Kölner Infektiologin zu Long Covid„Manche können keine zehn Meter mehr laufen“

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Clara Lehmann 130122

Clara Lehmann

Köln – Fast zwei Jahre ist es her, dass mit einer Karnevalsveranstaltung in Heinsberg die erste Corona-Welle in Deutschland anrollte. Damals starteten Wissenschaftler an der Kölner Uniklinik einen Aufruf: Sie luden Genesene zur Blutuntersuchung ein. Rund 1000 Leute folgten dem Appell und kamen von da an alle drei Monate. „Im Sommer merkten wir, dass einige Patienten immer noch Beschwerden hatten“, sagt die Kölner Infektiologin Clara Lehmann und Leiterin der Post-Covid-Ambulanz der Kölner Uniklinik. Ihre Arbeitsgruppe beschrieb als eine der ersten eine neuartige Krankheit: Das Post-Covid-Syndrom, oder auch: Long Covid. Was weiß man heute, eineinhalb Jahre später, über die Krankheit nach der Krankheit? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie äußert sich Long Covid?

Die häufigsten Symptome von Long Covid sind eine sehr starke Fatigue (Müdigkeit), Konzentrationsschwäche und Atemprobleme. Einige Patienten fühlen sich zudem abgeschlagen, leiden an Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen sowie Herz-Rhythmus-Störungen. Auffallend viele Long Covid Patienten entwickelten zudem eine Depression oder Angststörung.

Wenn Patienten vier Wochen nach Beginn der Krankheit immer noch Symptome zeigen, spricht man in der Medizin von einer „subakuten Covid-19 Krankheitsphase“, ab zwölf Wochen vom „Post-Covid-Syndrom“. Beide Phasen werden in Deutschland unter dem Krankheitsbegriff Long Covid zusammengefasst.

Wie entsteht Long Covid?

Dazu gibt es viele Theorien: Eine geht von Virusresten aus, die in Organen noch vorhanden sind, andere von Autoantikörpern, die eine Autoimmunreaktion auslösen. Sie alle bleiben jedoch Theorien. „Wir wissen nicht, wie Long Covid entsteht“, sagt Clara Lehmann. „Das Krankheitsbild haben wir noch nicht verstanden – das ist ja unser Problem.“

Welche Auswirkungen hat die Psyche auf Long Covid?

Keine Frage, eine Depression oder Angststörung entsteht schneller bei Kontaktbeschränkungen oder nach einem traumatischen Krankenhausaufenthalt. Manche Wissenschaftler, sagt Lehmann, zweifeln Long Covid deshalb an. „Die Meinung teile ich überhaupt nicht“, betont sie. „Es erklärt nicht, wieso viele meiner Patienten keine zehn Meter mehr laufen können.“

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

„Solange man Long Covid noch nicht wirklich verstanden hat, kann man die Krankheit nur schwer behandeln“, sagt Lehmann. Ein Medikament gegen Long Covid gibt es nicht, den Medizinern bleibt nur die Symptombehandlung: Patienten mit Lungenveränderungen bekommen ein Asthmaspray und lernen, ihre Atemmuskulatur richtig einzusetzen.

Wer an Konzentrationsstörungen leidet, durchläuft eine Ergotherapie. Patienten, die vorher 60 Stunden die Woche gearbeitet haben, fangen bei 30 Stunden wieder an – und verzweifeln, wenn sie auch diese Arbeitszeit nicht mehr schaffen. „Wichtig ist, dass die Patienten eine Anlaufstelle haben, in der sie und ihre Beschwerden ernst genommen werden“, sagt Lehmann. „Häufig hören wir einfach nur zu.“

Hilft eine Corona-Impfung gegen Long Covid?

Im Frühjahr und Sommer 2021 verschwanden bei manchen Long Covid Patienten die Symptome nach der Corona-Impfung. Das schien jedoch die Ausnahme zu sein. „Die Studien kamen nicht zu dem Ergebnis, dass Impfungen die Symptome von Long Covid lindern“, sagt Lehmann.

Wer erkrankt an Long Covid?

Rund 15 bis 20 Prozent aller Corona-Infizierten bekommen Long Covid. Dabei ist es irrelevant, ob sie vorher einen milden oder schweren Corona-Verlauf hatten. „Das ist ja das Erstaunliche“, sagt Lehmann. „Einige Patienten hatten einen milden Verlauf, sind junge, fitte Menschen, aber brauchen extrem lang, um wieder auf die Beine zu kommen. Teilweise kommen sie gar nicht mehr auf die Beine.“

Ob Geimpfte häufiger an Long Covid erkranken als Ungeimpfte, so Lehmann, sei noch unklar. Was jedoch auffällt: Unter den Long Covid Patienten sind deutlich mehr Frauen als Männer, obwohl Männer ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf haben. „Das kennt man auch von anderen Virusinfektionen“, sagt Lehmann. „Frauen können eine Virusinfektion in der akuten Phase besser bekämpfen, dafür geht die Erkrankung häufiger in ein chronisches Stadium über.“

Als Grund dafür vermuten Forscher einen Rezeptor für einen Botenstoff, der auf den X-Chromosomen liegt – von denen Frauen doppelt so viele haben wie Männer. Die meisten von Lehmanns Patienten sind zudem eher jung.

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Wie wirkt sich Long Covid auf die Sterblichkeit von ehemals Infizierten aus?

Laut einer Studie aus den USA bleibt das Sterberisiko für Menschen, die eine Corona-Infektion überstanden haben, im ersten Jahr deutlich erhöht. Besonders hoch ist das Risiko demnach für Patienten, die einen schweren Verlauf erlitten. Clara Lehmann bezeichnet die Aussagekraft dieser Studie jedoch als gering. „Es ist ein interessanter Ansatz, aber ich sehe in der Studie einige kritische Punkte.“ Beispielsweise bezieht sich die Untersuchung auf elektronische Gesundheitsdaten, die Forscher untersuchten die Patienten nicht persönlich.

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