InklusionAuch Menschen mit geistiger Einschränkung können im Kreis Euskirchen wählen

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Wahl. (Symbolbild)

Wahl. (Symbolbild)

  • Nun dürfen auch Menschen mit Demenz zur Urne schreiten.
  • Dafür können sie eine Assistenz in Anspruch nehmen.
  • Aber viele Fragen bleiben dennoch offen.

Kreis Euskirchen – Inklusion beim urdemokratischsten Akt war lange nicht selbstverständlich: Während Wahllokale für Gehbehinderte schon viele Jahre bequem zugänglich sind und blinden Menschen mit Wahlschein-Schablonen die selbstständige Stimmabgabe ermöglicht wird, gab es Zehntausende Menschen in Deutschland mit einer geistigen Einschränkung, denen die Teilnahme pauschal verwehrt blieb.

Doch damit ist seit dem 1. Juli 2019 in ganz Deutschland Schluss. Nun dürfen beispielsweise Menschen mit Demenz, für die eine rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten besteht, zur Urne schreiten und dafür auch Assistenz in Anspruch nehmen. „Bei Angehörigen bestehen diesbezüglich aber durchaus Unsicherheiten“, weiß Monika Kronenberg, Leiterin der Diakonie-Beratungsstelle Demenz und der Angehörigengruppe der Alzheimer Gesellschaft Kreis Euskirchen: „Bezogen auf die Assistenz beim Wahlvorgang, aber auch bei der Frage, ob der demenzkranke Angehörige noch die gleichen politischen Ansichten vertreten würde wie vor der Erkrankung, könnte er die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre erfassen.“

Der Wahlberechtigte muss selber entscheiden

Eine Übertragung der Stimme sei nicht legal, der Wahlberechtigte muss selber entscheiden, welchen Kandidaten und welche Partei er wählen möchte. In der Praxis bedeutet Unterstützung für Menschen mit geistiger Einschränkung, sie entweder in die Wahlkabine zu begleiten und dort zu assistieren, oder gemeinsam mit ihnen die Briefwahlunterlagen auszufüllen.

„Angehörige, die Menschen mit Demenz bei der Wahl behilflich sind, sind darüber hinaus verpflichtet, über die inhaltliche Wahlentscheidung Stillschweigen zu bewahren“, heißt es in einem Informationsblatt der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft zum Thema „Wahlrecht und Demenz“. Die Entscheidung, wo das Kreuz gesetzt wird, bleibt also unbedingt beim Wahlberechtigten. Alles andere wäre Wahlmanipulation oder gar -fälschung und wird vom Gesetzgeber mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet.

Von Ausflügen ins Wahllokal nimmt die Leitung des Seniorenheims Abstand

In den Seniorenheimen im Kreis Euskirchen dürfte angesichts der Corona-Pandemie bei der anstehenden Kommunalwahl hauptsächlich das Stimmrecht per Briefwahl ausgeübt werden. „Bei uns haben sich nach Eingang der Wahlbenachrichtigungen in erster Linie die Angehörigen um den Antrag gekümmert“, so Heimleiter Jan Jablonski vom Euskirchener Carpe Diem. Von Ausflügen ins Wahllokal, die man seitens des Heimes organisieren könnte, nehme man wegen Corona Abstand.

So auch im Seniorenheim Casa in Silva in Mechernich-Kalenberg: „Sonst haben wir uns mit unseren fitteren Bewohnern auch gerne auf den Weg gemacht, dieses Jahr nutzen alle die Briefwahl“, sagt Christiane Jackels vom Sozialen Dienst der Einrichtung. Von den 50 Bewohnerinnen und Bewohnern hätten rund 30 den Wunsch geäußert, bei der Kommunalwahl ihre Stimme abzugeben. „Manche sind kognitiv nicht mehr dazu in der Lage.“

Viele Bewohner interesseren sich nach wie vor für das gesellschaftliche Leben

Dass das Bundeswahlgesetz 2019 zugunsten von Menschen mit geistiger Einschränkung geändert wurde, befürwortet Jackels absolut: „Mit oder ohne Demenz, das Wahlrecht ist wichtig.“ Viele Bewohner würden sich nach wie vor für das politische und gesellschaftliche Leben interessieren, „viele lesen die Tageszeitung und verfolgen, was in ihrem Umfeld geschieht“. Bei der wöchentlichen Zeitungsrunde im Haus Casa in Silva werden zudem Bewohnerinnen und Bewohner informiert, die selber nicht mehr lesen können.

Überhaupt ist es eine Frage der Vermittlung: Manch politische Partei ist dazu übergegangen, ihr Wahlprogramm auch in einfacher Sprache zugänglich zu machen. Auf kommunaler Ebene hat sich diese Art von Barrierefreiheit jedoch noch nicht durchgesetzt.

Wahlunterlagen sind in einfacher Sprache

Getreu dem Motto „Teilhabe statt Ausgrenzung“ müht sich die Lebenshilfe Kreisvereinigung Euskirchen, ihre Klientinnen und Klienten fit zu machen für die politische Teilhabe. „Das ist uns ein ganz großes Anliegen“, betont Geschäftsführer Bernd Milz. Auf der Homepage etwa fänden Interessierte den Film „Ich hab die Wahl, Du hast die Wahl!“, in dem „alles zur Wahl in einfacher Sprache erklärt wird“, so Milz.

Im Rahmen seiner jeweiligen Möglichkeiten bereite man bei der Lebenshilfe jeden Menschen auf die Teilnahme an der Kommunalwahl vor, sei es mit Infomaterialien oder - im ambulant betreuten Wohnen - auch in persönlichen Gesprächen. „Wir versuchen deutlich zu machen, dass die Stimmabgabe auch für Menschen mit Behinderung von großer Bedeutung ist, da man so seinen eigenen Sozialraum mitgestalten kann“, erklärt der Geschäftsführer.

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Was wegen der Corona-Pandemie in jüngster Zeit wegfallen musste, waren die politischen Seminare für Menschen mit geistiger Behinderung, die die Lebenshilfe Euskirchen immer wieder anbietet. Bei früheren Kommunalwahlen habe man auch gerne Bürgermeisterkandidaten eingeladen, um Gelegenheit für persönliche Fragen zu geben. Milz: „Politische Bildung gehört zum Selbstverständnis der Lebenshilfe und seiner Einrichtungen.“

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