Erektionen, Kinderwunsch, SexunfälleEin Urologe berichtet aus seinem Alltag

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Für viele Männer ist der Besuch beim Urologen eher unangenehm. Das findet der Mediziner Oliver Gralla sehr schade. 

Urologen sind nicht unsere Lieblingsärzte. Zu Unrecht, sagt der Arzt Oliver Gralla und hat mit „Untenrum glücklich“ ein Buch darüber geschrieben. Er plaudert aus seinem Urologen-Alltag und erzählt von Erektionen, Kinderwunsch und Sexunfällen. 

Herr Gralla, seit Donald Trump wissen wir, dass Männer im Umkleideraum gerne über weibliche Geschlechtsorgane reden. Sind Männer bei ihren eigenen da genauso offen und voller Stolz?

Oliver Gralla: Wenn Patienten zu mir kommen, müssen sie ja über ihre Geschlechtsorgane reden. Da geht es aber meist um Probleme, nicht um Stolz. Das ist ja eine Praxis und kein Schießstand.

Augenarzt, Chirurg – ja. Wie kommt man um Himmels Willen auf die Idee, Urologe zu werden?

Gralla: Chirurg war ich lange. An der Urologie hat mich fasziniert, dass sie sehr unterschiedliche Bereiche beinhaltet. Kinderwunsch, Erektionsstörungen, da wird eine große Bandbreite abgedeckt. Sie haben schon recht, sogar unter Medizinern ist die Urologie ein Stiefkind, Viele trauen sich nicht ran.

Wie reagieren Gäste, wenn Sie bei der Party sagen: Ich bin Urologe?

Gralla: Durchaus positiv. Natürlich werde ich nach lustigen Anekdoten gefragt.

Erzählen Sie mir eine?

Gralla: Nicht schlecht fand ich die Geschichte von dem Mann, der sich bei einem Seitensprung eine Geschlechtskrankheit eingefangen hatte. Er wollte seiner Frau nichts davon sagen und hat in Folge einen Waschzwang entwickelt. Fünf Mal am Tag nahm er ein heißes Bad. Zu mir kam er, weil sich das Paar ein Kind wünschte und sich nichts tat. Die Sache war klar: Er hatte seine Spermien gekocht und damit getötet. Da konnte nichts gehen.

Und was haben Sie dann gemacht?

Gralla: Der Mann dachte an eine künstliche Befruchtung. Aber ich sagte: Es ist, als würden wir einen toten Busfahrer in einen Bus setzen. Wir können das machen. Der Bus wird aber trotzdem nicht fahren. Letztlich musste der Mann nur mit seiner heißen Badekultur brechen. Einige Monate später wurde die Frau schwanger.

Sind es diese Geschichten, die Sie faszinieren?

Gralla: Ach nein. Für mich stand immer im Mittelpunkt, dass es bei der Andrologie viel um Lebensqualität geht: Sex, Testosteron, Kinderkriegen – das sind alles Dinge, die einen glücklich machen sollten.

Ihr Buch heißt also nicht umsonst „Untenrum glücklich“ statt „Untenrum gesund“?

Gralla: Genau. Es geht um den Umgang mit gewissen körperlichen Veränderungen im Alltag, nicht nur um die Behandlung der Symptome. Es geht auch darum, Alterserscheinungen wie beim Wasserlassen oder Erektionsstörungen hinzunehmen. Jeder Patient kann eine Erektion bekommen. Die Frage ist nur: Wie weit möchte er sich dafür aus dem Fenster lehnen? Vielleicht ist es manchmal besser zu akzeptieren, dass es eben nicht mehr so oft geht wie mit 20 Jahren. Wer doch Unterstützung möchte, muss nicht immer auf Viagra zurückgreifen. Psychosomatische Ansätze und Stoßwellentherapien helfen oft auch.

Stoßwellentherapie?

Gralla: Das Gerät in Form einer Coladose wird auf den Schwellkörper gesetzt. Niedrig energetische Stoßwellen lösen einen Reiz im Gewebe aus, der das Wachstum der Blutgefäße anregt. Mehr Blutgefäße, mehr Blut, härtere Schwellung. Wie alt sind die Patienten, die über Erektionsstörungen klagen? Da gibt es alle Altersgruppen. Über 40 natürlich. Aber ich habe auch viele junge Patienten. Da sind es häufig psychosomatische Probleme wie Stress, beruflich, finanziell, in der Beziehung. Oder auch übersteigerte Erwartungen, die sie zu mir führen.

Was meinen Sie mit übersteigerten Erwartungen?

Grallla: Ich hatte unlängst einen Patienten. 14 Jahre. Er klagte über Erektionsschwierigkeiten. Dann kam raus, dass er erst ein einziges Mal Geschlechtsverkehr hatte. Und zwar dreimal hintereinander. Danach konnte er kein viertes Mal mehr.

Zu viele Pornos geguckt?

Gralla: Wahrscheinlich. In diesen Videos wird der Eindruck vermittelt, Mann muss immer und überall können. Da musste ich ihm erstmal erklären, dass das im wirklichen Leben durchaus nicht so ist. Und dass seine Performance völlig in Ordnung ist. Außerdem, dass es beim Sex um andere Dinge geht. Wo stehe ich? Was habe ich für Bedürfnisse? Was hat meine Partnerin für Bedürfnisse?

Zur Person

Oliver Gralla ist Facharzt für Urologie, Andrologie und medikamentöse Tumortherapie. Er hat seine Praxis in Köln.

Sind auch die Hormone schuld?

Gralla: Ja, ab 40 kann der Testosteronspiegel abnehmen. Das wirkt sich auf den gesamten Körper aus. Die Männer sind lustlos, schlapp, ohne Energie. Eine Testosterontherapie kann großartige Erfolge erzielen.

