Ankommen – Die SerieFamilie Kiraz verschlug es von Neu-Delhi nach Schönau

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Deutschland ist ihre Heimat, hier sehen sie ihre Zukunft: Feliz und Mehmet Kiraz mit ihrem zweitältesten Sohn, dem 16-jährigen Taha Isa, im Garten ihres Hauses in Schönau. 

Bad Münstereifel-Schönau  – Mehmet Kiraz ist überzeugt davon, dass die größten Schätze der Welt nicht unter der Erde liegen, sondern auf ihr wandeln: „Ich liebe die Menschen, unabhängig von Kategorien wie Nationalität, Religion oder sozialer Herkunft. Wenn man einen Menschen dabei unterstützt, sein wahres Potenzial zu entfalten, dann wird er für die Gemeinschaft viel Wertvolles leisten“, ist sich der 47-Jährige sicher.

Für seine Überzeugungen verließ er einst mit seiner Frau Feliz und den beiden damals noch kleinen Söhnen seine Heimat Türkei: „Unser Traum war, in einem ärmeren Land eine Schule zu gründen.“ Letztlich fiel die Wahl auf Indien, wo der studierte Geograf das Fountain Coaching Institute gründete, eine weiterführende Schule, die sich in den Jahren einen guten Ruf erarbeiten konnte.

„Ich glaube an das Gute im Menschen“

Als Schulleiter war Mehmet Kiraz ein angesehener Mann, der seine Überzeugungen mit großer Freude in die pädagogische Arbeit einfließen ließ. „Ich glaube an das Gute im Menschen, und daran, dass wir alle Brüder und Schwestern sind“, sagt er. Die zwei jüngsten Kinder wurden in Indien geboren und komplettierten die Familie, die nicht im Traum daran gedacht hat, ihre Wahlheimat eines Tages gegen ihren Willen verlassen zu müssen.

Ein einziger Artikel reichte aus, um das Leben der sechsköpfigen Familie auf Links zu drehen. Ein Artikel, in dem sich Mehmet Kiraz kritisch zu Recep Tayyip Erdoğan äußerte, dem Präsidenten der Türkei.

Bruder saß fünf Jahre in der Türkei im Gefängnis

„Und dann lief der Ausweis einer der Kinder ab und wir wollten ihn in der Botschaft verlängern lassen. Was man uns verweigerte, um uns zu zwingen, zurück in die Türkei zu reisen“, so Mehmet Kiraz, der sehr gut wusste, welche Folgen dies für ihn haben würde: „Mein Bruder hat fünf Jahre in der Türkei im Gefängnis gesessen.“ Die indische Staatsbürgerschaft hätte sämtliche Probleme lösen können, doch um diese zu beantragen, so Mehmet Kiraz, hätten sie bereits zwölf Jahre im Land sein müssen. Sie kamen auf zehn Jahre.

„Ankommen“ - die Serie

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

In der Serie „Ankommen“ stellen wir Menschen vor, die sich aus unterschiedlichen Gründen mutig auf den Weg gemacht haben – in ein neues Land und damit in eine neue Kultur und Gesellschaft. Was gefällt ihnen an Deutschland, was bleibt fremd? Und welchen besonderen Herausforderungen mussten und müssen sie sich stellen, um am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben zu können. Integration, da sind sich alle einig, ist ein langwieriger Prozess. 

Ein wechselseitiger Prozess

Das Ministerium für Integration (BMI) versteht unter gelungener Integration ein „sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlen“. Zuwanderung könne nur als ein wechselseitiger Prozess gelingen: „Sie setzt die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft voraus wie auch die Bereitschaft der Zugewanderten, die Regeln des Aufnahmelands zu respektieren und sich um die eigene Integration zu bemühen“, schreibt das Ministerium auf seiner Homepage.  

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Letztlich reiste der Familienvater im Frühjahr 2018 nach Deutschland aus, beantragte hier Asyl und holte ein halbes Jahr später Frau und Kinder nach. „Wir haben unser Leben zurückgelassen und hier wieder bei null angefangen, aber mit größtmöglicher Motivation“, so der 47-Jährige, für den Deutsch die nunmehr siebte Sprache ist, die er beherrscht.

