Säcke und LockfutterGroße Sorge um die beiden letzten Schwäne von Eicherscheid

Lesezeit 7 Minuten
Am Erft-Rückhaltebecken füttert Petra Hartung zwei Schwäne.

Nur noch zwei Schwäne leben am Erft-Rückhaltebecken. Es sind die Tiere, die Petra Hartung nach der Flut aufgepäppelt hat.

Mit Säcken und Lockfutter sollen Unbekannte sich den beiden letzten Schwänen vom Rückhaltebecken in Bad Münstereifel-Eicherscheid genähert haben.

Über die Schwäne im Erft-Rückhaltebecken spricht Petra Hartung von der Tierhilfe Nordeifel wie über Familienmitglieder, die Sorgen bereiten: „Papa Schwan wird schon seit Juni vermisst“, sagt sie. Und auch „Mama Schwan“ und ihr Kind halten die Tierschützerin gerade in permanenter Alarmbereitschaft. Am Samstag seien nämlich zwei Männer mit „schwanengroßen“ Säcken zum See gekommen und hätten die Tiere mit Futter angelockt.

Zwei Männer kamen einer Spaziergängerin verdächtig vor

Seit vielen Jahren geht die 70-jährige Martina Wolf (Name geändert) täglich mit ihrem Mann und ihren Hunden entlang des Beckens spazieren. Schon oft habe sie Petra Hartung von der Tierhilfe bei den Schwänen beobachtet. Aber noch nie zuvor habe sie die zwei Männer gesehen, die mit dem Auto ganz nah ans Becken herangefahren waren. Einer der Männer habe einen großen weißen Sack in der Hand gehabt, sagt sie. Der andere „eine von diesen blauen Ikea-Tragetaschen“.

Die Schwäne seien bereits aus dem Wasser gekommen, um den Mais zu fressen, den die Männer auf dem Boden verteilt hätten. Das ganze Szenario kam der 70-Jährigen komisch vor. Sie wollte eingreifen. „Deswegen habe ich ganz laut und ein bisschen frech zu meinem Mann gesagt: Was machen die denn da?“ Daraufhin hätten die Männer aufgeschaut. „Ich glaube, wir haben sie erwischt, kurz bevor sie zugreifen wollten“, vermutet Wolf.

Petra Hartung füttert zwei Schwäne in Näpfen.

Im Winter finden die Wasservögel auf dem zugefrorenem See kaum Nahrung, deswegen kommt Petra Hartung täglich vorbei, um die Vögel mit aufgeweichten Pellets und Mais zu füttern. Von Brot würden sie sterben.

Einer der Männer sei dann sofort hochgeschreckt und weggegangen. „Einfach ins Gebüsch“, sagt sie: „Er hat sich nicht einmal mehr umgedreht.“ Der andere sei einfach ganz entspannt zurück zu seinem Auto gegangen. Er habe den Fahrersitz zurückgestellt, den Sack auf den Rücksitz befördert und sich ausgeruht. Martina Wolf ist sich sicher: „Die hätten es später wieder versucht.“ Also rief sie die Polizei und behielt in der Zwischenzeit den scheinbar schlafenden Mann im Auge.

Weil die Polizei die Männer nicht auf frischer Tat ertappte, konnte sie nichts tun

Dem Polizisten habe der Mann gesagt, er habe sich bloß in seinem Auto etwas hingelegt. Wolf fragte: „Ausruhen bei unter null Grad im Auto, mit Mais und großen Säcken bei den Schwänen?“ Doch der Polizist antwortete ihr, dass er nichts tun könne, solange er den Täter nicht auf frischer Tat ertappe. „Immerhin haben wir ihnen an diesem Tag die Tour vermasselt“, sagt Wolf. „Ich glaube nämlich nicht, dass irgendjemand so frech wäre und nach dem ganzen Bohei doch noch einmal versucht, Schwäne zu klauen.“ Dass die Männer es aber an einem anderen Tag wieder versuchen könnten, das glaubt Wolf schon.

