Handwerk in GefahrIm Kreis Euskirchen könnte Friseurbesuch zum Luxus werden

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Obermeisterin Bernadette Hein (l.) erklärt Michelle Diefenbach, die im August ihre Lehre in dem renommierten Nettersheimer Salon begonnen hat, die richtigen Handgriffe.

Obermeisterin Bernadette Hein (l.) erklärt Michelle Diefenbach, die im August ihre Lehre in dem renommierten Nettersheimer Salon begonnen hat, die richtigen Handgriffe.

Kreis Euskirchen – Es gab Zeiten, da wollte jedes dritte Mädchen einer Zehner-Abschlussklasse Friseurin werden. Waschen, schneiden, legen – für viele junge Frauen stand dies für einen Traumberuf, der in den Ranglisten der beliebtesten Berufe verlässlich auftauchte.

Und dann kam irgendwann der Knick. Seit etwa zehn Jahren gibt es zusehends weniger Auszubildende in diesem Beruf – „im gesamten Kammerbezirk Aachen sind 278 Lehrverträge abgeschlossen wurden“, so Uwe Günther, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Rureifel.

Als er jedoch hörte, dass im Kreis Euskirchen nur drei Auszubildende in der neuen Berufsschulklasse sitzen, fragte er sich: „Was ist denn da los?“ Eine plausible Erklärung hat Günther nicht, Corona und die Flut dürften ihren Teil dazu beigetragen haben, „aber die Bereitschaft der Betriebe, Nachwuchs auszubilden, ist ja da“.

Dieses Jahr noch keine einzige Bewerbung

Liegt es womöglich daran, dass junge Menschen lieber einen „Neun bis fünf“-Beruf ergreifen, bei dem samstags nicht gearbeitet wird? Oder daran, dass der Beruf des Friseurs assoziiert wird mit geringem Einkommen? „Beim Lohn wurde in den zurückliegenden Jahren kräftig gegengesteuert“, versichert Günther. Laut Hans-Böckler-Stiftung liegt das Azubi-Gehalt in NRW im ersten Jahr mit 575 Euro jedoch nur knapp über der gesetzlichen Mindestausbildungsvergütung von 550 Euro im Monat.

Sorgen sich: Uwe Günther, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Rureifel, und Friseur-Innungsobermeisterin Bernadette Hein.

Sorgen sich: Uwe Günther, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Rureifel, und Friseur-Innungsobermeisterin Bernadette Hein.

Damit gehört das Gehalt zu den schlechtesten Ausbildungsvergütungen. Was dabei jedoch nicht berücksichtigt wird – so Insider –, seien die Trinkgelder, die on top kommen, und die könnten durchaus üppig ausfallen.

Keine einzige Bewerbung bei der Friseurinnung Euskirchen

Bernadette Hein, seit 31 Jahren Obermeisterin der Friseurinnung Euskirchen, liegt die Ausbildung sehr am Herzen. Umso erschrockener ist sie: „Ich habe in meinem Salon in diesem Jahr nicht eine einzige Bewerbung erhalten, in anderen Jahren flatterten diese zuhauf herein“, so die Nettersheimerin. Ü

ber ihre Social-Media-Präsenz sei sie mit viel Glück an Michelle Diefenbach gelangt, die im August ihre Ausbildung im Studio Bernadette begonnen hat. „Ich wollte schon als Kind Friseurin werden“, sagt die 17-Jährige. Ihre Eltern und die Realschule hätten diesen Berufswunsch stets gefördert.

Zahl der Beschäftigten im Sinkflug

In den letzten zehn Jahren wurden im Kreis Euskirchen durchschnittlich 25 bis 28 neue Ausbildungsverträge im Friseurhandwerk abgeschlossen. 2020 kam es bundesweit zum Einbruch: Die Zahl der Lehrverträge halbierte sich von 40 000 auf 18 000, „so auch im Kreis Euskirchen“, sagt Uwe Günther, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Rureifel.

