RechtsfrageSind Radfahrer bei einem Unfall mitschuldig, wenn sie keinen Helm tragen?

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Nur wenige Menschen tragen beim Fahrradfahren einen Helm. Aber ist man bei einem Unfall mitschuldig, wenn man keinen Helm getragen hat?

  • In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
  • Dafür befassen sich eine Staatsanwältin, ein Rechtsanwalt und eine Jura-Professorin in ihrer Kolumne regelmäßig mit einem konkreten Fall.
  • Diesmal klärt Rechtsanwalt Martin W. Huff die Frage, wie bei Fahrradfahrern, die ohne Helm unterwegs sind, die Haftung nach einem Unfall geregelt ist?

Köln – Gerade in Corona-Zeiten sind deutlich mehr Radfahrer auf den Straßen unterwegs. Die einen wollen das Auto stehenlassen, andere die öffentlichen Verkehrsmittel mit der wohl noch lange bestehenden Maskenpflicht und dem Infektionsrisiko meiden. Wieder andere nutzen das Fahrrad für die Bewegung an der frischen Luft oder für ihre Freizeitgestaltung. Aber es nehmen damit auch die Unfälle mit Radfahrern zu. Dies betrifft nicht mehr nur Unfälle zwischen Rad und Auto, sondern auch Unfälle unter Radfahrern und mit Fußgängern. Wer für den Unfall verantwortlich ist, ist zwar nicht immer einfach aufzuklären. Es ist aber wieder erstaunlich, was Gutachter alles zu den genauen Abläufen feststellen können.

Bei Unfällen mit dem Rad kommt es oft zu erheblichen Verletzungen. Dagegen kann ein Fahrradhelm schützen. Doch eine Helmpflicht gibt es bisher nicht, und der Gesetzgeber sieht bisher auch keine Notwendigkeit, sie einzuführen. Einzige Ausnahme: E-Biker, die mit ihrem Rad Geschwindigkeiten von bis zu 45 Kilometern pro Stunde erreichen können, müssen einen Helm tragen.

Was, wenn ein Helm die Verletzungen bei einem Unfall reduziert hätte?

Was ist aber, wenn ein Radfahrer oder eine Radfahrerin bei einem Unfall ohne eigenes Verschulden erhebliche Verletzungen davonträgt, die jedoch deutlich geringer ausgefallen wären, wenn der oder die Betreffende einen Helm getragen hätte?

Die Rechtsprechung dazu ist bislang recht eindeutig: Auch wenn der Helm Verletzungen vermieden oder verringert hätte, wird dem Radfahrer ohne Helm kein Mitverschulden angerechnet. Er erhält also vollen Schadenersatz und auch ein volles Schmerzensgeld, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen.

Kein Mitverschulden durch Nichttragen eines Helmes

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat in einem Urteil aus dem Jahr 2014 (VI ZR 281/13) erstmals deutlich ausgesprochen, dass jedenfalls bis zum Jahr 2011 grundsätzlich kein Mitverschulden dadurch begründet wurde, dass ein Radfahrer bei einem Unfall keinen Helm getragen hat. Ein Anlass für die Annahme eines Mitverschuldens durch das Nichttragen eines Schutzhelms könnte nach Auffassung der Bundesrichter dann vorliegen, wenn zum Unfallzeitpunkt das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz für erforderlich erachtet würde.

Dies aber hat fast zehn Jahre später auch das Oberlandesgericht Nürnberg (Urteil vom 20.8.2020 – 13 U 1187/20) nicht feststellen können. Es sei gerichtsbekannt, dass ein derartiges allgemeines Verkehrsbewusstsein nach wie vor nicht bestehe. Die Richter berufen sich dafür auf amtliche Feststellungen: Nach den Erhebungen der Bundesanstalt für Straßenwesen trugen im Jahr 2019 über alle Altersgruppen hinweg innerorts 18 Prozent der beobachteten Radfahrer einen Schutzhelm.

Außerhalb geschlossener Ortschaften waren es 22,8 Prozent, wobei der Anteil insbesondere innerorts vor allem bei jüngeren Erwachsenen noch erheblich niedriger ist. Unter den 17- bis 21-Jährigen lag die Helmquote bei lediglich 7,8 Prozent, unter den 22- bis 30-Jährigen bei 8,2  und unter den 31- bis 40-Jährigen bei 14,9 Prozent.

Autofahrer trägt alleinige Schuld

Somit sprachen die Richter einer erheblich verletzten jungen Frau, die auf ihrem Rad rücksichtslos von einem rechts abbiegenden Pkw umgefahren worden war, neben dem Ersatz des materiellen Schadens auch ein für deutsche Verhältnisse hohes Schmerzensgeld von 20.000 Euro zu. Sie gaben dem Autofahrer die alleinige Schuld an den Verletzungen des Unfallopfers, obwohl die Radlerin ohne Helm unterwegs gewesen war.

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Zwar sei, so die Richter weiter, in den vergangenen zehn Jahren eine leichte Steigerung des Anteils helmtragender Radfahrer im Alltagsverkehr zu beobachten. Die bei weitem überwiegende Mehrheit (rund 80 Prozent) der erwachsenen Bevölkerung nutze aber nach wie vor keinen Helm beim Radeln, insbesondere nicht innerorts. Von einer allgemeinen Auffassung, die Radfahren für so gefährlich hält, dass man sich nur mit Helm verkehrsgerecht fortbewegt, könne folglich keine Rede sein.

Merke: Den Helm trägt man zum eigenen Schutz, nicht für die Versicherung. Und: Eine Helmpflicht kann nur der Gesetzgeber schaffen.

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