Trockenheit, sinkende Pegel, SetzungenDas macht Deutschlands Grundwasserproblem mit der Region

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Ein Boot liegt auf dem Trockenen am Rand des Zülpicher Sees. Das Wasser ist zurückgegangen, sodass der Seeboden zu sehen ist.

Der Pegel des Zülpicher Sees ist seit der Landesgartenschau 2014 um mehr als einen Meter gesunken.

Deutschland hat ein Grundwasser-Problem. Und zwar nicht nur da, wo riesige Industrie alles aus dem Boden saugt: Auch in der Region gibt es immer weniger. Wir schauen auf Daten, Fakten und Folgen.

Risse, teilweise so dick, dass man Finger hineinstecken könnte, durchziehen ein Haus in Zülpich. Fliesen abgeplatzt, Wände abgesackt, Brüche im Asphalt. Rolf Meuser wohnt seit einigen Jahren mehr als zehn Zentimeter tiefer als geplant. Der Grund? Es fehlt Wasser im Boden. Ein großes Problem, wie eine gemeinsame Kooperation von Correctiv.Lokal und dieser Zeitung zeigt.

Wir haben immer weniger Grundwasser

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie viel Wasser unter Ihren Füßen liegt? Die Antwort ist fast überall: immer weniger. Der Grundwasserspiegel sinkt in vielen Regionen Deutschlands, auch in NRW. Das Netzwerk Correctiv.Lokal hat Daten von Grundwassermessstellen im Bundesgebiet von 1990 bis 2022 ausgewertet und gezeigt, wie sich die Pegelstände entwickeln. Die Ergebnisse sind deutlich: An fast der Hälfte der Messstellen wurde zwischen 2018 und 2021 der tiefste bisherige Wert gemessen. Darunter auch einige Messstellen im Kreis Euskirchen. Vier der acht untersuchten Stellen zeigen einen negativen Rekord in den letzten Jahren – alle im Norden des Kreises.

Besonders hervor sticht der Zülpicher Stadtteil Langendorf. Der Grundwasserspiegel sinkt hier um 1,74 Prozent im Jahr, der drastischste Wert im Kreis. Und das ist seit Jahrzehnten so – Jedes Jahr kann sich der Grundwasserspeicher hier weniger auffüllen. Der Blick in die Daten drängt Fragen auf: Was genau ist alles Grundwasser? Inwieweit ist es ein normaler Prozess, dass sich die Bestände abbauen? Und was bedeutet das für Menschen und Umwelt in der Region? Also der Reihe nach.

Was ist überhaupt alles Grundwasser?

Das wichtigste zuerst: Grundwasser und Trinkwasser sind nicht das Gleiche. Aber: „Rund 74 Prozent des Trinkwassers in Deutschland stammen aus Grundwasser“, schreibt das Umweltbundesamt. Es sei damit die wichtigste Trinkwasserressource Deutschlands. In einigen Regionen, etwa Brandenburg, wird sogar bis zu 90 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen. Umso bedrohlicher die Bilder aus dem Sommer, die das Bundesland von Dürre und Hitze verbrannt zeigen.

Mit dem Begriff gemeint ist also Wasser, das weit im Boden liegt – die genaue Tiefe variiert je nach geografischer Lage. In einem funktionierenden Kreislauf tritt das Grundwasser in Quellen an die Oberfläche, wird in Flüssen ins Meer gespült, verdunstet dort und trifft in Form von Regen wieder auf die Böden, wo das Wasser versickert, durch die Erdschichten gefiltert wird und Reservoirs im Boden auffüllt. Wenn das Wasser nah an der Oberfläche liegt, versorgt es Böden und Pflanzen mit Feuchtigkeit.

Besonders nach den schweren – und sehr wasserreichen – Unwettern vom vergangenen Jahr fällt es schwer, sich vorzustellen, dass nicht genug Wasser wieder in die Reservoirs (Fachleute sprechen von Grundwasserleitern) versickert ist. Gerade im Kreis Euskirchen, in dem die Wassermassen der Flut so viel Zerstörung, Dreck und Schlamm hinterließen. Aber Unwetter wie diese zählen zu den Folgen des Klimawandels, der die Grundwasservorkommen zunehmend strapaziert. Trifft viel Regen in kurzer Zeit auf besonders trockene Böden, fließt das Wasser mit sehr großer Geschwindigkeit ab – so etwa bei der Juli-Flut 2021. Das Wasser wird also so schnell über die Erdoberfläche bewegt, dass es keine Zeit hat, durch den Boden zu sickern.