Im Kreis Euskirchen sind 216 Friseurbetriebe in die Handwerksrolle eingetragen, 43 sind Innungsmitglieder. Beschäftigt sind rund 637 Personen. Diese Zahl wird laut Statistischem Bundesamt allein durch den demografischen Faktor bis 2035 um 7 bis 11 Prozent sinken.

Wer an einer Ausbildung zum Friseur interessiert ist, kann auch jetzt noch einsteigen. Mitbringen sollte man laut Obermeisterin Hein Spaß an Mode und Styling, Einfühlungsvermögen, Freundlichkeit und Kommunikationsfähigkeit. „Wenn die Bereitschaft, etwas zu lernen, groß ist, muss auch das Abschlusszeugnis nicht perfekt sein“, sagt Hein, an die sich Interessierte gerne persönlich wenden können. (hn)

hein@studio-bernadette.de

„Ich mag den Beruf, er ist sehr kreativ, und ich kann mir gut vorstellen, später die Meisterprüfung zu machen“, sagt Michelle und ist begeistert, wie viel sie bereits jetzt in ihrem Ausbildungsbetrieb machen darf: „Haare, Augenbrauen und Wimpern färben, die Terminvergabe, Salonhygiene und Warenannahme – den ganzen Tag nur Haare aufkehren und rumstehen tue ich hier jedenfalls nicht. Aber viele stellen sich das so vor.“ Zweimal in der Woche sitzt sie in der Berufsschule – mit den zwei anderen Lehrlingen aus dem Kreis Euskirchen.

„Ich bin aus der Realschule 28 Schülerinnen und Schüler in der Klasse gewohnt, von daher ist das schon komplett anders“, lacht Michelle. Toll sei, wie schnell und intensiv in der kleinen Gruppe die schulischen Inhalte vermittelt und vertieft werden können. „Trotzdem hoffen wir alle, dass noch ein paar Azubis dazustoßen.“

„Das Handwerk ist generell für Schulabgänger zur zweiten Wahl geworden“

Das hoffen auch Bernadette Hein und Uwe Günther, denn wer eins und eins zusammenrechnen kann, ahnt, wohin der Mangel an Nachwuchs im Friseurhandwerk führen wird: Haarschnitte werden wesentlich teurer werden, auf Termine wird man lange warten müssen. „Schon jetzt kann es in manch einem Salon vier Wochen dauern, bis man unterkommt“, weiß Bernadette Hein.

„Der Trend zu Langhaarfrisur wird kommen“, witzelt Günther, der sogleich wieder ernst wird, denn der Fachkräftemangel im Handwerk ist kein erfreuliches Thema. „Das Handwerk ist generell für Schulabgänger zur zweiten Wahl geworden“, so Günther. Bei den Friseuren könnte man derzeit denken, es sei nicht einmal das.

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Berufswahlentscheidungen treffen junge Menschen heutzutage oft erst auf den letzten Drücker, wissen Bernadette Hein und Uwe Günther. „Nicht selten ziehen noch im Oktober oder November neue Lehrlinge nach“, so der Chef der Kreishandwerkerschaft. Die Flexibilität aufseiten der Arbeitgeber und der Berufsschulen sei enorm, „es ist mittlerweile fast egal, wann ein Auszubildender einsteigt“. Die Hoffnung, dass die Berufsschulklasse noch voll wird, hat wohl kaum einer.

Immerhin: Im Laufe der letzten Woche meldete sich noch ein Nachzügler. Der erlesene Zirkel der Friseur-Azubis 2021 wuchs damit auf vier an. Wenn alle dabei bleiben und niemand abspringt, wird es in drei Jahren vier neue Fachkräfte geben – viel zu wenig, um langfristig dafür sorgen zu können, dass das, was man im letzten Jahr noch schmähvoll „Corona-Frisur“ nannte, nicht zum neuen Standard der Kreisbürger wird.

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