Große Sehnsucht, sich gesellschaftlich einzubringen

Mehmet Kiraz ist ein Macher. Jemand, der es gewohnt ist, seinen Worten und Überzeugungen Taten folgen lassen zu können. Der stets seine Rolle in der Gemeinschaft gesucht und einen Blick dafür hat, wo er anpacken kann. „Ich möchte arbeiten, mich einbringen, ein wertvoller Teil der deutschen Gesellschaft sein. Aber noch ist mir das nicht gelungen“, sagt der 47-Jährige. Sein Kopf habe akzeptiert, dass er geduldig sein müsse, „mein Herz aber nicht“, und an manchen Tagen fühle er sich einfach wertlos.

Mittlerweile lebt die Familie, die ihre Anerkennung und damit ihren Aufenthaltstitel erhalten hat, in einem hübschen Häuschen in Schönau. Der Unterschied zu Neu-Delhi, wo das vorherige Zuhause der Familie war, könnte kaum größer sein. Ruhe, viel Natur, ein eigener kleiner Gemüsegarten und ein paar Katzen stehen diametral zum Alltag in der hektischen indischen Metropole.

Praktika, Ehrenämter und Weiterbildungen

„Wir fühlen uns sehr wohl an diesem Ort“, versichert auch Feliz Kiraz, die seit einiger Zeit ehrenamtlich im Kindergarten des Ortes arbeitet. Gerne würde sie die Ausbildung zur Erzieherin absolvieren, die Arbeit mache viel Spaß. Auch Mehmet Kiraz, dessen Herz für die Bildungsarbeit brennt, hat zunächst versucht, wieder als Lehrer zu arbeiten. „In der Gesamtschule Blankenheim habe ich ein viermonatiges Praktikum absolviert. Aber leider fehlt mir das zweite Studienfach, ohne das ich nicht ins Lehramt wechseln kann“, so der Familienvater.

Ehepaar nähte im Akkord Masken

Zuhause sitzen und nichts tun – das sei ganz und gar nicht seins. Deshalb ist die Liste der Ehrenämter, die Mehmet und auch Feliz Kiraz übernommen haben, lang. Zu lang, um sie aufzuschreiben, aber während der Hochzeit der Pandemie nähten die beiden im Akkord Masken für Seniorenheime. „Auch habe ich zwei Jahre im Bad Münstereifeler Marienheim ehrenamtlich ausgeholfen. Genauso unser Sohn Taha Isa, der den älteren Menschen den Umgang mit Handy und Computer erklärt hat.“

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Der 47-Jährige absolvierte eine Fortbildung im Bereich Internationales Projektmanagement, die er mit „Sehr gut“ abschloss, auch die Deutschkurse absolvierte er mit den besten Ergebnissen. Mehr als 500 Bewerbungen habe er seit seiner Anerkennung geschrieben, sagt Mehmet Kiraz – bislang ohne Erfolg. Für manches mag er überqualifiziert sein, für anderes fehlt Mehmet Kiraz schlichtweg die Praxis. Beispielsweise als Geograf, seinem eigentlichen Beruf: „Da habe ich zwar null Erfahrung, dafür bringe ich aber 100 Prozent Lernbereitschaft mit“, versichert er.

Achtmonatige Ausbildung im Bereich Cyber Security

Voll des Lobes ist der Wahl-Schönauer ob der Unterstützung seitens des Jobcenters. Das ermögliche ihm nun eine weitere Qualifizierungsmaßnahme: „Ich mache eine achtmonatige Ausbildung im Bereich Cyber Security. Danach hoffe ich, endlich Arbeit zu finden. Ich möchte diesem Land, das uns so hilft, etwas zurückzahlen. Erst wenn wir wieder arbeiten, können wir uns hier wirklich integrieren“, ist er sich sicher.

Eines Tages, so der Plan, wollen Mehmet und Feliz Kiraz die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. „Hier ist jetzt unsere Heimat“, sagt der 47-Jährige, und fügt an: „Hier möchte ich eines Tages begraben werden.“ 

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