Petra Hartung glaubt das auch. Deswegen fährt sie gerade täglich zum Erft-Rückhaltebecken, um nach Mutter und Kind zu schauen. Immer dabei hat Hartung dann eine große Tragetasche. Der Inhalt: Wasservogelfutter-Pellets, zwei Näpfe, eine Flasche mit frischem Leitungswasser und zehn Dosen Mais. Hartung läuft schwerbepackt die Damm-Treppen hinunter. Die Schwäne recken ihre Hälse.

Zwei Schwäne wandern über einen verschneiten Weg.

Wenn die Tiere sich einmal auf die Straße oder in den Eingangsbereich eines Parkplatzes verirren, dann wird Hartung gerufen, damit sie sich gemeinsam mit ihnen auf den Heimweg macht.

„An manchen Tagen erkennen sie mich sogar vom anderen Ende des Sees und fliegen auf mich zu“, sagt sie. Dabei seien Schwäne eigentlich keine besonders zutraulichen Tiere. Im Gegenteil: „Sie können Fremden gegenüber sogar sehr schnell aggressiv werden.“ Der Flügelschlag eines ausgewachsenen Schwans könne einen Erwachsenen umhauen, die Krallen seien scharf und kräftig und auch der Schnabel könne als Waffe eingesetzt werden, sagt sie. Auch sie wurde bereits vom „ungeduldigen Papa Schwan“ in den Oberarm „gezwickt“. Wochenlang habe sie an der Stelle einen großen blauen Fleck gehabt.

Seit der Flut kümmert sich die Tierhilfe Nordeifel um die Schwäne

Doch die Beziehung zwischen der Tierschützerin und den Schwänen vom Erft-Rückhaltebecken ist eine besondere: „Durch die Flut ist nicht nur bei uns Menschen alles durcheinander gekommen, sondern auch bei den Tieren“, sagt Hartung. Das Gewässer – die Lebensgrundlage der Tiere – war zugeschlammt und verseucht. Überall lag Müll und Treibgut. Deswegen fing Hartung an, sich um die Tiere zu kümmern, gab ihnen zu fressen, solange sie nichts fanden, und Medizin, wenn es nötig war.

So habe das Schwanenpaar von Eicherscheid die auch für Wasservögel schwierige Zeit nach der Flut überlebt. Sogar Nachwuchs haben sie in diesem Jahr großgezogen. Hartung nennt sie „Flutkinder“. Eines von ihnen lebt mit seiner Mutter immer noch auf dem See. Das sei eigentlich eine Seltenheit, sagt sie. Normalerweise vertrieben Schwaneneltern ihre Kinder, wenn die neue Brutzeit anstehe.

Richtig garstig könnten sie dann werden. Die Eicherscheider Schwanenfamilie halte aber nicht viel von autoritärer Erziehung. Dort begleiteten Vater und Mutter den Nachwuchs jedes Jahr in einer mehrtägigen Flugreise zu einem anderen Gewässer. „Außer unser Flutkind“, sagt Hartung. Das habe sich nämlich einfach geweigert fortzugehen. Das Erft-Rückhaltebecken ist seine Heimat geblieben. „Doch irgendwann wurde der Vater böse“, sagt sie. Er habe wohl befunden, dass es für sein Kind Zeit sei, auf eigenen Beinen zu stehen.

Schwäne machen Drohgebärden und scheuen keinen Angriff

An dem Tag war Petra Hartung selbst am See. Da habe der Vater angefangen, laut zu fauchen und nach dem Kind zu picken. Das Kind sei über den See in Richtung der Tierschützerin geflüchtet. Hinter ihr habe sich „das Flutkind“ versteckt. Als der Vater fauchend auf Hartung zukam, reagierte die: „Ich hab' mich groß gemacht, habe zurückgefaucht und meine Flügel gespreizt.“ Wenn Hartung über ihre Flügel spricht, dann meint sie ihre geöffneten und in die Höhe gezogenen Jackenhälften. Einschüchternd genug scheint das gewesen zu sein: Das „Flutkind“ durfte bleiben. „Ich kam mir damals vor wie seine Mutter.“

Hartungs Einfluss auf die Schwanenfamilie ist geblieben. Wenn das Schwanenkind heute auf die Straße läuft oder die Zufahrt zum Eicherscheider Hof blockiert, so dass die Autos nicht rauskommen, wird immer noch Petra Hartung gerufen. Gemeinsam mit dem jungen Schwan spaziert sie dann zum See zurück.

