung noch mal holen sollte und wie es um einen an Omikron angepassten Impfstoff steht.

Was spricht für eine vierte Impfung?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach macht sich stark für eine vierte Corona-Impfung für alle ab 60 Jahren. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Covid-Pandemie nicht zu Ende ist in Europa. Wir haben sehr hohe Fallzahlen, wir haben leider auch sehr hohe Sterbezahlen“, sagte der SPD-Politiker zuletzt in Brüssel. In dieser Altersgruppe könne dadurch die Sterblichkeit im Vergleich zur dritten Dosis noch einmal um 80 Prozent reduziert werden, wie Daten aus Israel ergeben hätten, so Lauterbach.

Warum ist das erneute Boostern jetzt überhaupt wichtig?

Neben den nun aufgeforderten ab 60-Jährigen steht die Impfung für sehr viele über 70-Jährige weiterhin aus. Derzeit seien weniger als zehn Prozent derjenigen, denen die Stiko die zweite Auffrischung empfiehlt, tatsächlich ein viertes Mal geimpft, so Lauterbach. Dabei habe sich gezeigt, dass der Schutz einer dritten Impfung bereits nach einigen Wochen nachlässt, mit einer neuen Spritze jedoch rasch erneuert werden kann. 

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Welche Erfahrungen hat Israel mit dem zweiten Booster gemacht?

Daten zu mehr als 560 000 Menschen zwischen 60 und 100 Jahren, die teils nur dreimal, teils bereits ein viertes Mal geimpft wurden, sind vor einigen Tagen als Preprint erschienen – also noch ohne die bei Studien übliche externe Begutachtung. Ergebnis: Die Sterblichkeit durch Covid-19 sei in der vierfach geimpften Gruppe um 78 Prozent verringert gewesen, verglichen mit der Gruppe der nur Geboosterten. Darauf berief sich Lauterbach.

Ein genauerer Blick in die Daten zeigt: Die Unterschiede zwischen den verglichenen zwei Gruppen aus drei- beziehungsweise vierfach Geimpften sind minimal, wie der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Reinhold Förster, sagte: „Beide Gruppen haben bei Omikron ein sehr geringes Sterberisiko durch Covid-19.“ Die Angaben zur verringerten Sterblichkeit basierten daher auf relativ kleinen absoluten Zahlen. Bei den 60- bis 69-Jährigen zum Beispiel starben laut Preprint fünf der rund 111.800 vierfach Geimpften und 32 der rund 123.800 dreifach Geimpften.

Welche Tücken haben die israelischen Daten noch?

„Es ist ja die Frage, inwieweit die beiden Gruppen vergleichbar sind. Manche dreifach geimpfte Vorerkrankte dürften sich nicht zur Viertimpfung aufgerafft haben, was die Unterschiede bei der Sterblichkeit zum Teil erklärten könnte“, sagte Förster. Darüber hinaus weist das Autorenteam selbst darauf hin, dass sie nur auf eine relativ kurze Zeitspanne von 40 Tagen blicken. Bei der erfassten Todesursache Covid-19 in Krankenhäusern könnten zudem auch Fälle enthalten sei, in denen ein positiver Test ein Nebenbefund ist.

Wie bewerten andere Experten die bisherigen Erkenntnisse?

Mehrere angefragte Fachleute reagierten zurückhaltend und werten die bisherige Datenlage als dünn. „Eigentlich müsste man abwarten, ob sich die Beobachtung auch in anderen Ländern bestätigt“, sagte die Infektiologin Jana Schroeder. „Auch Daten zur Sicherheit wurden in der israelischen Studie nicht erhoben. Warum sollten wir bei Senioren weniger vorsichtig sein als bei Kindern? Schließlich ist die Corona-Impfung für Fünf- bis Elfjährige in Deutschland immer noch nicht generell empfohlen, trotz mehr als acht Millionen geimpfter Kinder in den USA.“ Bedenken gibt es auch, da völlig unklar ist, welche Virusvarianten in einigen Monaten vorherrschen, welche Impfstoffe es dann gibt und was das wiederum für die Impfempfehlungen zum Winter hin bedeutet.

Welche Regel gilt bisher für die vierte Impfung?

