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BehördeSo arbeitet das Jugendamt im Kreis Euskirchen – Knapp 50 Kinder in Obhut genommen

7 min
Das Bild zeigt eine Playmobil-Familie. Das Bild dient als Symbolfoto für die Arbeit des Jugendamts.

Das Jugendamt des Kreises Euskirchen hatte in diesem Jahr bereits viel zu tun.

Die Zahl der sogenannten Inobhutnahmen durch das Jugendamt sind im Kreis Euskirchen seit Jahren konstant. Vereinzelte Fälle sorgen für Aufsehen.

Wer ans Jugendamt denkt, hat meist drastische Bilder vor Augen: misshandelte Kinder, vernachlässigte Familien, dramatische Inobhutnahmen. Doch der Alltag im Jugendamt ist breiter und differenzierter – und oft weniger spektakulär als angenommen. Im Kreis Euskirchen sind zahlreiche Fachkräfte täglich im Einsatz, um Kinder zu schützen, Familien zu unterstützen und junge Menschen auf ihrem Weg zu begleiten.

Nach Angaben von Hannah Kuhl, seit April die neue Leiterin des Jugendamts des Kreises Euskirchen, ist die Zahl der sogenannten Inobhutnahmen seit Jahren recht konstant: Im vergangenen Jahr holten die Mitarbeitenden des Jugendamts Kuhl zufolge 70 Kinder aus ihren Familien, im Jahr 2023 waren es 77, noch ein Jahr zuvor 69. Bis Juli waren es in diesem Jahr 34 Kinder, die in ein Jugendheim gekommen sind. Zudem wurden 14 Kinder an Pflegeeltern vermittelt.

Fall in Zülpich sorgte für Aufsehen

Dazu gehören auch zwei Kleinkinder, die Ende April in Zülpich von der Polizei auf der Straße aufgegriffen worden waren. Die Beamten stellten nach eigenen Angaben fest, dass sich die Kinder in einem verwahrlosten und abgemagerten Zustand befanden. Zudem nahm das Jugendamt ein weiteres Kleinkind in Obhut, das sich ebenfalls in einem körperlich schlechten Zustand befand. Die betroffene Familie wurde nach Informationen dieser Zeitung zuvor bereits vom Jugendamt betreut. Kuhl äußert sich im Gespräch mit der Redaktion nicht weiter zu dem Fall – aus datenschutzrechtlichen Gründen, wie sie sagt. Das sei in solchen Fällen grundsätzlich nicht möglich.

Dass Kinder von der Polizei auf der Straße aufgegriffen werden, dass das Jugendamt plötzlich im Scheinwerferlicht der Ermittlungen steht, sei die Ausnahme, so die Jugendamtschefin. Vieles passiere im Hintergrund, fernab der Öffentlichkeit – fernab von der reflexartigen Reaktion, dass das Jugendamt „geschlafen“ habe. „Uns wird häufig aus dem familiären Umfeld eine Gefährdung gemeldet. Zudem erhalten wir eine Nachricht der Polizei, sobald diese einen Einsatz hat, bei dem Kinder involviert sind – beispielsweise bei häuslicher Gewalt“, berichtet Kuhl.

Bereitschaftsdienst inklusive Rufbereitschaft rund um die Uhr

Dafür gebe es einen Bereitschaftsdienst inklusive Rufbereitschaft rund um die Uhr. Ob Kinder aus ihrem familiären Umfeld herausgeholt werden müssen, entscheide sich dann nach einer Gefährdungsanalyse durch mindestens zwei Mitarbeitende des Jugendamts, erklärt Kuhl. In der Regel seien sogar noch mehr Fachkräfte beteiligt.

In akuten Fällen könne dann eine Inobhutnahme erfolgen. Manchmal sei auch eine Untersuchung in der Kinderschutzambulanz nötig – etwa im Kreiskrankenhaus Mechernich. „Dort arbeiten medizinische Fachkräfte mit dem Jugendamt zusammen, um Anzeichen von Misshandlung oder Vernachlässigung professionell zu beurteilen“, berichtet Kuhl.

