„Ich will noch nicht aufgeben“17-Jährige will die katholische Kirche verändern

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Johanna Müller kämpft für den Erhalt der Kirche. 

  • Johanna Müller hat sich für die Mitarbeit beim „Synodalen Weg“ beworben und ist jetzt das das jüngste Mitglied der Synodalversammlung.
  • Der „Synodale Weg“ ist ein Gesprächsformat für eine strukturelle Debatte innerhalb der katholischen Kirche. Im Kern geht es um die Aufarbeitung der Fragen zum Missbrauchsskandal in der Kirche.
  • Die 17-Jährige spricht im Interview über ihre Motivation, ihren Glauben und Diskussionen mit Mitschülerinnen und Mitschülern.
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Johanna Müller ist im Münsterland, in Harsewinkel, aufgewachsen. 

Frau Müller, wie oft hören Sie als junge Katholikin den Satz: „Wie, du bist in der Kirche?“ 

Johanna Müller: Ständig, vor allem in der Schule. Wieso ich überhaupt an Gott glaube – das beschäftigt meine Mitschüler manchmal mehr als die Frage, warum ich in der Kirche mitmache.

Warum glauben Sie an Gott?

Johanna Müller: Ich finde es wichtig, aus der Ich-Perspektive zu sprechen. Wenn ich sage: „Mir gibt der Glaube Halt, er wurde mir vorgelebt, und ich bin in eine Gemeinschaft hineingewachsen, in der ich mich wohlfühle“ – dann kann ja keiner sagen: „Falsch, stimmt nicht!“ Ich bin mit Chorarbeit und Kirchenmusik groß geworden, weil ich es über meinen Vater kennengelernt habe, der Kirchenmusiker ist. Aber ich bin auch selbst begeistert dabei. Große Chortreffen, zu denen wir gereist sind, oder auch Fahrten mit den Messdienern – das waren schöne Erfahrungen. Und auch der Gottesdienst ist etwas, was mir gut tut. Das hat mit Routine zu tun, mit Ruhe, mit einem Fixpunkt im Leben. Ich glaube, jeder Mensch sucht nach so etwas.

Und die Frage nach der Kirche?

Johanna Müller: Manche Diskussionen finde ich ziemlich müßig, weil man eh nicht weiterkommt. Mit vielen Mitschülerinnen und Mitschülern diskutiere ich deshalb eigentlich schon gar nicht mehr über die Kirche.

Was sind müßige Diskussionen?

Johanna Müller: Zum Beispiel wenn Leute sagen, die Kirche sei „einfach unmodern“ und dann mit den üblichen Argumenten kommen: Diskriminierung von Frauen oder Homosexuellen, Herrschaft alter Männer, rückständige Ansichten in der Sexualmoral, die den Leuten aufgezwungen werden sollen.

Sie finden, das stimmt nicht?

Johanna Müller: Doch, das sehe ich ganz genauso. Die fehlende Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist ein totaler Gegensatz zu meiner Lebenswelt und zur Gesellschaft insgesamt. Genau wie krasse Machtstrukturen, die von oben nach unten durchgezogen werden.

Also doch „unmodern“.

Johanna Müller: Ja, aber als Etikett ist mir das zu pauschal. Je länger ich mich mit der Kirche beschäftige, desto besser verstehe ich, wie es dazu gekommen ist, und dass man vielleicht nicht alles von heute auf morgen ändern kann.

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Aber sie wollen etwas ändern, haben sich für die Mitarbeit beim „Synodalen Weg“ beworben und sind das jüngste Mitglied der Synodalversammlung.

Johanna Müller: Das finden meine Mitschüler zum Beispiel dann schon wieder cool. „Cool, du engagierst dich wenigstens dafür, dass sich was tut.“

Wie kam es überhaupt dazu?

Johanna Müller: Ich habe eine Ausschreibung des „Bunds der Deutschen Katholischen Jugend“ für Sitze an junge Leute in der Synodalversammlung gelesen und dachte: „Oh, da will ich dabei sein. Damit nicht 25-Jährige als jung durchgehen.“ Dass ich mit 17 ganz gute Chancen haben könnte, habe ich mir dann schon gedacht.

Und was ist Ihr Interesse?

Johanna Müller: Ich will den anderen sagen: In der Kirche gibt es uns Junge noch, wir haben eine Stimme, und ihr solltet auf uns hören, weil wir diejenigen sind, die aufgrund unseres Alters noch am längsten mit dieser Kirche zu tun haben werden. Was ihr beschließt oder nicht beschließt, das werden wir an der Backe haben.

Welche Rolle spielt für Sie das Thema Missbrauch in der Kirche?

