HeimkehrPsychologin half in Schleiden und reist nun wieder in die Ukraine

Lesezeit 5 Minuten
Geht zurück in die Heimat: Die Psychologie-Professorin Oksana Kredentser, die in Zusammenarbeit mit den Maltesern ein psychotherapeutisches Hilfenetzwerk für Landsleute aufgebaut hat.

Geht zurück in die Heimat: Die Psychologie-Professorin Oksana Kredentser, die in Zusammenarbeit mit den Maltesern ein psychotherapeutisches Hilfenetzwerk für Landsleute aufgebaut hat.

Schleiden – Ruhe, viel frische Luft und wunderschöne Natur: Die Eifel habe wie eine gute Medizin gewirkt. Bei der ganzen Familie. „Ich bin sehr glücklich, dass wir hier gelandet sind und so viel Gutes erleben durften“, sagt die Psychologin Oksana Kredentser.

Nach Ausbruch des Krieges in ihrer Heimat Ukraine flüchtete sie mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern und ihrer Mutter in Richtung Westen. Ihre Flucht führte Familie Kredentser von Kiew nach Nordrhein-Westfalen, zunächst in eine Erstaufnahmeeinrichtung in Aachen. „Ich dachte, mein Leben sei vorbei“, erzählt sie in der Rückschau – doch dann wendete sich das Blatt. Zufall und Fügung hätten sie und die Malteser zusammengeführt. „Die richtigen Menschen waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ In diesem Fall der Aachener Malteser Sergej Klimov und seine Frau, die sich um geflüchtete Landsleute kümmern, und Frank C. Waldschmidt, der die Idee zur psychosozialen Unterstützung (PSU) für Geflüchtete hatte und hierfür ukrainische Psychologen suchte. Klimov brachte die beiden schließlich zusammen.

Netzwerk aufgebaut

In den zurückliegenden Monaten bauten sie (siehe „Hilfe für Ukrainer“) ein Unterstützungsnetzwerk für Schutzsuchende aus der Ukraine auf. „Ich habe in dieser Zeit sehr viel Neues gelernt“, erzählt Oksana Kredentser, die am Psychologischen Institut der Nationalen Wadym-Hetman-Wirtschaftsuniversität in Kiew forscht und lehrt. Ihr bisheriger Arbeitsschwerpunkt lag im Bereich Wirtschaftspsychologie: „Jetzt befasse ich mich intensiv mit Traumafolgen und der Stärkung von Resilienz.“

Eine Urkunde zum Abschied überreichten Dr. Sophie von Preysing, Regional- und Landesgeschäftsführerin der NRW-Malteser (l.), und Frank C. Waldschmidt, Referent PSU in NRW.

Eine Urkunde zum Abschied überreichten Dr. Sophie von Preysing, Regional- und Landesgeschäftsführerin der NRW-Malteser (l.), und Frank C. Waldschmidt, Referent PSU in NRW.

Ein halbes Jahr nach ihrer Flucht aus der ukrainischen Hauptstadt soll es für Oksana Kredentser und ihre Familie nun zurückgehen nach Kiew. Doch warum jetzt, wo ein Ende des Krieges noch nicht in Sicht ist? „Es gibt mehrere Gründe“, erklärt sie. Zum einen sei es in Kiew mittlerweile ruhig und vergleichsweise sicher. Der anstehende Schulabschluss der älteren Tochter und die Sicherung ihrer Arbeitsplätze fallen ebenfalls ins Gewicht bei der Entscheidung, jetzt zurückzukehren. „Vor allem aber ist es Heimweh und Sehnsucht, besonders nach meinen Eltern“, sagt Oksana Kredentser. Von ihrer Mutter, die bereits im Juni zurückgekehrt ist, sei sie noch nie so lange getrennt gewesen.