Der Kreis Euskirchen betreut nach eigenen Angaben rund 230 Pflegekinder. Ein Großteil lebt in Vollzeitpflegefamilien – dennoch bleibt der Bedarf hoch. Die Suche nach neuen Pflegefamilien gestalte sich zunehmend schwierig. Interessierte müssen unter anderem ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen und an einer Schulung teilnehmen. Diese umfasst Themen wie Motivation, Rechte und Pflichten sowie die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt.

Es gibt verschiedene Formen der Pflegeverhältnisse: klassische Pflegefamilien, Erziehungsstellen mit fachlicher Qualifikation sowie Bereitschaftspflegefamilien. Kuhl: „Letztere werden kurzfristig bei akuten Inobhutnahmen aktiviert – vergleichbar mit einer Notaufnahme in der Medizin.“ Auch wenn es ideal sei, Kinder im sozialen Umfeld – etwa bei Verwandten oder Bekannten – unterzubringen, sei das nicht immer möglich.

Der Kontakt zwischen Pflegekindern und Herkunftsfamilie wird individuell geregelt.
Hannah Kuhl, Leiterin des Jugendamts

Auch für junge Volljährige kann das Jugendamt zuständig sein – etwa, wenn sie noch nicht selbstständig leben können. In solchen Fällen greift die Hilfe für junge Volljährige – in der Regel bis zum 21. Lebensjahr, in Einzelfällen auch darüber hinaus. Ziel ist es, junge Menschen beim Übergang in ein eigenständiges Leben zu begleiten, etwa durch ambulante Hilfen oder betreutes Wohnen.

Seit 17 Jahren im Kontakt mit einem einst misshandelten Kind

Die Pflegeverhältnisse werden eng begleitet. Zweimal jährlich finde, so Kuhl, ein Hilfeplangespräch statt. Beteiligt seien das Kind, die Pflegefamilie und, wenn möglich, die leiblichen Eltern. „Der Kontakt zwischen Pflegekindern und Herkunftsfamilie wird individuell geregelt. Manchmal treffen sich Eltern und Kind im Beisein einer Fachkraft, manchmal ist kein Kontakt möglich – etwa nach schwerwiegenden Vorfällen“, sagt die Jugendamtsleiterin.

Mir macht der Job unheimlich viel Spaß.
Birgit Wolber, Mitarbeiterin des Jugendamts

Seit 17 Jahren ist Birgit Wolber beim Kreis Euskirchen tätig. „Mir macht der Job unheimlich viel Spaß“, sagt sie. Ein Fall ist Wolber besonders in Erinnerung geblieben: der eines dreijährigen Jungen, der in der Kita mit Striemen am Hals und diversen Hämatomen aufgefallen war. In der Kinderschutzambulanz bestätigte sich der Verdacht auf Misshandlung. Das Jugendamt nahm das Kind in Obhut, organisierte medizinische Versorgung, ein sicheres Zuhause und langfristige Begleitung. Jahre später, längst erwachsen, sagte der junge Mann rückblickend: „Sie waren die Einzige, die mir je geholfen hat“, so Wolber. Der Kontakt zu dem heute 20-Jährigen besteht immer noch.

Die Kinder selbst werden regelmäßig altersgerecht befragt – auch außerhalb der offiziellen Gespräche. „So können sie ihre Sicht schildern und im Zweifel auf Probleme aufmerksam machen“, berichtet Wolber. Wie Kuhl schildert auch sie, dass die Zusammenarbeit mit den leiblichen Eltern meistens funktioniere. „Sie wissen ja oft, dass sie mit der Situation überfordert sind – und wir nur helfen wollen, vor allem mit Blick auf das Wohl des Kindes“, sagt Wolber: „Eine Inobhutnahme ist immer eine traumatische Situation. Vor allem für das Kind. Oft bringen Eltern – manchmal auch erst einen Tag später – persönliche Dinge des Kindes ins Jugendamt, um die Situation fürs Kind leichter zu machen.“ Dazu gehörten das Lieblingskuscheltier, aber auch die Krankenkassenkarte, das U-Heft und Kleidung.

