Weit verbreitete ÄngsteWie man mit der Flooding-Methode erfolgreich Phobien behandelt

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  • Viele Menschen tragen irrationale Ängste mit sich rum: vor Tiefe, Spinnen, dem Fliegen, vor Höhen, Fahrstühlen oder sogar Menschen.
  • Viele Phobiker entwickeln ein sogenanntes Meidungsverhalten, was zur deutlichen Einschränkung der Lebensqualität bis zu sozialer Isolation führen kann.
  • Darum sollten Phobien unbedingt behandelt werden. Aber wie? Wir haben führende Experten zum Thema befragt.

Im australischen Busch gibt es Spinnen, die handtellergroß und hochgiftig sind. In unseren Breiten begegnet man fast nur kleinen und harmlosen Exemplaren, wie Weberknecht und Kreuzspinne. Doch selbst die sorgen bei vielen Menschen für Herzrasen, Schweißausbrüche und Atemnot. Sie geraten schier in Schockstarre oder beginnen vor Angst hysterisch zu schreien. Gleiche Reaktionen können bei anderen ein Zahnarztbesuch oder eine überfüllte U-Bahn provozieren.

Fachleute sprechen in solchen Fällen von Phobien. Dabei handelt es sich um eine Form der Angst-Störung. Also eine Erkrankung, bei der das Gefühl der Angst, das ein körpereigenes Gefahrenwarnsystem darstellt, unnatürlich stark ausgeprägt ist. „Die Betroffenen haben intensive Angst vor etwas, das sie im Grunde nicht, oder zumindest nicht in dem Maße fürchten müssen, in dem sie es tun”, erklärt Borwin Bandelow, Professor für Psychologie an der Uni Göttingen und Präsident der Gesellschaft für Angstforschung.

Verschiedene Arten

Es gibt drei Arten von Phobien: Die Agoraphobie, in deren Mittelpunkt Orte und Situationen stehen, aus denen eine Flucht bei plötzlichem Unwohlsein schwierig wäre - wie etwa ein fliegendes Flugzeug. Die soziale Phobie, bei der die zentrale Furcht in einer möglichen Negativbewertung durch andere steht, wie etwa beim Sprechen vor Publikum. Die dritte Kategorie schließlich, sind die spezifischen Phobien, die sich gegen bestimmte Objekte oder Situationen richten. Dabei gibt es quasi nichts, was es nicht gibt. Einige Dinge machen aber besonders vielen Menschen Angst: „Dazu zählen Tiere wie Spinnen oder Schlangen, Naturgewalten wie Gewitter, enge Räume, die Dunkelheit oder medizinische Behandlungen und Verletzungen”, weiß der Greifswalder Psychologieprofessor Alfons Hamm.

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Borwin Bandelow

Wie epidemiologische Erhebungen zeigen, sind Phobien relativ verbreitet. Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes leiden 4 Prozent der Erwachsenen unter Agoraphobie, 2,7 unter sozialer Phobie und 10,3 unter einer spezifischen Phobie. Der Großteil der Betroffenen ist im jüngeren Erwachsenenalter, Frauen sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Wie eine Phobie sich bemerkbar macht, ist individuell verschieden. So gibt es etwa Betroffene, die nur Probleme haben, wenn sie sich ihrem Angstobjekt in natura gegenüber sehen. Andere hingegen wirft es bereits aus der Bahn, wenn sie mit Bild- oder Tonaufnahmen konfrontiert werden oder nur daran denken. Die Heftigkeit der Reaktion hängt vom Ausmaß der Phobie und der Stärke des Reizes ab. Sie kann von intensiven Angstgefühlen bis zur ausgewachsenen Panikattacke reichen.