Mit seiner Impf-Aufforderung prescht der SPD-Minister vor. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), Menschen ab 60 Jahren bereits eine zweite Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus zu geben, gibt es bisher nicht. Die Stiko empfiehlt die vierte Dosis in Deutschland derzeit Menschen ab 70 Jahren, Bewohnern von Pflegeheimen und Mitarbeitenden in medizinischen Einrichtungen und Pflegeeinrichtungen, vor allem, wenn diese Kontakt mit Patienten haben. Hinzu kommen Menschen mit Immunschwäche ab fünf Jahren.

Sollten sich ab 60-Jährige also jetzt schon impfen lassen oder auf die Stiko-Empfehlung warten?

Der Gesundheitsminister rät Ärztinnen und Ärzten, diese Gruppe nach eigenem Ermessen zu impfen, weil die Empfehlung der Impfkommission noch nicht vorliegt. Die Stiko soll auf Wunsch von Lauterbach nun prüfen, ob die Empfehlung auf diese Altersgruppe erweitert werde. Insbesondere ab 60-Jährige mit Risikofaktoren sollten sich also wegen einer zweiten Auffrischung mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin beraten.

Wie sieht die Stiko den Lauterbach-Vorstoß?

Stiko-Chef Thomas Mertens sagte, dass das Gremium ohnehin ständig neue Daten sichte und die Notwendigkeit von Aktualisierungen prüfe. Die Frage der vierten Dosis lasse sich nicht ausschließlich am Alter der Impflinge festmachen. Vielmehr spielten auch Vorerkrankungen und Überlegungen zum Impfschutz auf längere Sicht eine Rolle. Mertens sprach darüber hinaus von zu benennenden Prioritäten: „Ein Hauptproblem bei 60- bis 69-Jährigen auf Intensivstationen besteht im Augenblick in Patienten ohne erste Booster-Impfung, noch schlechterem oder völlig fehlendem Impfschutz.“

Wie viel Abstand muss zwischen den Impfungen liegen?

Die zweite Auffrischung soll mit der aktuellen Stiko-Empfehlung bei gesundheitlich gefährdeten Personengruppen frühestens drei Monate nach der ersten Auffrischung erfolgen. Das Personal in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Praxen soll die zweite Booster-Impfung frühestens nach sechs Monaten erhalten. In Ausnahmefällen kann eine zweite Auffrischungsimpfung der Beschäftigten nach ärztlichem Ermessen auch bereits nach mindestens drei Monaten erfolgen.

Mit welchem Impfstoff wird geboostert?

Für die vierte Dosis, also den zweiten Booster nach einer Grundimmunisierung durch zwei Impfungen, kommt der Impfstoff von Moderna oder Biontech/Pfizer infrage.

Wann wird es einen an Omikron angepassten Impfstoff geben?

Zeitnah ist nicht mit einem angepassten Vakzin zu rechnen. Bei Biontech laufen die klinischen Studien für einen an die Omikron-Variante angepassten Impfstoff und die Produktion zwar laut Unternehmensangaben weiterhin nach Plan. Allerdings wird noch etwas Zeit vergehen, bis der erste Impfstoff auch verabreicht werden kann. Denn es müssten auch alle Anforderungen beispielsweise der europäischen Arzneimittelbehörde EMA erfüllt werden. So habe die EMA unter anderem klinische Studiendaten angefragt, die Ende April oder Anfang Mai vorliegen werden. Entsprechend verzögert sich die Auslieferung.

Was, wenn ich mich schon mit Omikron infiziert habe?

Wer zur Gruppe gehört, der die Stiko eine zweite Auffrischung empfiehlt und wer bereits nach der ersten Auffrischung eine Infektion durchgemacht hat, braucht sich nicht ein zweites Mal boostern lassen.

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Was ist mit Menschen unter 60?

Für unter 60-Jährige könne die vierte Dosis nicht empfohlen werden, weil es dazu keine Daten gebe, so der Bundesgesundheitsminister. Bei jüngeren Geimpften könne dagegen eine Durchbruchinfektion mit der Omikron-Variante nach Angaben des Immunologen Carsten Watzl den Immunschutz erheblich erhöhen. „Für Geimpfte wirkt sie wie ein Booster mit einem angepassten Impfstoff“, sagte der Generalsekretärs der Deutschen Gesellschaft für Immunologie der „Augsburger Allgemeinen“.  (mit dpa) 

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