Lange WartezeitenFrust wegen des Elterngeldes im Kreis Euskirchen ist groß

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Kinder sind eine Herzensangelegenheit: Oft sind Eltern aufs Elterngeld angewiesen – vor allem, wenn die Lebenshaltungskosten steigen.

Kinder sind eine Herzensangelegenheit: Oft sind Eltern aufs Elterngeld angewiesen – vor allem, wenn die Lebenshaltungskosten steigen.

Kreis Euskirchen – Marie ist ein Wunschkind. Ihre Eltern sind glücklich. Ihre Eltern sind angestellt – und möchten Elterngeld beantragen. Ein Vorgang, der Zeit und Nerven kostet. Der Grund: Die Antragstellung ist komplex. So komplex, dass Maries Eltern zusätzliche Formulare ausfüllen müssen, weil auf dem Hausdach eine Fotovoltaik-Anlage installiert ist.

Schon sind die Eltern nicht mehr nur angestellt, sondern auch selbstständig. Und mitunter ist ein entsprechender Steuerbescheid mit einzureichen. 2219 Anträge auf Elterngeld sind im vergangenen Jahr nach Angaben des Kreises eingegangen. 770 davon mussten neu berechnet werden. Beispielsweise, weil sich die Lebenssituation geändert hat oder ein Elternteil doch wieder arbeiten gehen muss, weil sonst das Geld vorne und hinten nicht ausreicht.

Mehr als 1000 Anträge pro Sachbearbeiter

Für die 2219 Anträge standen im vergangenen Jahr zwei Sachbearbeiter zur Verfügung. Bei etwa 250 Arbeitstagen im vergangenen Jahr in NRW sind das gut fünf Anträge pro Tag – für jeden der beiden Sachbearbeiter. Nicht berücksichtigt sind da etwa telefonische Beratungen.

Klar, dass es zu Wartezeiten kommt, der Ärger bei den Familien wächst. Zumal mitunter das Elterngeld dringend benötigt wird. Erst recht, wenn die Lebenshaltungskosten steigen und steigen. Nach Angaben des Kreises datiert der älteste, noch nicht freigegebene Antrag aus dem Mai dieses Jahres. „Ich kann den Unmut der Familien verstehen. Sie planen mit dem Geld, und nicht selten ist es eine existenzsichernde Leistung, die den Wegfall eines Gehaltes kompensiert in der Zeit, in der die Familien zuhause sind“, sagt Landrat Markus Ramers.

Diese Unterlagen sind notwendig

Viele Möglichkeiten

Basiselterngeld, Elterngeld-Plus oder Partnerschaftsbonus – die Möglichkeiten, Elterngeld zu bekommen, sind variabel. Und mit ihnen die Unterlagen, die beim Kreis Euskirchen eingereicht werden, um die finanzielle Unterstützung zu erhalten. So unterscheiden sich allein die Formblätter in Normal, Selbstständig und Alleinerziehend.

Einkommensnachweis

Ein weiteres Formular, das zwingend notwendig für einen Elterngeldantrag ist – neben den Formblättern für den eigentlichen Antrag – , ist der Einkommensnachweis der vergangenen zwölf Monate (jeweils alle Seiten).

– bei Müttern: die 12 Monate vor Beginn des Mutterschutzes

– bei Vätern: die 12 Monate vor der Geburt

– bei Selbstständigen/Mischeinkünften: letztes Kalenderjahr vor der Geburt. Zudem ist die Geburtsurkunde des Kindes im Original nötig. Die Urkunde trägt den Zusatz „Zur Beantragung von Elterngeld“.

Weitere Formulare

Weitere Formulare, die eingereicht werden müssen:

–Bescheinigung über Mutterschaftsgeldbezug der Krankenkasse

–Nachweis über den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld des Arbeitgebers

–Steuerbescheid des letzten abgeschlossenen Veranlagungszeitraumes

–ggf. Aufenthaltstitel

Maximal 1800 Euro Elterngeld

Je nach Lebenssituation können weitere Unterlagen notwendig sein. Die Anträge müssen vollständig ausgefüllt werden und jeweils von beiden Elternteilen unterschrieben werden. Sinnvoll ist es, die Unterlagen bereits vor der Geburt vorzubereiten und zeitnah nach dem Erhalt der Geburtsurkunde einzureichen.

Mindestens 300, maximal 1800 Euro monatlich gibt es beim Basiselterngeld. Beim Elterngeld-Plus sind es zwischen 150 und 900 Euro monatlich. Dabei geht man nebenher noch arbeiten. Den Mindestbetrag gibt es auch, wenn man bisher kein Einkommen hatte. (tom)

Die lange Bearbeitungsdauer, die Schwierigkeiten, die ein Antrag für Elterngeld mit sich bringe, seien nicht neu. „Wir haben dafür gekämpft, dass wir eine weitere Stelle bekommen. Die haben wir glücklicherweise von der Politik erhalten“, sagt der Verwaltungschef. Doch es sei nicht sofort alles eitel Sonnenschein – auch wenn durch interne Umstrukturierungen ab dem 1. Oktober sogar ein vierter Sachbearbeiter zur Verfügung stehe.