Johanna Müller: Wenn wir als Synodale unter 30 miteinander reden, sind wir uns einig: Wir sind auf dem Synodalen Weg, weil es den Missbrauchsskandal gibt und weil sich deswegen etwas ändern muss. Und zwar schleunigst. Im Grunde ist es schon fünf nach zwölf.

Aber Sie haben nicht den Impuls: „Jetzt reicht’s“?

Johanna Müller: Nein. Ich verstehe, dass Leute das sagen und aus der Kirche austreten. Aber ich will noch nicht aufgeben. Die Wut, die auch ich verspüre, setzt auch eine extreme Energie frei, sich trotz allem einzusetzen. Jetzt erst recht! Und ich glaube auch, dass jetzt die letzte Chance dafür ist, weil sonst nur noch eine kleine Gruppe von Verknöcherten, Versteinerten übrig bleibt und die Kirche komplett ins Abseits steuert. Ich trete schon deswegen nicht aus, weil ich denen die Kirche nicht überlassen will. Noch nicht.

Welche Vision von Kirche haben Sie?

Johanna Müller: Ich wünsche mir die Kirche als einen Raum, wo Menschen sich aufgehoben fühlen, wo Sie frei ihren Glauben leben können, ohne den Druck durch eine übermächtige und obendrein auch noch skandalbehaftete Institution. Leider hängt das sehr an den Einzelnen. Dass man in eine bestimmte Gemeinde geht, weil man den Pfarrer mag, finde ich schon in Ordnung. Aber es darf nicht sein, dass es vom Pfarrer abhängt, was in einer Gemeinde läuft. Es muss Beteiligung geben, und ich finde, eine Gemeinde sollte sich ihren Priester auch wählen dürfen.

Oder ihre Priesterin?

Johanna Müller: Wenn es nach mir ginge, sofort. Aber das wird so schnell nicht passieren. Ich gebe zu, bislang war es für mich persönlich kein großes Thema, dass nur Männer Priester werden können, weil ich halt damit aufgewachsen bin. Ich selber habe auch kein Bedürfnis. Aber seit einiger Zeit merke ich trotzdem, dass es mich als Frau stört, wenn andere Frauen diesem Wunsch oder dieser Berufung nicht folgen können.

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Um die Ämter für Frauen geht es ja auch auf dem Synodalen Weg – neben Themen wie „Macht und Gewaltenteilung“ in der Kirche oder „priesterliche Lebensform“. Was sollte das alles mit Ihrem Glauben zu tun haben?

Es gibt Strukturen in der Kirche, die nichts mehr mit der Botschaft Jesu zu tun haben. Die Mächtigen sagen, sie verträten die Kirche. Nur wie sie handeln und was sie sagen, das geht oft genug an der christlichen Botschaft vorbei. Und im schlimmsten Fall stehen die Strukturen ihr sogar im Weg. Mein Glaube hängt aber an dieser Botschaft.

Deshalb sind Machtkontrolle oder Gewaltenteilung in der Kirche für Sie ein Thema?

Johanna Müller: Klar hat das erst mal wenig mit meinem Alltag zu tun. Aber es wäre ein Schritt zu mehr Glaubwürdigkeit, die es dann auch mir leichter machen würde, zur Kirche zu stehen und mein Christsein selbstbewusst und überzeugend nach außen zu vertreten. Das sollen wir doch als Katholikinnen und Katholiken, oder? Im Moment kommt mir das aber unmöglich vor. Wo so vieles in der Kirche im Argen liegt, kann ich nicht glaubhaft in die Kirche einladen. Das wäre für mich ein Widerspruch in sich. Und selbst wenn ich einladen würde, wer sollte denn da kommen?

Sie kommen aus Harsewinkel im Münsterland. Mal mit der Arroganz des Großstädters gefragt: Ist Kirche auf dem Dorf für junge Menschen nicht noch „unmoderner“ als ohnehin schon?

Johanna Müller: Ganz ehrlich? Ich freue mich schon darauf, zum Studium hier rauszukommen. Ich mag mein Dorf. Aber was Kirche angeht, kann man sich in der Stadt viel leichter für eine Gemeinde entscheiden, je nachdem, für welchen Schwerpunkt man sich interessiert. Hier gibt es nur die eine Gemeinde und den einen Pfarrer. Da ist man nochmal abhängiger. Und vor allen Dingen wird es immer schwieriger, Interessierte für die Jugendarbeit zu finden. Der Pool an Leuten ist einfach nicht mehr groß genug. Sie stellen sich das hier vielleicht noch so traditionell als das „katholische Münsterland“ vor. Aber das bricht gerade total weg.

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