Zwei Schwäne stehen im Schnee.

Seit Juni wird das männliche Oberhaupt der Schwanenfamilie bereits vermisst. Weil diese Tiere, sobald sie zusammengefunden haben, ein Leben lang zusammenbleiben, ist das ungewöhnlich.

Die Tierschützerin öffnet inzwischen die achte Dose Mais und kippt sie in einen der Näpfe. Etwa zehn Euro gibt sie pro Tag für die Schwäne aus, etwa 300 Euro im Monat. Doch die Investition sei nötig, findet die Tierschützerin. Schließlich seien Mama Schwan und das Flutkind die letzten Schwäne im Erft-Rückhaltebecken. „Wenn die beiden sterben oder getötet werden, gibt es hier keine Schwäne mehr.“ Vor einiger Zeit habe es noch sechs Schwanenbabys gegeben. Eines davon wurde ertrunken aufgefunden. Die anderen seien während eines Unwetters im Mai von Treibgut erschlagen worden.

In diesem Jahr habe also kein Jungtier überlebt. Im vergangenen Jahr waren die Jungtiere auf einmal von einem auf den anderen Tag weg. „Das war auch schon ungewöhnlich“, sagt Hartung. Denn normalerweise, wenn die Eltern ihre Kinder zu ihrem neuen Wohnort geleiten, mache die ganze Familie zuvor einige Flugübungen. „Und jetzt ist Herr Schwan auch noch weg.“ Dabei seien sich Schwanenpaare eigentlich ein Leben lang treu. „Klar fliegt der Mann schonmal weg. Vielleicht hat er sogar eine Freundin auf einem anderen See. Aber er kehrt immer wieder zurück – eigentlich.“

Im Winter finden alle Wasservögel nur wenig Nahrung

Hartung kippt die zehnte Dose Mais in die Näpfe. Einer der Schwäne hat sich bereits satt in den Schnee gelegt. Der andere frisst noch – aber auch langsamer. Er schaut sich ab und zu um. Hartung, die die Tiere ohnehin in den kargen Wintermonaten füttert, hat einen Plan: Die Tiere so satt zu füttern, dass sie nicht hungrig zu fremden Menschen laufen, die mit Mais locken und vielleicht nichts Gutes im Schilde führen.

Warum jemand überhaupt Schwäne entführen sollte? Hartung hat eine Vermutung: „Ich glaube, um sie zu essen.“ Zwar sei das Fleisch nicht wirklich lecker, je nach Tümpel vielleicht sogar noch nicht einmal genießbar, aber die Tradition des Schwanenessens sei ihr bekannt. „Leider dürfen die Tiere in Deutschland sogar immer noch geschossen werden.“

Während die Schwäne langsam zurück in das Wasser trotten, legt die Tierschützerin das übrig gebliebene Futter am Ufer aus. Für die Enten, die zu dieser Jahreszeit genauso wenig zu fressen finden und schon seit der zweiten Dose Mais gierig auf das Ende der Schwanenfütterung warten. „Lasst euch nicht von den bösen Männern holen“, ruft Petra Hartung ihren Schwänen noch zu. Dann steigt sie die Stufen des Damms hinauf.


Aus der Polizeiakte

Die Schwäne von Eicherscheid sind auch bei der Kreispolizei hinlänglich bekannt. So rückten Beamte aus, als die Befürchtung bestand, dass zwei Männer den Tieren Böses wollten – doch die Überprüfung der Männer hat laut Polizei keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben.

Mehrere Einsätze habe es jedoch in der Vergangenheit am Rückhaltebecken gegeben, als die Schwäne die Straße als hübschen Ruheplatz für sich auserkoren hatten. Im Stil von Klimaklebern hockten sie mehrfach auf der Straße und ließen sich nur höchst ungern wegbewegen. (rha)

KStA abonnieren