Instinktive Flucht

Letztere tritt auf, wenn der Betroffene das Reizobjekt als so bedrohlich wahrnimmt, dass das „Angstzentrum” seines Gehirns - die Amygdala - auf Gefahrenabwehr umschaltet. Dann werden vermehrt Botenstoffe wie Adrenalin ausgeschüttet und das vegetative Nervensystem aktiviert. Folge sind Negativgedanken, wie die Furcht vor Kontrollverlust und körperliche Stress-Symptome wie Herzrasen, Zittern und Atemnot. Außerdem verfallen die Betroffenen oft in Instinkthandlungen die evolutionär in uns verankert sind: „Sie suchen das Heil in der Flucht, greifen an oder erstarren in einer Art Totstellreflex”, erklärt Hamm. Anders als etwa Psychose-Erkrankte, deren Realitäts-Wahrnehmung verzerrt ist, sind sich Phobiker durchaus im Klaren darüber, dass ihre Angstgefühle überzogen sind. Es gelingt ihnen jedoch nicht, sie durch rationale Erklärungen zu kontrollieren. Folge ist eine, oft stark ausgeprägte Angst vor der Angst.

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Die Betroffenen entwickeln ein sogenanntes Vermeidungsverhalten, was bedeutet, dass sie dem Angstauslöser gezielt ausweichen. In diesem Sinne meidet ein Spinnenphobiker beispielsweise Dachböden und Keller und ein Sozialphobiker geht geselligen Veranstaltungen aus dem Weg.

Wenn die Ausweichmanöver erfolgreich sind, bleiben die Betroffenen tatsächlich angstfrei. Sie können jedoch dazu führen, dass sie sich in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränken und von ihrem Umfeld isolieren. „Im Extremfall verlieren Phobiker durch ihr Vermeidungsverhalten sogar ihre Freunde oder sind nicht mehr arbeitsfähig”, weiß Bandelow. Das drohe vor allem, wenn jemand etwas „Allgegenwärtiges” fürchte – wie etwa fremde Menschen. Statt sie zu verbessern, verringern die Betroffenen ihre Lebensqualität also durch das Angstvermeiden unter Umständen noch. Das kann zusätzliche psychische Probleme begünstigen. So können sich neben der vorhandenen etwa noch andere Phobien oder Zwänge ausbilden oder der Betroffene kann in eine Depression verfallen.

Phobien können auch körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Tinnitus auslösen und längerfristig dazu beitragen, dass ernste Krankheitsbilder wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen entstehen. Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen das angstbedingte Vermeidungsverhalten Gesundheitsschäden nach sich zieht. „Paradebeispiel dafür sind Dentalphobiker, für die Besuche beim Zahnarzt ein Horror sind, dass sie teils lieber ein völlig zerstörtes Gebiss in Kauf nehmen, als den Zahnarzt aufzusuchen”, sagt Hamm.

Studien haben gezeigt, das Menschen, die Verwandte mit Angsterkrankungen haben, ein drei- bis sechsfach erhöhtes Erkrankungsrisiko haben. Als Grund für diese familiäre Häufung gelten Abweichungen im Erbgut. Die Variationen betreffen zum Beispiel Gene, die mit der Ausschüttung von Botenstoffen zu tun haben, die an der Stressverarbeitung beteiligt sind. Oder solche, die am Aufbau von Gehirnarealen mitwirken, die für die Angstentstehung wichtig sind: Wie etwa die Amygdala, die eingehende Reize auf ihre Gefährlichkeit analysiert. Folge ist eine verstärkte Sensibilität des autonomen Nervensystems auf Stressreize und eine erhöhte emotionale Angstneigung.

Familiäre Prägungen

Auch negative Umwelteinflüsse, wie schwere emotionale Belastungen oder traumatische Erlebnisse können die Entwicklung einer Phobie begünstigen. Als relevant erachten einige auch familiäre Prägungen, die etwa darin bestehen können, dass jemandem das extreme Angstverhalten im Kindheitsalter durch enge Bezugspersonen "vorgelebt" wird. Außerdem gibt es eine Reihe körperlicher und seelischer Erkrankungen, durch die sich das Erkrankungsrisiko erhöht: Darunter sind Herz-Kreislaufkrankheiten und eine Schilddrüsenüberfunktion, sowie Schizophrenie, Borderline-Syndrom und andere Persönlichkeitsstörungen.

