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Lerncoach statt LehrerSo anders ist der Unterricht an den Berufskollegs im Kreis Euskirchen

7 min
Das Bild zeigt bunte, bequeme und moderne Möbel, mit denen die Lernlandschaft in der Berufsschule ausgestattet ist.

Erinnert eher an ein modernes Kinderzimmer als an einen Klassenraum in einem Berufskolleg: die Lernlandschaft im TEB in Euskirchen.

Durch die offenen Lernlandschaften in den Berufsschulen in Euskirchen und Kall ändert sich der Unterricht. Statt Stühlen gibt es Ohrensessel.

Ohrensessel und Sitzsack samt Kaffeemaschine statt Holzstuhl und Tisch. Lernlandschaft statt Klassenraum. Lerncoach statt Lehrer. So sieht der Unterricht im Jahr 2025 in der neuen, 1400 Quadratmeter großen Lernlandschaft des Thomas-Eßer-Berufskollegs in Euskirchen aus. Dort werden nun gut 200 Schülerinnen und Schüler unterrichtet – oder vielmehr beim selbstbestimmten Lernen begleitet.

In der Praxis sieht das so aus: Die Lerninhalte, Aufgaben und Termine hängen an einer Pinnwand. Wie und wann sich die Schüler den Themen aus den unterschiedlichen Bereichen wie Mathematik, Deutsch oder BWL annehmen, ist ihnen überlassen. Wichtig ist nur, dass die Aufgaben erledigt werden. Ob sie Mathe am Montag oder am Freitag machen, bleibt den Schülern überlassen. Ob sie die Aufgaben alleine oder im Team erledigen, ebenfalls.

Die Raumgestaltung nimmt fast eine pädagogische Rolle ein

Das Konzept offener Lernflächen sei mehr als ein architektonischer Trend, sagt Carolin Holzhüter, Leiterin des Thomas-Eßer-Berufskollegs (TEB). „Der Raum ist der dritte Pädagoge“, betont die Schulleiterin. Großzügige Flächen sollen Gruppenarbeit, Rückzugsmöglichkeiten und Workshops ermöglichen. Lehrerinnen und Lehrer sind nicht mehr nur Wissensvermittler, sondern Lerncoaches. Sie begleiten, beraten und greifen ein, wenn es nötig ist.

„Die Kollegen erfinden sich gerade auch ein wenig neu. Das ist spannend zu sehen“, sagt Holzhüter, die viele neue Begriffe in den Schulalltag des TEB implementiert hat. So sind Lehrer nun Lerncoaches und aus Frontalunterricht sind Workshops geworden, in denen der Lehrer – ach nein, der Lerncoach – im Gespräch mit den Schülern das Wissen vermittelt.

Der Unterricht in den Schulküchen in Kall hat sich verändert

Von einer offenen Lernlandschaft wie im Thomas-Eßer-Berufskolleg ist das Berufskolleg Eifel (BKE) in Kall noch ein wenig entfernt, aber auch dort hat moderner Unterricht längst Einzug gehalten. Die neuen Lernküchen sind fertig, und die Schüler sowie Lehrer sind gut vier Jahre nach der Flut wieder komplett am Standort Kall zurück. „Das tut der Schule, das tut allen sehr gut“, sagt Schulleiter Holger Mohr.

In den neuen Schulküchen werde nun auch nicht mehr so unterrichtet, wie es noch vor der Flut der Fall gewesen sei. Der Unterricht sei offener geworden, habe sich positiv verändert. Und verändern werde sich in den kommenden Jahren noch sehr viel mehr am BKE. Auch dort wird es offene Lernlandschaften geben, die aufgrund der Raumstruktur in Kall etwas anders gestaltet werden müssen als in Euskirchen. Aber auch dort werden sich Unterricht und das Umfeld für Unterricht weiter verändern. „Wir erhalten Initiativbewerbungen von Lehrern und Referendaren. Das hat etwas damit zu tun, dass sie Bock auf ein zukunftsweisendes Berufskolleg haben. Sie wollen mitgestalten“, so Mohr.