Mehr als drei Monate Einarbeitungszeit

Die Einarbeitungszeit dauere mindestens drei Monate, sagt Teamleiter Daniel Dierschke. Und dann habe man erst einen groben Überblick über alle Eventualitäten des Elterngeldes.

Ab dem Moment, wo der Sachbearbeiter den Antrag in die Hand nehme, gehe er zügig seinen Weg, versichert Dierschke – vorausgesetzt alle Unterlagen sind vorhanden. Ein Grund für eine verzögerte Bearbeitung des Antrags seien fehlende Gehaltsabrechnungen.

Neuer Inhalt

Teilweise stapeln sich die Anträge beim Kreis Euskirchen in große Höhen.

„Wir benötigen nicht nur die erste Seite, sondern alle, um Abzüge einsehen zu können“, so der Teamleiter: „Da wir in einer Grenzregion leben, gehen auch einige Menschen aus dem Kreis in Belgien arbeiten. Und dort sehen Gehaltsabrechnungen wieder anders aus.“

Frust auch bei Kreis-Mitarbeitern groß

Es gebe gute Gründe, warum die Bearbeitung schon mal etwas länger dauere. Dennoch könne auch er den Frust mancher Antragssteller nachvollziehen, sagt Dierschke: „Die Lebenssituation, in der ein Elterngeldantrag gestellt wird, ist oft auf Kante genäht. Nicht selten wird parallel ein Haus finanziert. Wenn es dann am Elterngeld hapert, ist das schon bitter.“ Und fügt hinzu: „Die Telefonate, die ich oft führe, gehen mir an die Nieren.“

Telefonberatung dauert durchschnittlich 30 Minuten

Apropos Telefonate: Das Land rechnet mit zehn Minuten für ein Beratungsgespräch. „Das reicht nicht. Nicht selten brauchen wir 30 Minuten, allein schon, um die ganzen Varianten mit den Eltern durchzusprechen“, sagt Birgit Wonneberger-Wrede, Geschäftsbereichsleiterin Gesundheit und Soziales.

Dierschke bestätigt, dass das Telefon praktisch ununterbrochen klingele. Da das Thema aber sehr komplex sei, könne man nicht – ähnlich wie bei Corona – eine Elterngeld-Hotline einrichten. Man könne inzwischen auch keine tägliche Beratung durch die Sachbearbeiter mehr gewährleisten, da diese dann nicht mehr zum Bearbeiten der auf dem Schreibtisch sich türmenden Akten kämen. Deshalb habe man versucht, die telefonische Erreichbarkeit zu reduzieren, um konzentriert ohne Störungen von außen Anträge abarbeiten zu können. Das sei aber ein schmaler Grat, so Landrat Ramers: „Dann bekommen wir schnell zu hören, dass wir telefonisch gar nicht zu erreichen seien.“

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Und wie hoch sind die Aktenberge? „Es ist tatsächlich so, dass ich manchmal meine Mitarbeiter nicht hinter dem Stapel an Anträgen sehe. Das ist frustrierend – auch für die Mitarbeiter“, gesteht Teamleiter Dierschke. Es sei ärgerlich, dass die erfolgten gesetzlichen Änderungen rund um das Elterngeld sich nicht in der Refinanzierung des Personals durch das Land wiederfinden, sagt Uwe Klein, Abteilungsleiter für Soziales.

770 Neuberechnungen

Eine Beratung dauere eben nicht zehn Minuten und die Neuberechnungen in Einzelfällen seien auch nirgends eingepreist. Und die Einzelfälle gab es im Kreis immerhin 770 Mal. Die Zahlen spiegeln ein allgemeines Gefühl wider. „Aufgrund des wirtschaftlichen Drucks werden Elterngeldanträge während der Laufzeit angepasst – beispielsweise wenn das Einkommen nicht reicht“, so Dierschke. Dann müsse der Antrag wieder angepackt werden, da das Elterngeld vom Einkommen abhängig ist.

Ein Auge zudrücken? Praktisch unmöglich!

Ein Auge zudrücken, wenn mal Unterlagen fehlen, sei zumeist wegen der Vorgaben des Bundes nicht möglich. Schließlich drücke der Bundesrechnungshof auch kein Auge zu. Und wenn plötzlich eine Rückzahlung des Elterngelds fällig werde, könne das auch oft eine kleine private Katastrophe bedeuten, sagt Dierschke. Der Grund: Das Geld sei oft anders eingeplant als für eine Rückzahlung an den Kreis.

Doch es soll besser werden. „Es ist unser Anspruch, bei der Bearbeitung der Anträge deutlich schneller zu werden, als es der Fall gewesen ist“, so Ramers.

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