Bonner Altstadt wird zur Sperrzone„Ich bedauere sehr, dass es so weit kommen musste”

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Ordnungskräfte kontrollieren in der Bonner Altstadt

  • Weil der Kirschblüten-Tourismus trotz Corona-Krise überhand nimmt, muss die Bonner Stadtverwaltung die Altstadt sperren.
  • Der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan hatte Vernunft-Appelle gesetzt – vergeblich. Nun hat er die Reißleine gezogen.
  • Ein Bericht aus der Sperrzone.

Bonn – Ein junges Paar schlendert Arm in Arm Richtung Absperrgitter. Nur wenige Meter noch, dort hinten ist der Himmel pink. Zwei Freundinnen mit Mundschutz posieren für den perfekten Instagram-Auftritt.

Sie kichern. Weiter dürfen sie nicht, denn wo die Gelbwesten des Ordnungsamtes Position bezogen haben, ist Schluss mit Flanieren. Aber für einen Schnappschuss mit rot-weißer Straßensperre vor Blütentapete reicht der Weitwinkel auch von hier aus. Lächeln. Knipsen. Passt.

Hoch oben über dem Blütendach surrt leise eine Drohne. Still ist es ansonsten im Altstadtviertel von Bonn, die Sonne schimmert seit den frühen Morgenstunden durch die Baumwipfel. Es ist Kirschblütenzeit in Bonn, und keiner soll hin. Denn die Bundesstadt hat ihre Touristenattraktion in der Inneren Nordstadt  dieses Jahr zur Closed Area erklärt: Geschlossener Bereich. Betreten nur für Anwohner. In Corona-Zeiten sollen Besucher draußen bleiben, Heerstraße und Breite Straße gehören in diesen Tagen einmal nur ihren Bewohnern. „Was für ein Segen“, ruft eine Anwohnerin dem Ordnungshüter zu, der ihren Ausweis kontrolliert, bevor sie weiter Richtung Wohnadresse radeln kann. „Wie gut, dass Sie da sind.“

Viel Lob aus den Reihen der Anrainer gab es an den Ostertagen für den Einsatz des Bonner Ordnungsamtes, dessen Helfer an acht verschiedenen Zugängen rings ums Blütenviertel dafür sorgen, dass ungebetene Gäste dort nicht herumlaufen. 30 Personen sind im Einsatz, viele von ihnen haben ihren Posten vom Innendienst im Bonner Stadthaus gegen ein paar Stunden Wachdienst draußen getauscht. Denn als die Knospen der Japanischen Nelkenkirsche eine nach der anderen zu einem rosaroten Blütenhimmel aufbrachen, da gab es für die Selfie-Jäger kein Halten mehr. Dem Kontaktverbot zum Trotz tummelten sich von einem Tag auf den anderen wieder Hunderte Neugierige im baumbestandenen Altstadtbereich. Zu viele Menschen, zu viel Nähe, zu groß die Ansteckungsgefahr, urteilte die Stadtverwaltung. „Die Leute wissen jetzt Bescheid, die meisten haben Verständnis“, sagt einer der Helfer und schiebt die Absperrbake an der Kreuzung Dorotheenstraße für einen Moment beiseite. Ein Anwohner winkt aus seinem Auto und fährt weiter. Wenn er später wieder heimkehrt, wird die Heerstraße immer noch menschenleer sein.  

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„Ich bedauere sehr, dass es so weit kommen musste“, kommentiert Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU). Bis zuletzt hatten die Verantwortlichen im Bonner Rathaus darauf gesetzt, dass die Appelle ankommen, dem Frühjahrs-Hotspot von Bonn einmal fernzubleiben. Doch Fehlanzeige: „Leider hat sich seit Beginn der Kirschblüte gezeigt, dass die Anziehungskraft dieses Naturschauspiels größer ist als die Bereitschaft, das Kontaktverbot zu befolgen und Abstand zu halten. Daher müssen wir im Sinne des Infektionsschutzes handeln.“ Also Straßensperren überall dort, wo die Blütenpracht besonders fotogen ist, damit der Besucheransturm ausbleibt. 

„Anfangs haben die Leute noch diskutiert, inzwischen ist die Akzeptanz hoch“, berichtet ein Bonner Verwaltungsmann, der sich freiwillig zum Corona-Einsatz an der Heerstraße gemeldet hat. Inzwischen  kommen nur noch wenige, die nicht Bescheid wissen. „Die hier wohnen, genießen die Ruhe“, berichtet er. Viele machten nun selbst Fotos von der Straße ohne den üblichen Trubel.

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Die Kirschblüten in der Bonner Altstadt sind jährlich ein Touristen-Magnet – das ist aber während des Kontaktverbots ein Problem.

„Die Sperrungen erfüllen ihren Zweck. Anlieger können sich mit ausreichend Abstand bewegen“, fasst Carsten Sperling, Leiter beim Bonner Stadtordnungsdienst zusammen.  Das ganz große internationale Publikum wäre dem Blütenspektakel inmitten der Corona-Krise diesmal ohnehin ferngeblieben. Im selben Jahr, in dem der Reiseverlag „Lonely Planet“ Bonn auf Platz fünf der schönsten Städtereiseziele platziert und die Baumblüte nach einem milden Winter früher als gewöhnlich ihren Höhepunkt erreicht, stoppt die Pandemie den sonst üblichen Kirschblüten-Tourismus. Das Gedränge in Normalzeiten ist groß, ganz vorne liegen dabei Touristen aus China, Südkorea und Japan.

Da trifft es sich gut, dass die Kirschblüte nicht nur in der analogen, sondern auch in der digitalen Welt ein Ereignis ist – wer unbedingt rosa Blütendolden sehen will, schaut online nach. Die Heerstraße wird in sozialen Netzwerken als eine der schönsten Straßen der Welt gepriesen. Die Facebookseite „Places to see before you die" widmete der Blütenpracht vor ein paar Jahren gar einen eigenen Beitrag und verhalf ihr damit zu weltweiter Bekanntheit.

Auf Instagram finden sich unter deutsch- und englischsprachigen Hashtags gleich mehrere Hundert Beiträge zur japanischen Zierkirsche von Bonn. Wenn die Blütenblätter rieseln, will die Stadtverwaltung die Lage neu bewerten. Bis dahin bleibt die Altstadt wohl Sperrzone.

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