Flucht bedeutet Kontrollverlust

Und dann erzählt sie von ihrer Datscha nördlich von Kiew, die sie mit ihrem Mann aus Holz gebaut hat und in der sie glückliche Sommer verbrachten. „Ich sehne mich danach, dort im Garten zu arbeiten, den Geruch der frischen Erde zu atmen – das ist für mich meditativ, dort schöpfe ich Kraft.“ Heimat, das sei für sie lange eine rationale Kategorie gewesen, „mittlerweile spüre ich mit dem Herzen, was Heimat ist“. Überhaupt: Die Zeit als Geflüchtete in Deutschland habe ihr manchen Perspektivwechsel ermöglicht. Die freiwillige Entscheidung, ihr Land zu verlassen, sich in einem anderen zu integrieren, um noch einmal neu anzufangen, sei eine Sache. Eine Flucht jedoch eine ganze andere: „Es ist keine persönliche Entscheidung, es ist eher wie ein Kontrollverlust.“

Hilfe für Ukrainer

Netzwerk entstand aus Zufall

Die Idee für psychosoziale Unterstützung (PSU) für Geflüchtete aus der Ukraine hatte Frank C. Waldschmidt bereits unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges, jedoch fehlte es zunächst an ukrainischen Psychologen. Zufall und Fügung brachte ihn mit Oksana Kredentser zusammen.

Gemeinsam bauten sie die PSU für Schutzsuchende aus der Ukraine in NRW auf. Mehr als 100 Menschen haben bereits Hilfe erhalten. Ein Netzwerk aus elf ukrainischen Psychologinnen und Psychologen, die im Projekt mitarbeiten, sorgt nun dafür, dass das Projekt mindestens bis Ende des Jahres online und offline fortgeführt wird.  

Unterstützung aus Kiew

Kredentser wird von Kiew aus weitermitarbeiten. Ziel  ist es, die Arbeit in der Ukraine langfristig fortzusetzen, sobald die Menschen zurückkehren können. Die Kooperation mit dem Institut in Kiew, an dem Kredentser arbeitet,  wird ebenfalls fortgesetzt . So sollen zukünftig ukrainische Psychologen durch die Malteser in PSU-Konzepten geschult werden.

Die psychosoziale Unterstützung (PSU) für Geflüchtete aus der Ukraine, die Oksana Kredentser in den letzten Monaten koordiniert hat, führte sie immer wieder mit traumatisierten, sehr instabilen Landsmänninnen zusammen. „Anfangs wurde in den Gruppen, die wir aufgebaut haben, sehr viel geweint“, so die Psychologin. Es galt, sehr dicke Bretter zu bohren, denn die Vorbehalte gegenüber psychotherapeutischen Maßnahmen seien in der Ukraine noch gewaltig: „Vor allem bei Älteren.“

Gute Menschen und Schleidener Luft

Im Laufe der Zeit sei dies aber gelungen. Man habe Techniken zur Stabilisierung erlernt, viel miteinander geredet. „Mittlerweile wird in diesen Gruppen auch gerne und viel gelacht“, sagt Kredentser. „Schon früher wusste ich, dass Deutschland ein sehr gutes Land ist. Jetzt weiß ich, dass es einfach wunderbar ist“, sagt Oksana Kredentser mit Überzeugung.

Vor allem die freundlichen, offenen und hilfsbereiten Menschen in Deutschland und ganz besonders in der Eifel hebt sie hervor. „Schleiden war mein Kraftort und wird es auch immer sein“, resümiert die Ukrainerin, die mit ihrer Familie bald ausreisen wird.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ob es etwas gebe, was sie ganz sicherlich vermissen wird? „Die Schleidener Luft und das gute Wasser, das hier direkt aus dem Hahn kommt“, sagt sie. „Und die entschleunigte, gelassene Art, die man hier lebt. In der Ukraine muss immer alles ganz schnell gehen, auf den Leuten lastet ein hoher Leistungsdruck.“ Bei ihrer Arbeit soll die Selbstfürsorge deshalb in Zukunft eine große Rolle spielen. „Gerade in einem Land, in dem die Menschen auch seelisch sicherlich noch viele Jahre mit den Folgen dieses Krieges zu kämpfen haben werden.“

KStA abonnieren