Diagnose HerzrhythmusstörungDer Defibrillator springt mit

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Katharina Bauer wurde ein Defibrillator implantiert. Trotzdem bringt die Stabhochspringerin weiter Spitzenleistungen. Sie will sich am Sonntag für die EM qualifizieren – und anderen Mut machen.

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Einmal verweigerte Katharina Bauer das Mitmachen. Tempoläufe bis an die Leistungsgrenze waren angesagt. Die Stabhochspringerin begeisterte ihren Trainer Leszek Klima im ersten Lauf. Und hörte nach dem zweiten auf. „Ich dachte, sie sei faul“, erinnert sich der Coach. „Ich sagte, sie müsse sich durchbeißen.“ Tat Bauer aber nicht. Sie machte Pause. Und das hat ihr vielleicht das Leben gerettet. Allerdings wusste das damals niemand.

Bauer zeigt ihre Operationsnarbe.

Bauer zeigt ihre Operationsnarbe.

Erst vor wenigen Wochen haben Athletin und Trainer erfahren, dass die Möglichkeit des plötzlichen Herztodes seit Jahren wie eine dunkle Wolke über Bauer hing. „Ein bisschen mulmig“ sei ihm da geworden, erzählt Klima. „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen“, sagt Bauer. „Mein ganzes Leben wackelte. Ich hatte dieses Problem ja seit Jahren. Dass es so schlimm hätte enden können, das war gruselig.“ Schon mit sieben Jahren waren bei ihr Herzprobleme diagnostiziert worden, sie leidet unter Extrasystolen, Herzschlägen außerhalb des normalen Rhythmus. Bauer wurde regelmäßig untersucht und mit 19 erstmals operiert.

Sie nahm die Extraschläge als Herzstolperer wahr, manchmal wurde ihr etwas schwindelig, aber sie konnte sich dann immer gut selbst beruhigen. Ihre Mutter ist Hypnosetrainerin und Bauer selbst interessiert sich für mentale Selbstheilungskräfte. So schaffte sie es, dass die Krankheit ihr Leben oder ihren Sport lange nicht sehr beeinträchtigte. Als sie 2014 zu Leszek Klima nach Leverkusen wechselte, fragte sie ihren neuen Coach lediglich, ob es auf dem Trainingsgelände von Bayer 04 einen Defibrillator gebe. Gab es. Und damit war das Thema erledigt. „Ich habe das nicht so ernst genommen“, erinnert sich Klima. „Katharina war voll austrainiert, bis auf diese eine Situation war sie im Training immer absolut dabei, sie war eine Athletin wie jede andere auch.“

Medizinische Hintergründe

Professor Thomas Deneke von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und Chefarzt der Klinik für interventionelle Elektrophysiologie an der Herz- und Gefäß-Klinik Bad Neustadt erklärt medizinische Hintergründe:

Plötzlicher Herztod: Die häufigste Todesursache in Deutschland, jährlich sterben 81 von 100000 Menschen plötzlich und unerwartet an einer kardialen Ursache, immerhin 40 Prozent noch im erwerbsfähigen Alter. Insgesamt sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 40 Prozent aller Todesfälle in Deutschland durch Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems bedingt. Sterben Profifußballer auf dem Platz oder Radsportler auf der Strecke am plötzlichen Herztod, liegt das in der Regel an einer unerkannten Herzerkrankung, etwa einer erworbenen Herzmuskelentzündung, einer genetisch bedingten Verdickung des Herzmuskels (Hypertrophie) oder einer angeborenen Form einer Herzrhythmuserkrankung. Diese Fälle werden häufig publik, sehr viel häufiger sterben jedoch Hobbysportler mittleren Lebensalters mit einer unerkannten Vorschädigung des Herzens, die sich einer hohen Belastung wie einem Marathon aussetzen.