Ein Experiment, das im Sommer durch soziale Medien bekannt wurde, illustriert ein Problem, das besonders im Sommer eine Rolle spielt: Ausgetrocknete Böden nehmen Wasser generell viel langsamer auf als solche, die eine gewisse Grundfeuchtigkeit haben.

Auch wenn unsere Sommer immer heißer werden, sind trockene Böden zu manchen Jahreszeiten zunächst noch nicht außergewöhnlich. Es ist völlig normal, dass sich die Grundwasserspeicher in den warmen Jahreszeiten bis zu einem gewissen Punkt leeren. In einem gesunden Wasserkreislauf füllen sich diese Speicher dann im Winterhalbjahr. Aber eine Folge des Klimawandels ist die Verlagerung der Niederschläge in die heißen Monate des Sommers – also dann, wenn die Böden nicht aufnahmefreudig sind und das Wasser verdunstet, bevor es aufgenommen werden kann. Im Winter und Herbst wird es stattdessen immer trockener.

Dem regenreichen September folgt ein viel zu trockener Oktober
Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz schreibt über seinen monatlichen Bericht zum Hydrologischen Status in NRW zum Thema Niederschlag: „Dem regenreichen September folgt ein viel zu trockener Oktober“. Der September 2022 gehöre zu den 10 Prozent der niederschlagsreichsten September seit Beginn der Aufzeichnungen 1881, der Oktober 2022 zu den 20 Prozent der trockensten im gleichen Zeitraum.

Das Lanuv weist in dem Report auch auf die sinkenden Grundwasserstände hin, das Problem ist bekannt. An mehr als zwei Dritteln der Messstellen in NRW wurden im Oktober deutlich niedrigere Pegelstände gemessen als im gleichen Monat in den Jahren zuvor. Die Daten zeigen für drei der acht Messstellen im Kreis Euskirchen einen sinkenden Trend in den Grundwasserspeichern.

Kreis Euskirchen: Situation am Zülpicher See

Die Zülpicherinnen und Zülpicher kennen das Phänomen der sinkenden Wasserpegelstände vor allem vom Zülpicher See. Schon Anfang 2021 waren Expertinnen und Experten verblüfft vom Pegel des Sees, der sich innerhalb von wenigen Jahren um mehr als einen Meter senkte. 2020 und 2019 verlor der See nach Angaben des Hydrogeologen Dr. Stephan Lenk (Erftverband) mehr als 60 Zentimeter Wasser. Lenk macht den Klimawandel im Wesentlichen für den Wasserverlust verantwortlich. Allerdings spiele auch der Bergbau eine Rolle. Der Zülpicher See entstand aus einem Braunkohletagebau, Wasser könne auch Jahre nach Ende des Tagebaus in tiefere Schichten absinken.


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Als Gewässer ohne eigene Quelle speist sich der Zülpicher See aus dem Grundwasser. Ebenso der Neffelsee, ebenfalls ein alter Braunkohlebau. An der Grundwassermessstelle hier wurde kein stark abnehmender Trend gemessen. Stattdessen füllt sich hier der Pegel pro Jahr um einige Prozentpunkte.

Wie hängen See und Grundwasser zusammen?

Aber zurück nach Zülpich, wie hängen die sinkenden Pegelstände von See und Grundwasser zusammen? Hannsjörg Schuster, Geologe und Spezialist für Grundwasser beim Geologischen Dienst NRW, erklärt: „Der See wird von West nach Ost von Grundwasser durchströmt.“ Wenn der Grundwasserspiegel im Umfeld des Sees sinkt, verliert entsprechend auch der See an Wasser. Die Veränderung im Grundwasser hat also nichts mit dem See zu tun, der See-Spiegel reagiert aber auf die Veränderungen im Boden. Der Zülpicher See verdeutlicht, was Wasserwissenschaftler schon seit Jahrzehnten beobachten: Die Speicher füllen sich immer weniger auf.

