Letzte Chance eines Profi-SportlersAthletisch, ambitioniert, aussortiert

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Dominique Martin Bank

Der US-Amerikaner Dominique Martin verpasst die Chance zum Football-Profi in den USA. Seit März trainiert er in Köln für eine zweite Chance.

  • Dominqiue Martin kommt aus Dallas (USA) und wollte Football-Profi werden
  • Er verpasst den Sprung in die höchste Liga in den Staaten – die National Football League (NFL)
  • Seit März spielt er in Köln bei den Cologne Crocodiles für eine zweite Chance

Köln – Mit kräftigen Armen reißt Dominique Martin den Spieler zu Boden. Er spannt den Bizeps an, sein Gesicht hinter dem Visier sieht zufrieden aus – gelungenes Tackling. Dann reicht er seinem Mitspieler Theo die Hand, hilft ihm auf. Alles nur Training. Aber der junge Amerikaner ist ehrgeizig. Immer. Er glaubt an seinen Traum. Auch hier, auf einer Wiese in Bocklemünd.

Martin will American-Football-Profi werden. Fast hat das schon geklappt, zu Hause, in den USA. Aber die Konkurrenz war groß, Martin nicht gut genug. Noch nicht. Jedes Jahr versuchen Zehntausende junge Athleten, Teil eines Profiteams in der amerikanischen Liga NFL zu werden. Sie ist ein Gigant unter den Profiligen. Sie lebt von Exzess und neuen Gesichtern. Die sie aber auch binnen weniger Monaten wieder vergessen kann. Martin schaffte es nicht, in das Bewusstsein dieses Sportmonsters vorzudringen. Nach dem College erhielt er keinen Profivertrag. Ernüchterung. Enttäuschung. Für die meisten kommt danach das Karriereende. Für den 23-Jährigen kommt der Ehrgeiz. Nur eine zweite Chance. Mehr will er nicht.

Eine zweite Chance auf anderer Bühne

Um sich auf einer anderen Bühne einen Namen zu machen, hat er die Staaten verlassen. Seit März trainiert er im Kölner Westen bei einem der besten deutschen Teams – den Cologne Crocodiles.

Dominique Martin Pose

Mit Helm, Schulterpolstern, Bandana: Dominique Martin

Kurze Trainingspause. Martin setzt den verschrammten Helm ab. Schweißperlen rollen über den akkurat getrimmten Schnurrbart. Mit seinen Teamkollegen sitzt er auf Betonbänken der Bezirkssportanlage. Der Glanz, der Hype, die Ekstase der riesigen amerikanischen Stadien, das alles könnte gerade nicht ferner liegen. Seine hellen Augen inspizieren die Mitspieler. Er gibt Ratschläge. „Du musst deinen Gegner anders anlaufen und dann mit Arm und Schulter greifen“, sagt er in breitem Südstaaten-Englisch.

Selbst wenn die Crocodiles auf deutschem Top-Niveau spielen, ist der Leistungsunterschied zu den Teams aus den USA gewaltig. Einige Spieler sind erst seit ein paar Jahren dabei. Martin spielt beinahe sein gesamtes Leben, von ihm können sie lernen. Für die meisten ist es ein Hobby, Vollkontaktsport als Alltagsausgleich. Für Martin ist es der Beruf.

Football ist in Deutschland noch Randsport. In den USA ist es der Volkssport – mit Stars, Geld und Berühmtheit. „Hier ist es anders“, sagt Dominique Martin, „aber am Ende bleibt es Football.“

„Football war immer da“

Martin wurde in Dallas geboren. Seine Mutter arbeitete als Krankenschwester, zog alleine fünf Kinder groß. Über seinen Vater spricht er nicht. Mit vier Jahren hat er angefangen Football zu spielen, erst mit seinem älteren Bruder Marcus in einem kleinen Hinterhof, dann im Schulsport an der Middle School. Die texanische Metropole ist die Heimat der Dallas Cowboys, einem der weltweit bekanntesten Teams.

„Football war immer da“, sagt Martin. „Ich habe die Stars gesehen, ihre Ausstrahlung, ihren Erfolg. Es war mir früh klar, dass ich das auch wollte.“

Das kostete – Zeit und Willen. Schon mit Dreizehn geht er viermal pro Woche ins Fitnessstudio, achtet auf seine Ernährung, schaut sich Spielszenen der Profis an. Er will immer mehr lernen, immer besser werden.

Cologne Crocodiles Training

Die Cologne Crocodiles im Training in der Bezirkssportanlage Bocklemünd

Nach der High School verlässt Martin seine Heimatstadt mit einem soliden Schulabschluss und großen Ambitionen. Gut eine halbe Stunde Autofahrt von Dallas entfernt liegt Stephenville. Das Städtchen mit rund 20 000 Einwohnern hat nicht viel zu bieten bis auf drückende Dauerhitze und eine vermeintliche UFO-Sichtung 2008. Aber in Stephenville gibt es ein College mit Ruf: die Tarleton State University. Martin bekommt ein Sportstipendium, eine Karrierechance für vielversprechende Athleten.

Denn in den USA gibt es keine Vereinsstruktur wie in Deutschland. Sport wird im Bildungssystem organisiert, in den Ligen spielen Schul-Teams gegeneinander. Um Profispieler zu werden, ist Martin auf ein College mit einem erfolgreichen Football-Team angewiesen. Nur so kann er sich einen Namen und Spielerscouts auf sich aufmerksam machen. Die besten Spieler der Collegejahrgänge erhalten Profiverträge bei den großen Football-Organisationen. Alle anderen können im Park spielen – oder es ganz sein lassen. „Make or brake“. Entweder man schafft es, oder der Traum zerbricht.