Arbeit im Jugendamt ist fordernd – emotional und organisatorisch

Die Arbeit im Jugendamt sei fordernd – emotional und organisatorisch, so Kuhl: „Sie verlangt ein hohes Maß an Fachlichkeit, Empathie und Entscheidungsfähigkeit. Fachkräfte müssen oft schwierige Entscheidungen treffen, mit knappen Ressourcen arbeiten. Und sie erleben hautnah, was schiefläuft, aber auch, was gelingt.“

Das Bild, das in der Öffentlichkeit gezeichnet werde, sei oft einseitig: Das Jugendamt greife „zu spät“ ein oder „mische sich zu viel ein“. „Dabei leisten die Mitarbeitenden jeden Tag wichtige Arbeit – häufig im Verborgenen, ohne Anerkennung, aber mit viel Engagement für das Wohl der Kinder und Familien im Kreis Euskirchen“, sagt Kuhl im Gespräch mit dieser Zeitung.

Viele Bereiche müssen abgedeckt werden

Die Jugendhilfe im Kreis umfasst neben dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) auch die Schulsozialarbeit, die Offene Kinder- und Jugendarbeit, die Frühen Hilfen sowie psychologische Angebote und Verwaltungsaufgaben – etwa im Bereich der Kitas.

Die Schulsozialarbeit habe in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen, berichtet Kuhl. Fast alle Schulen im Kreis verfügen ihr zufolge inzwischen über Sozialarbeiterinnen oder Sozialarbeiter – entweder angestellt beim Kreis oder in Trägerschaft des Landes. Die Fachkräfte seien wichtige Ansprechpersonen für Kinder, Eltern und Lehrkräfte – gerade in schwierigen familiären Situationen.

„Viele verbinden mit dem Begriff Jugendamt vor allem Krisen und Eingriffe. Doch tatsächlich leistet das Jugendamt weit mehr: Es unterstützt Familien frühzeitig – zum Beispiel durch Erziehungsberatung, Jugendförderung oder die Planung von Kita-Plätzen – und arbeitet damit präventiv für das Wohl von Kindern und Jugendlichen“, resümiert Hannah Kuhl.


Kita im Kreis Euskirchen: Staatsanwaltschaft ermittelt und stellt Verfahren wieder ein

Ein Fall, in den das Jugendamt des Kreises Euskirchen nur beratend involviert war, ereignete sich in einer Kita im Kreis Euskirchen. Federführend sei sofort das Landesjugendamt eingeschaltet worden, berichtet der Kreis Euskirchen auf Anfrage dieser Zeitung.

In der Kita sei es zu einem Zwischenfall gekommen, der „weit über Doktorspiele im Kindesalter hinausgeht“, berichteten betroffene Eltern dieser Zeitung. Ein Junge habe teils sexuelle Handlungen an einigen Mädchen aus seiner Kita-Gruppe vollzogen. Mindestens in einem Fall habe das Folgen für das Mädchen gehabt. „Wir sind mit ihr mehrfach zu einem Kinderpsychologen gegangen“, sagt die Mutter des Kindes.

Die Vorwürfe richteten sich gegen ein Kind. Da können wir natürlich nichts machen, außer das Verfahren wegen Schuldunfähigkeit einzustellen.
Dr. Sebastian Buß, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Bonn

Auch die Euskirchener Polizei nahm sich des Falles an. „Die Vorwürfe richteten sich gegen ein Kind. Da können wir natürlich nichts machen, außer das Verfahren wegen Schuldunfähigkeit einzustellen und das zuständige Jugendamt über die Vorfälle zu informieren und ihm unsere Erkenntnisse mitzuteilen“, sagt Dr. Sebastian Buß, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Bonn. Gegen die Eltern des Kindes habe man zu keinem Zeitpunkt ermittelt, so Buß weiter.

Auch beim Träger der Einrichtung sei der Vorfall aufgearbeitet worden – auf allen Ebenen. „In den zurückliegenden Wochen wurde auf verschiedensten Ebenen mit den Eltern – natürlich auch mit betroffenen Eltern – kommuniziert. Insbesondere sind hierbei Gespräche zu nennen, welche gemeinsam mit dem Kreisjugendamt, der pädagogischen Fachberatung, der Kita-Leitung und dem Träger stattgefunden haben“, sagt ein Sprecher des Trägers: „Gemeinsam glauben wir, dass mit den nun getroffenen Maßnahmen und Vereinbarungen der Fokus auf die Zukunft gerichtet werden kann.“ Innerhalb der Kita seien die Strukturen geändert worden, um den Jungen im Blick behalten zu können. Ihn aus der Kita zu nehmen, sahen alle Beteiligten – auch das Jugendamt – als den falschen Schritt an.