Zülpich: Regionale Situation aus Sicht eines Geologen

Schuster kennt auch die regionalen Begebenheiten der Zülpicher Börde. Generell gebe es hier im landesweiten Vergleich sehr wenig Niederschläge, so der Geologe. Das liege generell an der Lage im Lee der Eifel, also der vom Wind abgekehrten Seite des Gebirges. Von 1991 bis 2020 fiel im Raum Zülpich sogar am wenigsten Regen in ganz NRW: „Im Mittel nur 542 mm Jahresniederschlag.“ Hier fällt also ohnehin schon weniger Regen, der bis in Grundwassertiefen durchsickern kann. Außerdem können die Böden in der Börde recht viel Feuchtigkeit speichern – was sie zu fruchtbarem Boden für die Landwirtschaft macht. Grundwasser wird im Raum um Zülpich also ohnehin nur langsam nachgebildet.

Der ⁠Klimawandel⁠ ist die zentrale Herausforderung für die Wasserwirtschaft heute und in Zukunft.
Umweltbundesamt

Grundwasser, das übrigens nicht immer Süßwasser sein muss, ist eine der wichtigsten Ressourcen, sowohl für Natur und Umwelt, als auch den Menschen und die Gesellschaft. Vorkommen und Speicher reagieren träger auf Veränderungen als Oberflächengewässer wie Seen oder Flüsse, dementsprechend spiegeln sie langfristige Veränderungen der Klimabedingungen wider.


Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von dieser Zeitung und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen, darunter in einem Schwerpunkt langfristig über die Klimakrise. Weitere Infos unter correctiv.org/klima


Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW schreibt in seinem Klimaatlas, dass mehrere Faktoren Einfluss auf die Pegel nehmen: „Zunächst verringern sich durch geringere Niederschläge die Grundwasserstände, insbesondere in Kombination mit höheren Temperaturen, wodurch die Verdunstung gesteigert wird. Zusätzlich kann bei höheren Temperaturen eine höhere Wassernutzung und -entnahme (z. B. für Bewässerung) eine Rolle spielen.“

Und das Umweltbundesamt sagt: „Der ⁠Klimawandel⁠ ist die zentrale Herausforderung für die Wasserwirtschaft heute und in Zukunft.“ Außerdem: „Der Druck auf die Ressource Grundwasser wird in Zukunft weiter steigen, insbesondere wenn die landwirtschaftliche Bewässerung zunimmt und wasserintensive industrielle Nutzungen hinzukommen.“

In der Vergangenheit sei der Zustand des Grundwassers überschätzt worden, deswegen sei jetzt eine genaue Beobachtung der Bestände umso wichtiger. Denn Möglichkeiten, Grundwasserspeicher künstlich zu füllen, gibt es quasi keine.

Was passiert jetzt mit dem Trinkwasser? Und was ist mit Neubauten?

Auch wenn die Grundwasserspeicher unter dem Kreis Euskirchen noch lange nicht leer sind, und wir keine Trinkwasserknappheit in den nächsten Jahren zu befürchten haben, zeigen sich die Folgen des Negativtrends an einigen Stellen auch dem bloßen Auge. Das Haus des Zülpicher Rolf Meuser etwa sackte inzwischen mehr als zehn Zentimeter ab. Die großen Risse machen das Gebäude „praktisch wertlos“, so der Senior. Mehr als ein Dutzend Häuser seien von der sogenannten Setzung des Bodens betroffen. Wenn der Grundwasserspiegel sinkt, hinterlässt das Hohlräume im Boden, die sich über Zeit schließen müssen. 260 Fälle von Zülpicherinnen und Zülpichern, deren Häuser so beschädigt wurden, bearbeitete die Schlichtungsstelle seit 2010. Ob noch weitere gefährdet sind, ist unklar.

Bei neuen Baugenehmigungen prüft der Kreis den Grundwasserspiegel und seine Veränderung im Allgemeinen nicht, so Sven Gnädig vom Kreis Euskirchen. Die Untere Wasserbehörde werde in Einzelfällen hinzugezogen, wenn etwa eine Erdwärmetherme in der Nähe eines Trinkwasserreservoirs gebaut werden soll.

Trotz all dem werden in Zülpich große neue Bauvorhaben geplant. Und das direkt am Zülpicher See. Diese Zeitung berichtet. (mit tom)

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