Psychotherapeut aus Königswinter berätWelche Fragen Sie sich am Jahresende stellen sollten

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Jahresrückblick 2023 für Ratgeber-Geschichte

Foto: Getty Images/Carbonero Stock

Am Ende des alten Jahres geht es auch darum, mit Erlebnissen – guten wie schlechten – friedlich abschließen zu können.

Wie war Ihr 2023? Warum es sich lohnt, die persönlichen Ereignisse des Jahres Revue passieren zu lassen – vor allem, wenn es anstregend war.

2023 war ein Krisenjahr, das wurde oft genug beschworen: fortwährender Krieg in der Ukraine, neuer Krieg in Israel, Rekord-Hitze, Super-Inflation, Haushaltssperre, Erdbeben, Waldbrände, Überschwemmungen und, und, und. Glücklicherweise gab's aber auch ein paar erfreuliche Dinge: Deutschland-Ticket, Gewinn der Basketball-WM, Ende aller Corona-Beschränkungen ... Aber fangen wir doch lieber etwas kleiner an: Wie war IHR Jahr 2023 eigentlich so?

Vielleicht war gar nicht so viel Krise, sondern auch ganz viel Schönes: Eine Hochzeit, ein neuer Job oder die wohlverdiente Rente, eine wiedergefundene Freundin, eine tolle Reise. Das Ende des Jahres sollten wir nicht nur nutzen, um zu schauen, was in der großen, weiten Welt passiert ist, sondern auch, was in unserer eigenen, kleinen Welt so los war. „Das kann die Resilienz und Selbstwirksamkeit stärken“, sagt Andreas Pichler, Psychotherapeut aus Königswinter und Vizepräsident der Psychotherapeutenkammer NRW. Warum das so ist und wie Sie den persönlichen Jahresrückblick angehen, erfahren Sie hier.

Was ist ein persönlicher Jahresrückblick?

Eigentlich ist der persönliche Jahresrückblick sehr ähnlich zu den großen Rückblicken in den Medien: Man schaut zurück, was in den einzelnen Monaten passiert ist. Man lässt tolle Erlebnisse und schmerzliche Erfahrungen Revue passieren, erinnert sich an große und kleine Veränderungen, durchlebt bestimmte Momente noch einmal. „Wir schauen uns diese großen Jahresrückblicke in den Medien an, um das Jahr rund zu bekommen – und dasselbe passiert bei einem persönlichen Jahresrückblick auch“, sagt Psychotherapeut Andreas Pichler.

Porträt-Foto Psychotherapeut Andreas Pichler aus Königswinter

Andreas Pichler ist Psychotherapeut aus Königswinter.

„Im Persönlichen kann man aber noch eher einen friedlichen Abschluss herstellen.“ Ein solch persönlicher Rückblick ist ein klassisches Verfahren in der Psychotherapie, erklärt Pichler, allerdings für gewöhnlich in der Arbeit mit älteren oder schwer erkrankten Menschen, die ihr Leben Revue passieren lassen und bewerten. Nichtsdestotrotz lassen sich die Erkenntnisse dieser Methode auch auf einen etwas lockereren Jahresrückblick anwenden.

Was bringt der persönliche Rückblick?

Klar, an gewisse Ereignisse erinnert man sich gerne zurück: das Enkelkind, die Hochzeit, die tolle Reise, die bestandene Prüfung, der neue Job, aber auch banalere Dinge wie ein wunderschönes Buch, ein Treffen mit einer Freundin, die neuen Wanderschuhe oder ein Erfolgserlebnis im Sport. Da werden die Glückshormone einfach nochmal ausgeschüttet. „Man sollte sich aber insgesamt vor Augen führen, was im Verlauf des Jahres alles passiert ist und was man gemeistert hat“, sagt Andreas Pichler. Denn gewisse Dinge möchte man einfach nur verdrängen. Die Misserfolge und das Scheitern, die peinlichen, traurigen und schlimmen Erlebnisse.  Und wer sogar das Gefühl hat, dass 2023 im Gesamten ein richtig ätzendes Jahr war, will sich wohl nicht an so einen Jahresrückblick wagen. Sollte er aber, sagt Andreas Pichler.

Wie geht man mit den schlechten Dingen um?

„Es braucht Ehrlichkeit und Akzeptanz, um zurückzublicken und sich zu überlegen, warum etwas nicht geklappt hat, warum das Projekt auf der Arbeit schiefgegangen oder die Beziehung gescheitert ist. Aber auch, um zu bewerten, wie hoch der Schaden wirklich war, der entstanden ist.“  Gleichzeitig gibt es aber auch Schicksalsschläge, an denen man gar nichts hätte ändern können, wie der Tod eines geliebten Menschen oder eine schlimme Krankheit.