Das Bild zeigt die neuen, weißen Lernküchen im BKE.

Im Berufskolleg Eifel sind moderne Lernküchen installiert worden, um nach vier Jahren in Kall wieder unterrichten zu können.

Das Bild zeigt die beiden obengenannten Schulleiter, wie sie in einem grau-grünen Ohrensessel sitzen.

Schulleiter im Ohrensessel: Carolin Holzhüter vom TEB in Euskirchen und Holger Mohr vom BKE in Kall.

Doch nicht nur bei der personellen Struktur wird sich am BKE etwas tun. Dass die immer noch gesperrte Aula wieder so aufgebaut wird wie vor der Flut, ist praktisch ausgeschlossen. „Eine Aula braucht man zwei-, dreimal im Jahr. Die restliche Zeit ist das ungenutzter Raum“, so Mohr. Entsprechend habe sich die zuständige Wiederaufbau-Ingenieurin des Kreises für das BKE, Brunhilde Hahne, zum Ziel gesetzt, auch diesen Bereich zu einem multifunktionalen Raum umzugestalten, der auch als Lernlandschaft genutzt werden kann.

Gleichzeitig soll der neue Bereich laut Mohr auch für Prüfungen, Konzerte und Veranstaltungen genutzt werden können – mit einer stärkeren Öffnung zur Gemeinde. Die Ziele sind mehr Transparenz und eine aktive Einbindung der Öffentlichkeit in das Schulleben.

In Kall wird oft aus der Not eine Tugend gemacht

Da bis zur Fertigstellung der neuen, multifunktionalen Aula noch einige Monate – wenn nicht gar Jahre – vergehen dürften, muss in Kall teilweise aus der Not eine Tugend gemacht werden. Deshalb nennt Mohr den Rückgriff auf kreative Lösungen, pragmatisches Handeln und das Beste aus den vorhandenen Gegebenheiten zu machen, auch augenzwinkernd „Eifeler Improvisationskunst“.

Mit Priorität, so Hahne, werden im BKE die Sporthalle und die sogenannte Kochscheune vorangetrieben. Die im ehemaligen Berufsorientierungsbereich auf rund 1000 Quadratmetern entstandene Lernlandschaft mit acht voll ausgestatteten Schulküchen ist auch nur als Provisorium angedacht. Im 75 Millionen Euro schweren Wiederaufbauplan für das BKE ist als künftige Dauerlösung eine Kochscheune vorgesehen. Die soll auf dem Parkplatz in Richtung Aachener Straße entstehen – ein neues Gebäude mitsamt Lehrküchen.

Das Auslagern der Küchenbereiche in einen separaten Neubau wird die Präsenz des BKE im öffentlichen Raum stärken und eine zentrale Anlaufstelle sowie einen Informationspunkt an der Aachener Straße schaffen.
Achim Blindert, Allgemeiner Vertreter des Landrats

„Das Auslagern der Küchenbereiche in einen separaten Neubau wird die Präsenz des BKE im öffentlichen Raum stärken und eine zentrale Anlaufstelle sowie einen Informationspunkt an der Aachener Straße schaffen“, sagt Achim Blindert, Allgemeiner Vertreter des Landrats. Zudem soll die Lehrküche ins Quartier einbezogen und für externe Nutzungen geöffnet werden, um die Verbindung zur Nachbarschaft zu fördern.

Geht es um Begrifflichkeiten, sind die Planungsbüros auch in Kall am BKE schon längst im „Lernen 2030“ angekommen. Denn nicht nur die Lehrküchen werden zur Kochscheune und Klassenräume zu Lernwohnungen. Flure soll es im BKE der Zukunft nicht mehr geben, stattdessen wird von Marktplätzen und offenen Strukturen gesprochen – für lernstilgerechten Unterricht.