Eine Phobie sollte man möglichst angehen, da sie sich mit der Zeit verfestigt. Bewährt haben sich Verhaltenstherapien. „Durch sie können krankhafte Denk- und Handlungsschemata aufgebrochen und abgestellt werden”, erklärt Hamm. Das „kognitive Umstrukturieren” zielt darauf ab, negative Gedankenmuster aufzulösen. Im konkreten Fall werden angsterzeugende Wahrnehmungen und Denkweisen auf Fehler und Übertreibungen überprüft und berichtigt. So wird einem Spinnenphobiker, der befürchtet, dass die Achtbeiner in seine Kleidung kriechen könnten, etwa klargemacht, dass dies nicht ihrem natürlichen Verhalten entspricht. Auf diese Weise kann sich seine Angst verringern oder verschwinden. Ein zweiter Ansatz, der sehr erfolgreich angewandt wird, ist die Konfrontationstherapie, bei der der Betroffene seinem Angstreiz ausgesetzt wird, um ihn unempfindlich für ihn zu machen. „Hier gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Herangehensweisen”, weiß Bandelow.

Die eine sei eine systematische Desensibilisierung, bei der der Phobiker Schritt für Schritt an sein Angst-Objekt herangeführt wird. Die andere eine als Flooding bezeichnete Reizüberflutung, bei der er „auf einen Schlag die volle Dosis abbekommt.” Flooding scheint dabei die erfolgreichere Variante, allerdings ist sie umstritten. So gibt es etwa Theorien, die besagen, dass dadurch die Ängste noch verstärkt werden können.

Der Angstsituation stellen

Letztlich ist wichtig ist, dass der Betroffene die Angstsituation durchsteht und sich ihr nicht auf dem Höhepunkt seiner Furcht entzieht. Nur so kann er lernen, dass seine Angstvorstellungen irreal sind. Allerdings sollte die Exposition gerade bei ausgeprägten Phobien kontrolliert unter Aufsicht eines Psychotherapeuten erfolgen.

Auch Entspannungstechniken wie autogenes Training können den Angstabbau unterstützen. Außerdem kommen in der Behandlung von Phobien tiefenpsychologische Verfahren zur Anwendung, die den tieferliegenden Ursachen der Störung auf den Grund gehen, um sie auszuräumen. Der Einsatz von angsthemmenden Medikamenten ist umstritten.. Sie dämpfen die Negativgefühle und Ängste zwar effektiv, ändern jedoch nichts am Bestehen der Phobie selbst. Experten empfehlen deshalb, dass Medikamente nie alleine, sondern stets in Kombination mit Psychotherapie zum Einsatz kommen sollten.

Die Heilungschancen für Phobien gelten bei konsequenter, individuell zugeschnittener Therapie als verhältnismäßig gut. Für spezifische Phobien liegen sie, so Hamm, bei systematisch angewandter Expositionsbehandlung, sogar bei etwa 80 Prozent. Und auch wenn es nicht zur kompletten Genesung kommt, was vor allem bei ausgeprägten, vielschichtigen Angstvorstellungen passiert, gelingt es doch meist, die Symptomatik zu verbessern.

Evolutionsbiologischer Hintergrund

Wie Angstforscher Borwin Bandelow erklärt, richten Phobien sich bevorzugt gegen Dinge, die bereits unsere urzeitlichen Vorfahren fürchteten. Dazu gehören Verletzungen, tiefes Wasser, Raubtiere und giftige Spinnen oder Schlangen. Hintergrund ist, dass wer zur damaligen Zeit keine Angst vor diesen Gefahren hatte, ein deutlich erhöhtes Risiko hatte, frühzeitig zu sterben und sich nicht fortzupflanzen. Folge ist, dass jene, die überlebten vorwiegend „Angsthasen” waren. Laut Bandelow haben sie ihre Ängste an uns weitervererbt. Und nicht nur sie.

Fakt sei, dass das Angstsystem unseres Gehirns „primitiv” sei und etwa nicht zwischen einem Tiger und einer harmlosen Hauskatze unterscheiden könne. Daher seien mit besagten „Urängsten” auch die Anlage für andere Ängste – z.B. die vor Katzen - in uns verankert worden. Evolutionsbiologisch erklärbar sei auch, dass Frauen eine höhere Angstneigung hätten: Ihre Aufgabe war, den Nachwuchs zu schützen.

Buchtipp: Borwin Bandelow, Das Angstbuch: Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpfen kann , Rowohlt 2006, 9,99 Euro

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