Hormontherapie, Viagra und Prostatauntersuchung

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Werden Hormone nicht häufig zu leichtfertig verschrieben?

Gralla: Natürlich muss man da mit Augenmaß rangehen. Allerdings bin ich eher auf der Seite der Patienten als auf der Seite der Leitlinien. Wenn der Leidensdruck beim Patienten groß ist, dann ist es mir eigentlich egal, ob die Werte ein bisschen höher oder niedriger liegen. Denn es geht darum, dem Patienten zu helfen, und nicht irgendwelche Blutwerte in Ordnung zu halten. Und Hormon-Gele helfen dann oft erstaunlich gut.

Und wenn ein Mann um Viagra bettelt, geben Sie ihm das dann?

Gralla: Natürlich. Ein großartiges Medikament. Man kann Erektionsstörungen mit Medikamenten beheben. Das ist zwar eher ein Übertünchen der Symptome und keine Heilung der Ursachen, Sie dürfen aber nicht vergessen: Manchmal ist der Druck sehr groß. Die Partnerin ist genervt, die Beziehung steht auf dem Spiel, der Mann weiß: Beim nächsten Mal muss es klappen. Und dann klappt es erst recht nicht. Da kann dann ein Medikament gute Dienste erweisen. Die Erektion kommt, Normalität im Bett kommt nach und nach, und manche Männer finden dadurch wieder zu sich zurück, wodurch es dann auch ohne Medikamente wieder klappt. Wir setzen sie quasi wieder ins richtige Fahrwasser.

So sympathisch Sie sich anhören: Urologen besucht man nicht gerne. Haben Sie oft Patienten, die schon alles gegoogelt haben, bevor sie kommen?

Gralla: Ja, das ist natürlich verbreitet. Zu guter Letzt kommen die Patienten aber dennoch in meine Praxis. Schließlich landet man im Internet am Ende eigentlich immer bei Tod, Verderben und langem Siechtum. Selbst, wenn man nur einen roten Punkt auf dem Penis entdeckt hat.

Rote Punkte auf dem Penis sind harmlos?

Gralla: Naja, das kann auch mal Syphilis sein. Aber Männer sollten auch wissen: Nach einer halben Stunde Gerangel mit der Partnerin, sieht der Penis nicht mehr aus wie gemalt. Da weist er schon mal Gebrauchsspuren auf. Und dann kommen da halt mal Pickel oder Punkte auf dem Penis vor.

Viele Männer denken bei Urologie nur an die Prostatauntersuchung und meiden deshalb den Besuch.

Gralla: Da kann ich meine Patienten beruhigen. Ich mache die Fingertastuntersuchung nur selten. Ultraschall in Kombination mit bestimmten Blutwerten ergibt wesentlich bessere und verlässlichere Aussagen als dieses fürchterliche Rumgetaste. Außerdem stimmt es natürlich: Keiner mag das. Und ich will ja auch, dass die Patienten wiederkommen.

Sie nennen die Prostata im Buch das Montagsorgan des lieben Gottes. Was ist da schiefgelaufen?

Gralla: Die Prostata hat natürlich eine sehr wichtige und tolle Aufgabe. Aber ich habe mal drüber nachgedacht, wie lange ein Mann sie in seinem Leben wirklich braucht. Sie ist nur für die Fortpflanzung wichtig. Also zur Zeugung von zwei, vielleicht drei oder vier Kindern. Das sind Sekunden. Im Gegenzug macht das Organ dann aber den Rest des Lebens großen Stress.

Nun, Frauen menstruieren ja auch fast 40 Jahre und haben am Ende nur ein oder zweimal von ihren Eierstöcken Gebrauch gemacht.

Gralla: Das stimmt natürlich. Insofern herrscht Gleichberechtigung.

Apropos. Wie weit ist die Forschung bei der Verhütung für den Mann? Abseits des Kondoms.

Gralla: Medikamentös ist das schwierig. Wirkung und Nebenwirkungen stehen noch zu sehr im Missverhältnis. Allerdings beobachte ich, dass immer mehr Männer sich für eine Vasektomie entscheiden. Also eine Sterilisations-OP. Das ist die sicherste Form der Empfängnisverhütung. Der Eingriff ist minimal. Im Ganzen dauert es 15 Minuten, dann sind die Samenleiter durchtrennt. Ich spreche gerne von der Emanzipation des Mannes. Ich habe viele Patienten, die ihre Frauen entlasten wollen und sagen: Sie hat das jahrelang gemacht, jetzt will ich ihr das abnehmen.

Und dann war’s das mit der Fortpflanzung? Ein großer Schritt.

Gralla: Nicht unbedingt. Bei einem guten Operateur ist der Eingriff rückgängig zu machen. Die Erfolgschancen liegen bei über 90 Prozent.

Noch mal zu uns Frauen: Wir müssen ja auch mal zum Urologen. Ich sag nur Blasenentzündung. Haben Sie da praktische Tipps gegen?

Gralla: Sex mit gefüllter Blase zum Beispiel. Dann kann man nach dem Geschlechtsverkehr auf der Toilette gleich alles wieder ausspülen. Außerdem ein langes Vorspiel.

Tatsächlich?

Gralla: Ja. Es aktiviert den Schließmuskel. Bakterien können nicht so leicht eindringen. Daneben werden im Buch aber noch immunologische, orthomolekulare und pflanzliche Therapie- und Prophylaxe-Möglichkeiten genannt, um bei wiederkehrenden Blasenentzündungen nicht nur immerzu Antibiotika schlucken zu müssen. 

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