In der neuen Lernlandschaft fehlen noch Teppiche und Vorhänge

Zurück ans TEB, wo dieser lernstilgerechte Unterricht bereits umgesetzt wird – wenn auch deutlich später als angenommen. Ursprünglich sollte die offene Lernlandschaft schon zum Schuljahr 2024/25 fertig sein. Nun, ein Jahr später, ist das Konzept umgesetzt und im Schulalltag angekommen – auch wenn immer noch nicht alles so ist, wie es Lehrer, Schüler und der Kreis gerne hätten. So fehlen nach Angaben von Kreis-Architekt Thilo Lenhard noch Vorhänge und Teppiche, die aber in den Herbstferien geliefert werden sollen.

Aber auch so kann sich der neue Trakt B, in dem zuvor sechs Klassen untergebracht waren, schon sehen lassen. Nadine Schmitz ist im TEB Bereichsleiterin Wirtschaft und Verwaltung und war maßgeblich an dem neuen Konzept beteiligt. „Vieles läuft bereits richtig gut“, berichtet sie. Aber eben noch nicht alles – und sie deutet auf den neuen Boden. Der war auch Thilo Lenhard sofort ins Auge gefallen. In Sachen Reinigung der Lernlandschaft müsse noch nachgesteuert werden. Eine offene Lernlandschaft sei eben aufwendiger zu reinigen als ein klassischer Klassenraum.

Das Bild zeigt einen Teil der 1400 Quadratmeter großen Lernlandschaft.

Moderne Stühle, viele Fächer und eine Landschaft statt Klasse. Im Thomas-Eßer-Berufskolleg wird ein neues Konzept umgesetzt.

Das Bild zeigt einen Teil der offenen Lernlandschaft.

Im Thomas-Eßer-Berufskolleg in Euskirchen ist für knapp drei Millionen Euro eine offene Lernlandschaft entstanden. Dort, wo früher sechs Klassenräume waren, ist nun ein 1400 Quadratmeter großer Lernbereich für rund 200 Schüler.

Das neue pädagogische Konzept schlägt sich auch bei den Kosten nieder. Lernlandschaften seien natürlich teurer als herkömmliche Klassenräume – und das nicht nur bei der Reinigung, sondern auch bei der Einrichtung. Mit Blick auf die Zukunft der Berufskollegs und der einhergehenden Ausbildung für Unternehmen im Kreis sei es aber gut investiertes Geld, zumal vieles über den Wiederaufbaufonds abgedeckt sei, so Brunhilde Hahne.

Von der neuen Lernlandschaft in Euskirchen profitieren schon jetzt die Kollegen in Kall. „Wir können uns ausprobieren. Unsere Erfahrungen werden dann in die Planungen für Kall und unseren Neubau einfließen“, sagt TEB-Chefin Holzhüter. Das Berufskolleg in Euskirchen wird voraussichtlich ab 2027 auf der grünen Wiese neu gebaut. Einen entsprechenden Förderbescheid überreichte das Land jüngst an Landrat Markus Ramers.

Im Blindflug ist die neue Lernlandschaft nicht entstanden. Die Verantwortlichen beim Kreis und aus den Schulen schauten sich quer durch die Republik Schulen an, an denen neue Konzepte bereits umgesetzt sind. Auch am TEB sammelte man nach der Flut Praxiserfahrung. Weil Räume fehlten, wurde die Werkstatt kurzerhand zu einem großen Lernraum.

„Das war natürlich nicht schallisoliert und daher laut“, erinnert sich Nadine Schmitz. Aber es konnten Erfahrungen gesammelt werden, die dann in den Trakt B geflossen sind. Auffällig sei, das berichten beide Schulleitungen unisono, dass sowohl Schüler als auch Lehrer von den neuen Möglichkeiten angetan seien. Schule sei nun eher Heimat statt reiner Lernort.


Informationstage an den Berufsschulen in Kall und Euskirchen

Am TEB in Euskirchen werden etwa 40 Bildungsgänge angeboten und es gibt gut 2100 Schüler. Am BKE in Kall sind es 20 Bildungsgänge und 1100 Schüler.

In Kall findet am Samstag, 15. November, zwischen 10 und 13 Uhr ein Info- und Beratungstag statt, in Euskirchen am Samstag, 22. November, zwischen 10 und 14 Uhr.