Neuanfang in Köln

Martins Traum hätte zerbrechen sollen. Er hat es nicht zugelassen. In Köln fängt er neu an. „Ich versuche, nicht zu oft daran zu denken, was ich anders hätte machen können. Das frustriert nur“, sagt er, „ich kann es sowieso nicht ändern.“ Es scheint ein Trend zu sein: Ambitionierte Athleten wie Martin versuchen, dem amerikanischen System zu entkommen. Neben ihm gibt es noch drei weitere Spieler aus den Staaten bei den Crocodiles, sie werden Imports genannt.

Ein „A“ ist auf Helm und Hose gemalt – damit sie im Spiel als Amerikaner erkannt werden können. Nur zwei Imports dürfen gleichzeitig auf dem Feld stehen. Sonst würden sich die deutschen Teams über die Maße mit amerikanischen Leistungsträgern verstärken. Die Imports haben erkannt, dass sie in Europa ihre Karriere fortsetzen und sogar den Sprung zurück in die USA schaffen können. Die deutsche Liga GFL gilt als die stärkste des Kontinents. Wer hier heraussticht, hat Chancen auf mehr.

Neue Familie unter Krokodilen

Ende der Trainingspause. Martin greift seinen Helm. Weiterarbeiten an der Traumerfüllung. Aber das geht nur im Team. „Das Team muss gemeinsam funktionieren“, erklärt er, „wenn jemand einen Fehler macht, bricht das ganze System zusammen“. Er spielt als Cornerback, ein Passverteidiger in der Defensive. Martin tut viel dafür, dass das Team funktioniert. Auf dem Feld ist er konzentriert und ehrgeizig, das springt auf seine Mitspieler über, sie treiben sich gegenseitig zu mehr Leistung an.

Am Spielfeldrand scherzt er mit seinen Mitspielern, veralbert mit piepsiger Stimme einen bärtigen Schrank. Spieler und Coaches sprechen Englisch im Training. Nicht nur, weil es Hunderte Fachbegriffe für Positionen und Spielzüge gibt, sondern weil es den Imports hilft. Sie gehören dazu, sie sollen nicht die zugekauften Stars sein.

Dominique Martin Tackling

Dominique Martin spielt in der Defensive, im Training üben die Crocodiles das Tackling.

Überhaupt: „Star bin ich erst, wenn ich in der amerikanischen Profiliga spiele“, sagt Martin. Seine Mitspieler nennt er Brüder, sich selbst sieht er als Teil einer Familie. In den USA hat er Texas nie verlassen. Nun wohnt er in einer kleinen Wohnung in Pulheim, die vom Verein gestellt wird. Mit den anderen Imports teilt er sich ein Auto. Er bekommt auch ein Gehalt, die Höhe will er nicht nennen. Aber es ist nicht allzu viel, weniger als er in einem gewöhnlichen Mittelstandsberuf verdienen würde. Ein Leben weit entfernt vom Glamour. Martin stört das nicht. „Dafür habe ich mich entschieden, das ist, was ich machen muss.“

Der Film – die Visitenkarte eines Spielers

Damit er den Sprung zurück in die USA schaffen kann, braucht er einen Film. So nennen die Sportler ihre sportliche Visitenkarte, ein Bewerbungsvideo mit herausragenden Spielszenen. Nach dem College wurden mehrere Profiteams auf Martins Film aufmerksam. Er wurde zu den Dallas Cowboys eingeladen, trainierte bei den Saints in New Orleans. Den Profivertrag gab es nicht. Seinen Film sah auch Crocodiles-Coach David Odenthal, er nahm Kontakt zu Martin auf.

Der Weg aus Deutschland in die USA ist möglich. Erst im März wurde Crocodiles-Spieler Abdoul Moubarak Djeri, den alle nur „Mouby“ nennen, nach Arizona eingeladen, um an einem Training teilzunehmen. Der Weg in die Liga ist schwer. Man raunt sich zu: „Einer aus Tausend“.

Letzte Trainingsphase, Übungsspiel. Ein letztes Mal für heute greift Martin seinen Helm. Beim Aufsetzen schaltet er in den Wettkampfmodus. Ein Handschlag, anfeuernde Worte. Ein Kämpfer, auch im Training. Im dritten Spielzug dann sein Einsatz. Er schmeißt sich vor seinen Gegenspieler und wehrt den heranfliegenden Ball ab. Seine Brüder grölen, eine gute Aktion, fast Filmmaterial. Martin nickt seinen Kollegen zu. Später wird er sagen, dass er sich ärgert. Er hätte den Ball fangen müssen. Das wäre besser gewesen. Ein Kämpfer. Auf einer Wiese in Bocklemünd.

Über die Cologne Crocodiles

Die Cologne Crocodiles sind eins der ältesten und erfolgreichsten American-Football-Teams in Deutschland. Der Verein wurde im März 1980 gegründet und wird größtenteils durch Sponsoren finanziert.

Zu den größten Erfolgen des Teams zählen der Gewinn der deutschen Meisterschaft 2000 und der Wiederaufstieg der Profimannschaft in die erste Liga 2016.

Der Verein besteht aus 420 Mitgliedern, davon sind 300 aktive Spieler. Die Crocodiles haben sechs Mannschaften – vom Profiteam bis zu einer U-10-Mannschaft. Sie werden von mehr als 40 Trainern betreut. Alle Mannschaften trainieren auf dem Gelände der Bezirkssportanlage Bocklemünd. Die Profimannschaft spielt im Sportpark Höhenberg, der Spielstätte des Fußballvereins Viktoria Köln.

Das nächste Heimspiel der Cologne Crocodiles findet am Sonntag, 1. Juli, im Sportpark Höhenberg gegen die Dresden Monarchs statt (Eintritt 12 Euro, ermäßigt sechs Euro). (mab)

www.cologne-crocodiles.de

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