Extrasystolen: Extraschläge des Herzens außerhalb des normalen Rhythmus, zunächst weder ungewöhnlich noch gefährlich, treten bei jedem Menschen mehr oder weniger häufig auf. „Krankheit entsteht dann, wenn die Extrasystolen den Betroffenen stören“, sagt Deneke, „etwa in Form von Schwindel bis hin zur Ohnmacht“. Viele Extraschläge, zum Beispiel mehr als 10000 bis 15000 pro Tag (normal sind etwa 100 000), können auf Dauer zu einer Schwächung des Herzens führen. Sie werden medikamentös oder mit einem Katheter-Verfahren behandelt. Allein in Bad Neustadt werden etwa 200 solcher Behandlungen pro Jahr gemacht.

Defibrillator: Kann durch gezielte Stromstöße (Elektroschock) lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen beenden und wird Patienten mit einem bekannten Risiko für den plötzlichen Herztod implantiert. In Deutschland gibt es rund 800 Zentren, die Defibrillatoren implantieren. Im Jahr 2016 etwa bekamen in Deutschland rund 27000 Menschen ein solches Gerät eingesetzt. „In den allermeisten Fällen sollten entsprechend versorgte Patienten keinen Leistungssport mehr betreiben“, sagt Deneke. Ausnahmen wie im Fall von Katharina Bauer seien je nach zugrunde liegender Diagnose und Sportart aber möglich. Bekanntestes Beispiel: der belgische Fußball-Profi Anthony van Loo (29). Von ihm gibt es auf Youtube ein beeindruckendes Video: Er bricht während eines Spiels zusammen, liegt wie tot auf dem Rasen, bis nach wenigen Sekunden sein implantierter Defibrillator reagiert, ein Zucken durch seinen Körper geht – und er sich wieder aufsetzt. (sro)

Bauer erklärt: „Ich habe mich mental immer runtergefahren, habe mir gesagt: Du bist gesund, du wirst lange leben, dein Herz ist fabelhaft. Ich fühle mich nicht krank. Ich fühle nicht, dass da lebensbedrohliche Schläge in meinem Herzen drin sind.“ Doch die Ärzte sagten ihr im April 2018 etwas anderes. Plötzlich war da ein lebensgefährlicher Extraschlag in ihrem EKG aufgetaucht. Es ist der Schlag, der Bauer Schwindel bereitet. Sie kennt ihn seit zehn Jahren. Aber bei den Tests fiel er nie auf. Bis jetzt. „Das war der Schock meines Lebens“, sagt die 27-Jährige.

OP fünf Tage nach der Hiobsbotschaft

Nun musste alles ganz schnell gehen. Nur fünf Tage nachdem sie die Hiobsbotschaft bekommen hatte, wurde sie operiert. Das ist jetzt zwölf Wochen her. Ihr wurde ein Defibrillator implantiert. Der kleine Kasten sitzt unter Bauers linkem großen Rückenmuskel. Die Operationsnarbe ist noch deutlich zu sehen. Sollte Bauers Herz künftig mehr als nur stolpern, sollte es in Kammerflimmern übergehen oder stehen bleiben – der Defibrillator würde ihr das Leben retten. Er würde ihr Herz mittels eines Stromstoßes kurz zum Stillstand bringen, damit es seinen normalen Rhythmus wiederfinden kann. (Anders als ein Herzschrittmacher, der direkt am Herzen ansetzt und vor allem bei einem zu langsamen Herzschlag nachhilft.)

Bauers große Sorge, ihr Leben könnte nach der Operation nicht mehr annähernd so sein wie es war, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Im Gegenteil. Sie nimmt schon wieder an Wettkämpfen teil, hat bereits Flüge über 4,30 Meter geschafft, nur 15 Zenitmeter fehlen ihr noch zur Norm für die Europameisterschaften im August in Berlin. Die will sie am Sonntag bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Nürnberg knacken. Aber Bauers großer Traum ist Olympia 2020 in Tokio. Soweit bekannt, wäre sie die erste Olympiateilnehmerin mit Defibrillator. Und die fünf Meter stehen im Raum. Die magische Marke im Frauen-Stabhochsprung. Bauer will sie irgendwann schaffen.

