Oft jahrelang unentdecktWelche Symptome auf eine chronische Darmerkrankung hindeuten

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20210818 EVKK Foto Prof. Streetz Sonographie quer

Prof. Konrad Streetz bei einer Sonographie im EVKK. Die Patientin hat Darmbeschwerden.

  • In unserer Serie „Gesund durchs Jahr” widmen wir uns in jedem Monat einem anderen Themenbereich.
  • Im Monat September dreht sich alles um unseren Darm.
  • In dieser Folge klären wir mit Professor Dr. Konrad Streetz die wichtigsten Fragen zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

Seit Jahren steigt die Zahl an Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland zwischen 320.000 und 470.000 Menschen betroffen sind. Die häufigsten Formen der CED sind Morbus Crohn und Colitis ulcerose.

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Mit unserer Serie „Gesund durchs Jahr“ legen wir den Schwerpunkt ganz auf Ihre Gesundheit. Jeden Monat gibt es dazu ein Schwerpunktthema, zu dem jede Woche ein neuer Artikel erscheint. Im  September dreht sich alles um das Thema Darm.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen gelten als „Zivilisationskrankheit“ – statistisch gesehen treten sie in Industrieländern deutlich häufiger auf, als beispielsweise im Mittelmeerraum. Aber auch die genetische Veranlagung spielt eine große Rolle. Die genaue Ursache der Erkrankung ist nicht bekannt.

Professor Dr. med. Konrad Streetz ist Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Pulmologie und Innere Medizin am Evangelischen Krankenhaus Kalk. Im Interview beantwortet er die wichtigsten Fragen rund um chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.

Herr Streetz, warum sind chronisch-entzündliche Darmerkrankungen so schwierig zu diagnostizieren?

Konrad Streetz: Die Schwierigkeit ist, dass immer viel – eigentlich zu viel – Zeit vergeht, bis man die korrekte Diagnose stellt und der Patient vom Facharzt weiter behandelt wird. Symptome einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung sind überhaupt nicht eindeutig.

Beispielsweise bei Morbus Crohn vergehen teilweise Jahre, bis Symptome richtig erkannt werden. Bei der Colitis ulcerosa sind die Anzeichen eindeutiger, weil die Patienten gleich Durchfälle haben und dann eher zum Arzt gehen.

Was sind typische Symptome von CED, die verkannt werden?

Zum einen sind das unspezifische Schmerzen, die schlecht eingeordnet werden können. Auch Verdauungsbeschwerden aller Art oder Durchfälle. Aber Morbus Crohn beispielsweise kann sich von der Mundschleimhaut bis zum Analkanal an allen Stellen abspielen. Entsprechend können die Symptome vielfältig sein. Von Schmerzen im Ober- oder Mittelbauch, Symptomen an der Haut bis zu Gelenkschmerzen. Nicht selten gehen letztere auf eine Darmerkrankung zurück, werden aber fehlgedeutet. Beispielsweise als Überlastungsreaktion oder Rheuma.

Welche Ursachen haben Colitis ulcerose und Morbus Crohn?

Die beiden Erkrankungen haben ähnliche Entzündungsprozesse. Darum verfolgen die Therapien beider Erkrankungen auch ähnliche Ziele. Warum sich bei dem einen Colitis entwickelt, eine Entzündung die sich vor allem im Dickdarm abspielt und bei dem anderen Morbus Crohn, ist nicht ganz klar. Es gibt zudem nicht die eine Krankheit Morbus Crohn, sondern wahrscheinlich sehr viele verschiedene Unterformen – je nachdem welcher Teil des Darms betroffen ist. Entsprechend sind auch die Ursachen eine Sammlung mehrerer Faktoren.

Man weiß, dass die individuelle Genetik eine sehr entscheidende Rolle spielt. Andere Faktoren sind Infektionen im Kindesalter. Welche genau, weiß man noch nicht. Die Ernährung und die Umwelt spielen eine Rolle. Das zeigt sich in einem Nord-Süd-Gefälle in der Häufigkeit der Erkrankungen. Beispielsweise haben skandinavische Länder eine höhere Rate an chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, als beispielsweise Länder am Mittelmeer.

Das kann man statistisch feststellen, woran genau das liegt, lässt sich schwer sagen. Ein Punkt ist die größere Bandbreite an Nahrungsmitteln. Im Süden wächst einfach mehr, man isst darum frischer und vielfältiger als beispielsweise im Norden.

Wie beeinflussen Faktoren aus der Kindheit das Risiko zu erkranken?

Wie erwähnt sind da die Infektionskrankheiten im Kindesalter. Zum anderen gibt es diesen frühkindlichen Kontakt mit Erregern – beispielsweise Würmern – so heute nicht mehr. Die Generation meiner Eltern hat noch im Dreck gespielt. Sie hatten einen urwüchsigen Kontakt mit vielen Keimen und Würmern, der ein Training für das Immunsystem war. Unsere Kinder wachsen heute in einer viel sterileren Umgebung auf und ihnen fehlt der Kontakt mit – an sich harmlosen – Umweltkeimen. Das ist ein Tribut an die Entwicklung unserer Gesellschaft.

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen setzen im Normalfall im Alter zwischen 14 und 24 Jahren ein. Das würde man so erstmal nicht erwarten.

Ja, die CED sind eine Erkrankung vor allem junger Menschen, die im Ausbildungs- oder Berufsleben stehen und in der Phase der Familiengründung sind. Einige erkranken auch noch im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, aber das sind seltene Fälle.

Die Krankheitsaktivität hat in der Anfangsphase und in jungen Jahren ihren Höhepunkt und nimmt im Laufe des Lebens ab. Irgendwann haben Patientinnen und Patienten wieder mehr Ruhe. Und die CED sind keine Erkrankungen – außer in wenigen dramatischen Fällen – die die Lebenserwartung einschränken. Aber: CED sind nicht heilbar. Man kann Morbus Crohn und Colitis ulcerose nur so gut es geht behandeln, indem man die Darmfunktion normalisiert und das Immunsystem stabilisiert.

Welche Möglichkeiten der Behandlung gibt es?

Es gibt heute eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten, medikamentöse wie auch chirurgische Therapien. Die Herausforderung ist, dass wir nur sehr wenig darüber wissen, wie verschiedene Therapeutika bei den Patienten anschlagen.

Es muss das jeweils passende für den Stand der Erkrankung gefunden werden. Das kann ein Probiotikum sein, eine Therapie, die das Mikrobiom moduliert oder eine Therapie mit Antikörpern, ein sogenanntes Biologikum. Das ist das modernste, was es aktuell in der Medizin gibt.

Wie wichtig ist es bei der Behandlung von CED auch die Psyche mit einzubeziehen?

Die Lebensqualität wird durch eine Erkrankung des Darms extrem eingeschränkt. Darum spielt die Psyche bei den CED immer eine Rolle. Wenn sie mehrfach am Tag mit hohem Drang zur Toilette müssen, sich nicht trauen etwas zu essen, weil es Schmerzen und Durchfälle verursacht, dazu Gelenk- oder Hautbeschwerden, darunter leidet das Wohlbefinden enorm. Es gibt Patienten, die sind psychisch irgendwann mitgenommen, weil sie jahrelang mit dem gleichen Problem herumlaufen. Darum nehme ich mir als Arzt möglichst Zeit für die Patienten und versuche, eine Bindung aufzubauen.

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