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Energie aus LebensmittelnWie in der Biogasanlage in Zülpich-Geich aus Pizza Strom wird

5 min
Blick auf den Inhalt eine Betonwanne: Ein geöffneter Baggergreifer schwebt über Verpackungen und Lebensmitteln.

Aus der großen Betonwanne schaufelt der Bagger Obst und Gemüse in einen Metalltrichter.

136 Tonnen Material kommen täglich in die Fermenter der Anlage in Geich. Kreisweit gibt es laut Energieatlas NRW aktuell 25 Biogasanlagen.

Man muss kein Freund von Tiefkühlpizza sein, um bei diesem Anblick ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Palette an Palette reiht sich in der großen Lagerhalle, auf jeder Hunderte Pizzen. Fabrikneu, im Pappkarton und in Folie verpackt, nur leider ohne Kühlung. Die wandern in keinen Backofen, die isst kein Mensch. Sie sind Futter für die Biogasanlage, die ABO Kraft und Wärme Zülpich GmbH & Co. KG in Geich betreibt.

Das Unternehmen aus Wiesbaden hat die Zülpicher Vergärungsanlage 2018 aus einer Insolvenz gekauft, gebaut worden ist sie 2004. Das Besondere: es werden nicht Mais oder andere landwirtschaftliche Erzeugnisse verarbeitet, sondern Lebensmittel: Marktabfälle, Überproduktionen, Kühlhausschäden. Hier werden sie immerhin noch sinnvoll verwertet. Einige haben schon die erste Runde Recycling hinter sich, wenn sie in Zülpich landen. Unternehmen wie Reefood in Erftstadt haben dann beispielsweise Fette zur Weiterverwendung herausgelöst.

Lebensmittelabfälle werden angeliefert, gehäuft und gesiebt

Maximilan Kipp, Technischer Betriebsführer, kennt die Anlage bis ins Detail. Er kann jede Frage beantworten – außer der, wie viele Kilometer Rohrleitung und Kabel es wohl gibt zwischen den Behältern mit den komplizierten Namen.

Der Weg vom Nahrungsmittel zur Energie beginnt mit der Anlieferung auf dem Hof, wo die Lastwagen gewogen werden. ABO habe Verträge mit Produzenten, Supermarktketten und Entsorgern, erklärt Kipp.

Palettenweise stehen Lebensmittel in einer Halle. Sie werden in der Biogasanlage verwertet werden.

Jede Menge Tiefkühlpizza, allerdings ohne Kühlung: Palettenweise wandern die Lebensmittel in die Biogasanlage.Dort wird aus ihnen Strom und Gas gewonnen.

Maximilian Kipp zeigt die Kunststoffreste, die aus den zerkleinerten Lebensmitteln aussortiert worden sind.

Maximilian Kipp, der Technische Betriebsführer der Biogasanlage in Geich erklärt die Schritte auf dem Weg von der TK-Pizza hin zur Energie.

Dann landet alles in zwei großen Betonwannen in einer Halle. In der einen ist heute Obst und Gemüse aufgehäuft, zum Teil samt Verpackung. Ein Bagger schaufelt die Masse in einen großen Trichter, Störstoffe werden entdeckt und aussortiert. „Wir haben sogar mal einen Motorblock darin gefunden“, so Kipp. In mehreren Schritten werden Verpackungsreste entfernt, zuletzt im Separator, dessen Siebe nur noch zwei Millimeter breite Spalten haben. Der nächste Schritt: Hygienisierung. Eine Stunde lang wird die Masse auf 70 Grad gehalten. Schließlich soll sie am Ende des Weges als Dünger auf dem Feld landen – ohne Krankheitserreger und soweit wie möglich ohne Mikroplastik. Dafür müssen strenge Grenzwerte eingehalten werden.

Bakterien werden in der Anlage in Zülpich an mehreren Stellen eingesetzt

Vorlagebehälter nennt der Fachmann den Speicher, in dem die Masse gelagert wird, bis sie in die Fermenter wandert. Der Vorrat ist nötig, weil die Anlage das ganze Jahr läuft, egal ob Wochenende oder Feiertag. Angeliefert wird nur an Werktagen, die fünf Mitarbeiter haben am Wochenende frei. Die Bakterien brauchen alle halbe Stunde Futter in gleichbleibender Qualität und Temperatur, das sie zersetzen, damit Bio-Gas entsteht. Maximilian Kipp sagt: „Wir müssen die Bakterien gut behandeln. Schließlich verdienen sie das Geld für uns.“

Aufnahme der sechs Zylinder, die die Turbine antreiben, die letztlich den Strom produziert.

