Kölner Biologe Mark Benecke erklärtWas Sie bestimmt noch nicht über Fruchtfliegen wussten

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Eine Nahaufnahme einer Fruchtfliege – Drosophila Melanogaster – auf einem roten Apfel.

Kaum steigen die Temperaturen, sind Fruchtfliegen wieder unterwegs.

Fruchtfliegen lieben überreifes Obst und sind Plagegeister. Insektenexperte Mark Benecke sagt, warum wir sie dennoch schätzen sollten.

Wenn in den Sommermonaten süße Früchte in unseren Obstkörben hübsch angerichtet sind, tauchen sie gefühlt aus dem Nichts auf: Fruchtfliegen. Auch auf Kompost oder Müll fliegen sie. Das Herumschwirren der Tierchen kann lästig sein. Am liebsten möchten wir sie sofort wieder loswerden. Mark Benecke, Kölner Biologe und Bestsellerautor, zeigt uns, dass wir die Tiere mit anderen Augen sehen sollten.

Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, Insektenexperte und Forensiker.

Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, Insektenexperte und Forensiker.

Wie finden Fruchtfliegen den Weg in meine Küche?

Fruchtfliegen (Drosophila Melanogaster) haben einen ausgeprägten Geruchssinn. „Sie können Gerüche wahrnehmen, die durch die Luft gehen, wie Essig, Wein oder altes Obst“, sagt Mark Benecke. Insekten gehören zu seinem Spezialgebiet. Wenn er nicht gerade von Fruchtfliegen erzählt, befasst sich der Kriminalbiologe vor allem mit der Untersuchung von Krabbeltieren, die verwesende Körper befallen.

Laut Benecke werden die winzigen Fliegen aber häufiger eingeschleppt, als dass sie vom Geruch angezogen werden. Das bedeutet, dass die Eier bereits auf einer Nahrungsquelle vorhanden sind.

Wann gibt es die meisten Fruchtfliegen und wie vermehren sie sich?

In unseren Breitengraden können sich die Insekten nur bei sommerlich-warmen Temperaturen entwickeln, da sie ihre Wärme nicht selbst aufbauen können. „Viele Insekten sind ab plus 10 Grad Celsius aktiv, bei niedrigeren Temperaturen werden sie träge, ihr Stoffwechsel funktioniert nicht mehr richtig und sie können sich nicht mehr vermehren“, erklärt Benecke.

Der Lebenszyklus der Fruchtfliege beginnt mit der Eiablage auf überreifem Obst – bis zu vierhundert Eier kann ein Weibchen legen. Im Sommer dauert es zehn Tage, bis aus den Eiern Larven geschlüpft sind und diese sich zu Fliegen entwickelt haben. Die Weibchen leben bis zu acht Wochen, die Männchen lediglich zehn Tage. Ohne Nahrung kann die Obstfliege jedoch keine vierundzwanzig Stunden überstehen.

Und auch wenn sie sich jedes Jahr aufs neue rasant vermehren, werden die kleinen Tierchen nicht mehr, im Gegenteil. Früher habe es viel mehr Fruchtfliegen gegeben, so Benecke: „Junge Menschen denken, die Welt sei immer so leer gewesen, aber ältere Menschen erinnern sich noch an die vielen Schmetterlinge, Wildbienen und anderen Insekten in der Luft.“ 

Sind Fruchtfliegen ein Problem für die Gesundheit und können sie Träger von Krankheiten sein?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen im Laufe ihres Lebens einige kleine Fliegen verschlucken, besonders beim Radfahren. Dies sei jedoch kein Grund zur Sorge. Die Fliegen seien, wenn überhaupt, eher nahrhaft. Fruchtfliegen sind zudem keine Träger von Krankheiten und stellen keine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar.

„Es gibt keine harmloseren Lebewesen als Fruchtfliegen – sie sind wie die Koalabären der Insekten“, sagt Benecke. Er freue sich jedes Mal, wenn er welche sehe: „Die haben auch total schöne Augen, schöne Körper und schöne Flügel.“ Details, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. 

Fruchtfliegen und Menschen haben teils ähnliches Verhalten

„Und sie zeigen auch Neugier, wie wir Menschen.“ In manchen Dingen seien sie uns gar nicht so unähnlich, sagt Benecke. Wie findet man das heraus? „In der Biologie gibt es sogenannte Modell-Tiere, die verwendet werden, um den Aufbau der Nerven, die Entwicklung von Lebewesen und vieles mehr zu erforschen“, erklärt der Biologe.

Dazu gehören zum Beispiel der kleine Fadenwurm, die Maus, der Zebrafisch und auch die Fruchtfliege. Über diese Organismen ist viel bekannt, da ihr gesamtes Nervensystem und Erbgut erforscht wurde. In Experimenten werden sie unterschiedlichsten Bedingungen ausgesetzt, um ihr Verhalten zu beobachten. So kann man zum Beispiel herausfinden, ob sie soziale oder depressive Züge aufweisen.

„Depressives Verhalten wäre zum Beispiel, wenn sie sich nicht mehr für Paarungen interessieren oder nicht mehr umherfliegen. Soziales Verhalten hingegen würde sich zeigen, wenn sie das Verhalten anderer Tiere beobachten und übernehmen“, sagt der Insektenexperte. Etwa bei der Nahrungssuche, denn Fruchtfliegen gehen in Gruppen auf Futtersuche.

Wofür sind Fruchtfliegen gut?

Die Tiere zersetzen zum Beispiel Kompostabfälle so, dass diese von anderen Lebewesen wiederverwertet werden können. Und die Larven der Fruchtfliegen dienen als Nahrung für Käfer, die wiederum von Vögeln gefressen werden und so weiter. Diese biologischen Netzwerke seien milliardenfach verknüpft. Wie sie funktionieren, verstehe man erst durch genaues Beobachten, so Benecke.

Doch der Insektenforscher warnt: „Durch das Sterben vieler Tiere wird der biologische Kreislauf gefährdet, was im schlimmsten Fall dazu führen kann, dass das biologische Netz zerrissen wird.“ Dies sei besonders schlecht für die Art an der Spitze des Kreislaufs, den Menschen. Ohne Insekten würden ganze Lebensräume verarmen, sie seien die Grundlage für das Funktionieren von Ökosystemen.

Wie werde ich Fruchtfliegen los? Verschwinden die Tierchen von allein?

Der Appell Beneckes lautet deshalb, die Tiere in Ruhe zu lassen – schwer zu erwischen, seien sie allemal: „Sie haben im Laufe der Zeit schlaue Flugtechniken entwickelt, um ihren Feinden zu entkommen.“ Wie kann man sie also schonend beseitigen? „Am besten verlegt man die Anziehungsquelle nach draußen – Müll regelmäßig leeren, und wer hat, bringt faulendes Obst auf den Kompost“, rät der Insektenversteher.

Was macht die Fruchtfliege für den Insektenforscher sympathisch?

Benecke beschreibt es so: „Fruchtfliegen sind aus Alltagssicht schön, mitunter sozial und friedlich. Sie mögen dasselbe wie wir, nämlich süßes Obst. Aus biologischer Sicht stellen sie einen der Milliarden Netzknoten dar, die uns das menschliche Leben ermöglichen. Wir sollten ihnen dankbar sein und ihnen sogar extra draußen eine faule Pflaume hinstellen.“

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