Als die 1,80 Meter lange Athletin 2014 aus Wiesbaden nach Leverkusen wechselte, war Klima von ihrem Talent begeistert. „Wichtig ist das richtige Gefühl, den Stab so zu benutzen, dass man fliegt“, sagt der Trainer. „Manche machen das mit Kraft, aber Katharina hatte dieses Gefühl.“ Schon 2015 steigerte sich Bauer auf 4,65 Meter, damit stieß sie in den Kreis der international konkurrenzfähigen Springerinnen vor. Doch dann folgten gesundheitliche Rückschläge, und die verursachten zunächst nicht ihr stolperndes Herz. Erst zog sie sich eine Fußverletzung zu, dann verhinderte eine schwere Handverletzung im Juni 2016 eine mögliche Olympiateilnahme in Rio de Janeiro.

Bauer kämpfte sich zurück. Aber als sie gerade wieder an ihre Leistungen von 2015 anknüpfte, hatten die Herzspezialisten eine erste schlechte Nachricht für sie. Ihre Zusatzschläge hatten sich so sehr verschlimmert, dass Anfang 2017 eine Operation, eine sogenannte Katheter-Ablation, nötig wurde. Mit örtlicher Betäubung. „Du merkst wortwörtlich, wie deine Extraherzschläge verbrannt werden, dass brennt jedes Mal“, erinnert sich Bauer.

Training mit Ball

Training mit Ball

Immerhin hat sich die 4,5-Stunden-Operation gelohnt. Die Extraschläge waren deutlich reduziert. „Ich hatte hinterher ein ganz anderes Lebensgefühl. Sonst war ich oft müde, hatte lange Regenerationszeiten. Aber plötzlich hatte ich jeden Tag das Gefühl, ich könnte Bäume ausreißen.“

Ihr Training musste sie allerdings umstellen. Maximale Kraft- oder Ausdauerbelastungen wurden ihr untersagt. Sie verlor sechs Kilogramm an Gewicht. Und genoss jeden Flug über die Latte. „Jedes Training, jeder Wettkampf waren wertvoll für mich“, sagt Bauer. „Denn ich wusste ja nicht, wie lange ich diesen Sport noch würde machen können.“ Im Herbst 2017 wurden wieder vermehrt Extraschläge festgestellt, das beschwingte Lebensgefühl schwand. Doch Bauer trat noch zur Hallensaison an und wurde im Februar Deutsche Meisterin. Ihre unbändige Freude über diesen nicht allzu bedeutenden Titel ist erst heute, nachdem sie ihre ganze Geschichte öffentlich gemacht hat, wirklich zu verstehen.

Damals stand ihr eine weitere Ablation bevor. Dachte sie. Doch dann bekam sie die Diagnose, die alles zu verändern drohte – und einen Defibrillator. Leistungssport? Mit Defibrillator? „Ich konnte niemandem fragen“, sagt Bauer. „Soweit ich weiß, gibt es keinen Stabhochspringer mit Defi.“ Würde sie den Stab noch korrekt halten und nutzen können? Würde der Defibrillator die Landung auf der Matte aushalten? Würde ihr Herz dem Spitzensport-Training weiter standhalten?

Ihre Technik hat sich sogar verbessert

Bauer musste selbst Antworten finden und kann nun all die Fragen mit „Ja“ beantworten. Ihre Technik hat sich sogar verbessert. Einen Fehler, den Klima ihr seit Jahren versucht abzugewöhnen, ein Abknicken im linken Arm, lässt sie plötzlich bleiben, um intuitiv den Defibrillator zu schützen. Eine weitere Katheter-Ablation ist auch erst mal nicht nötig, da Bauer es mit mentalen Kräften geschafft hat, ihre Extraschläge erneut zu reduzieren. Sie sagt: „Ganz viel Liebe zum Herzen bringen, mehr habe ich nicht gemacht. Viele Leute denken, das sei Hokuspokus. Aber ich habe es schwarz auf weiß im EKG.“

Auswahl des Sportgeräts

Auswahl des Sportgeräts

Sie hat ihre Geschichte nun publik gemacht, weil ihr die Offenheit „Ruhe in mir drin“ bringe. Und weil sie anderen Mut machen wolle, bei Hiobsbotschaften nicht aufzugeben. Bauer sagt: „Das Leben ist nicht generell schlecht, es will einem nichts Böses, das ist immer nur ein Aufrütteln, ein Zeichen, dass man sich weiterentwickeln sollte.“

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