Wie ein Schiffsdiesel sieht der Zwölf-Zylinder-Motor aus, der den Generator antreibt, der schließlich den Strom produziert.

Außenansicht der Tanks der Biogasanlage in Geich.

Riesige Tanks und schier endlose Rohrleitungen prägen das Bild der Biogasanlage in Geich.

Ein Mitarbeiter putz eine Produktionshalle.

Immer wieder wird der Boden der Produktionshalle gereinigt.

Aus den beiden Fermentern, die täglich mit 136 Tonnen Material bestückt werden, wandert die gärende Masse in den Kombispeicher. An dessen Grund gärt das Substrat nach, darüber sammelt sich das Gas unter einer Art Zeltkuppel. Die hat eine Doppelmembran, die in die Luft geblasen wird, damit sie sich halbkugelförmig wölbt: „Wie eine Hüpfburg“, erklärt Kipp das System.

Je nahrhafter das Futter für die Bakterien war, desto höher ist der Methananteil in dem Gas, das sie produzieren. In dieser ABO-Anlage liege der Anteil bei 61 bis 62 Prozent. Allerdings entstehe auch Schwefelwasserstoff, der herausgelöst werden müsse. Er würde Leitungen und Motoren angreifen. Aber auch dafür gibt es Bakterien: In einem Turm, Kolonne genannt, leben die in kleinen Plastikkörben und zerlegen den Schwefelwasserstoff in Schwefel und schweflige Säure.

Bakterien sorgen auch dafür, dass die Luft nicht stinkt

Nach Aufbereitung des Biogases in der gepachteten Gasaufbereitungsanlage auf dem Nachbargrundstück kann das Bio-Methan, versetzt mit einem Duftstoff und einem gewissen Anteil   Flüssiggas, ins Gasnetz eingespeist werden. Es wird aber auch im firmeneigenen Blockheizkraftwerk verbrannt. Nebenan steht übrigens ein zweites, das einem regionalen Energieerzeuger gehöre, wie Kipp berichtet, und derzeit nicht betrieben werde: „Wir hätten Interesse, es zu kaufen.“

Der Zwölfzylinder der Firma Deutz sieht ein bisschen aus wie Schiffsdiesel. Er betreibt den Generator, der nun im letzten Schritt aus den Abfällen Strom macht. Der wird ins Netz eingespeist, täglich von 5 bis 10 Uhr und von 17 bis 22 Uhr und wenn sich zusätzlicher Bedarf ergibt.

Die Luft aus den Hallen, in denen die zum Teil schon gammeligen Lebensmittel lagern, wird abgesaugt und gefiltert. Schon wieder ein Job für diejenigen Mitarbeiter, die kein Wochenende und keinen Feiertag kennen: Bakterien sitzen in einer dicken Schicht Holzschnitzel und sorgen dafür, dass die Luft, die daraus aufsteigt, nicht mehr stinkt.


Strom für 1,5 Millionen Haushalte

Der Fachverband Biogas hat mit dem Landesverband Erneuerbare Energien NRW im September die Abfallvergärungsanlage (AVA) des Unternehmens ABO Strom & Wärme als „Biogasanlage des Monats“ ausgezeichnet. Sie zeige eindrucksvoll, welches energetische Potenzial in Abfallstoffen für die Biogasgewinnung stecke, begründet der Verband seine Entscheidung. Und verbindet das mit dem Appell, in allen Kommunen Biotonnen zur Pflicht zu machen.

Wöchentlich werden in der AVA Zülpich 700 bis 800 Tonnen Abfall angeliefert, im Jahr kommen so rund 35.000 Tonnen zusammen. Daraus produziert die Anlage jeweils 5.000.000 Kilowattstunden Wärme und Strom. Außerdem werden rund 1,9 Millionen Kubikmeter Biomethan ins Gasnetz eingespeist. Die Abfälle, die angenommen werden, sind zum Teil bereits verarbeitet. Sie können aber auch noch verpackt sein, laut dem Unternehmen sind Konservendosen oder Lebensmittel in Aluminiumschalen kein Problem.

Im Kreis Euskirchen gibt es laut dem Energieatlas NRW aktuell 25 Biogasanlagen mit 48 stromerzeugenden Einheiten. In der Regel wird in den Anlagen aus nachwachsenden Rohstoffen Strom produziert. Die Biomasse-Leistung wird mit insgesamt 17.637 kW beziffert.

In ganz Nordrhein-Westfalen werden gemäß dem Energieatlas 1395 Anlagen betrieben. Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) hat errechnet, dass mehr als fünf Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr aus Bioenergie produziert wird. Das decke den Bedarf von mehr als 1,5 Millionen Haushalten.