„Da sollte man schauen, ob man diesen Ereignissen und den damit verbundenen Emotionen von Enttäuschung, Trauer, Schmerz und Wut genug Raum gegeben hat oder ob da noch Reste sind, die man verarbeiten muss.“ Doch gerade die schlechten Dinge sind es, die die eigene Widerstandskraft stärken können. Zu sehen, dass das Leben trotz der Verluste und Misserfolge weitergeht, dass man es aus eigener Kraft oder mit der Hilfe anderer geschafft hat, etwas zu überwinden, dass Dinge, die man sich nicht zugetraut hatte, trotzdem gelungen sind, vielleicht sogar, dass sich im Anschluss an das Schlimme etwas Schönes ereignet hat. „Das stärkt den Glauben an sich selbst und das eigene Können.“

Wie geht der Rückblick konkret?

Nun aber mal ans Eingemachte – wie macht man so einen persönlichen Jahresrückblick überhaupt? Das Gute ist: Er hat keine feste Form und bedarf weder viel Zeit noch viel Vorbereitung. „Man sollte sich im Vorfeld nur überlegen, ob man alleine zurückschauen möchte oder mit zwei, drei vertrauten Personen“, sagt Andreas Pichler. Eine große Silvesterparty mit vielen Fremden eignet sich vermutlich nicht so für eine private Rückschau, ein gemütlicher Raclette-Abend mit wenigen guten Freunden schon. Dann wird es gesellig und lustig, vor allem, wenn man gemeinsam in Erinnerungen schwelgen kann, sich gegenseitig an fast vergessene Ereignisse erinnert oder in den traurigen Momenten umarmen und trösten kann. „Natürlich kann man den Rückblick auch alleine angehen, dann wird es aber etwas stiller und meditativer“, sagt Pichler.

Was kann helfen?

Doch zwölf Monate sind lang und so manches Ereignis aus dem vergangenen Winter schon wieder ganz weit weg. Um sich besser zu erinnern, kann man einen Blick in den Kalender werfen oder durch die Fotos aus dem vergangenen Jahr schauen. Wer es nicht ganz so chronologisch mag, kann sich auch verschiedene Orte überlegen, die wichtig waren – und hier sind explizit nicht nur exotische Urlaubsorte gemeint, sondern auch bestimmte Stadtteile, Straßen oder Häuser am Wohnort.

Eine weitere Möglichkeit ist, den Rückblick anhand von Menschen, die einen in diesem Jahr besonders geprägt haben, anzugehen. „Es kann auch jeder einen Gegenstand mitbringen, der für ihn oder sie stellvertretend für das vergangene Jahr steht. Das bedarf dann aber schon einer gewissen Vorbereitung“, sagt Pichler. Alternativ können Sie sich auch einfach an den Fragen, die wir für Sie zusammengestellt haben, entlang hangeln.

Und was bringt mir das fürs nächste Jahr?

Und weil in wenigen Tagen schon das neue Jahr beginnt, wollen wir nicht nur zurück, sondern auch ein bisschen vorausblicken. Der persönliche Rückblick ist im besten Fall heilsam und wohltuend, ermöglicht Ihnen, mit Misserfolgen abzuschließen und lässt Sie mit einem klaren und sortierten Gefühl zurück. „Anhand der Erfahrungen aus diesem Jahr sollten Sie sich aber auch fragen: Was ermutigt mich fürs nächste Jahr?“, sagt Pichler. Denn mutig, friedlich und gestärkt ins neue Jahr zu starten, ist vermutlich mehr wert als die zehn Vorsätze, die man schon in Kalenderwoche zwei wieder über Bord wirft. In diesem Sinne: Alles Gute für 2024 – in der großen und kleinen Welt.


Fragen für Ihren persönlichen Jahresrückblick:

Thema Beziehungen (bezogen auf Partnerschaft, Freundschaft, Familie, Bekanntschaft, berufliche Beziehungen)

  • Was fand ich ermutigend?
  • Was hat mir gutgetan?
  • Welche Menschen haben mir gutgetan?
  • Was hat mir wehgetan?
  • Was ist noch offen?
  • Wie gehe ich damit um?

Thema Gesundheit:

  • Wann habe ich mich gut um mich gekümmert?
  • Wann habe ich mich vernünftig verhalten, mich gut ernährt, Sport gemacht, mich gepflegt?
  • Wann und wo habe ich auf Ausgleich geachtet – und wo nicht?

Thema Schwierigkeiten:

  • Welche Schwierigkeiten sind mir im vergangenen Jahr begegnet?
  • Wie habe ich sie gemeistert? Was hat mich dabei an mir selbst überrascht?
  • Was habe ich daraus gelernt für kommende Schwierigkeiten?
  • Wo bin ich gescheitert? Was hat nicht geklappt?
  • Habe ich meinen Frieden damit gemacht?
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