Klavierbau„Beim Klang ist noch eine Menge möglich“

Den Deckel für einen Flügel hat Klavierbauer Jan Enzenauer in seiner Werkstatt im Luisental aus ultraleichtem, japanischen Kiri-Holz gefertigt. Es ist gleichzeitig robust und durchlässig für den Klang.
Copyright: Ralf Krieger
Jan Enzenauer hat mit seiner Klavierbaukunst einiges bewegt. Seine Verfahren finden auch in China Anklang. Auf Kongressen oder in Innovationskampagnen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie hält er Vorträge.
Was macht der Klang mit uns?
Für die Forschung hegt er schon lange eine Leidenschaft. Nun will er mit Hilfe der Physik und der Neurobiologie herausfinden, was der Klang mit uns macht.
Herr Enzenauer, Daniel Kehlmann schrieb ein Buch über die Vermessung der Welt. Sie vermessen Klanghölzer. Was ist das für eine Welt?
Das ist meine Welt. Klänge sind Individuen, Klaviere sind Persönlichkeiten. Klänge haben Botschaften, sie sprechen. Ich höre ihnen einfach zu, und manchmal reden wir miteinander. Holz, das ist ein Material, zu dem die meisten einen starken Bezug haben. Klanghölzer bringen die Schwingungen zu Gehör. Schall ist wichtiger als die meisten Menschen glauben, weil er auf tiefer Ebene wirkt.
Sie kommen aus dem Klavierbau, einem alten Kunsthandwerk, und schlagen die Brücke zur High-Tech-Industrie. In Forschungsprojekten mit dem Physiker Jürgen Göken von der Hochschule Emden-Leer und der Kölner Neurobiologin Heike Endepols wollen Sie es ganz genau wissen. Was erforschen Sie?
Bei der Erforschung des Klangs geht es uns darum, was er mit einem macht. Da ergänzen sich Physik und Neuropsychologie gut. Wir wollen wissen, was der Klang von Produkten für eine Botschaft vermittelt. Wie reagiert das Material auf Schwingungen? Dabei ist es egal, ob es ein Klangholz, Kunststoff oder eine Autotür ist. Welche Abhängigkeit besteht zwischen Schall und Wirkung, die ein Material hervorbringt?
Im Forschungsprojekt mit er Hochschule Emden-Leer sind Sie eine Verbindung zwischen Schiffsbau und Klavierbau eingegangen. Welche Schnittmengen gibt es?
Professor Göken befasst sich hauptsächlich mit Metall. Aber wenn er Vorträge zum Thema Holz hält, knistert es sofort in der Aufmerksamkeit des Auditoriums. Holz ist ein ganz besonderer Stoff. Da klingelt in unserer Geschichte offenbar etwas. Vielleicht liegt das daran, dass unsere Vorfahren auf Bäume geklettert sind, sie später gefällt haben und dann gelernt haben, damit Feuer zu machen. Dann haben wir Schiffe gebaut und eben auch Klaviere. Menschen haben eine Geschichte mit Holz.
Gemeinsam mit Jürgen Göken haben Sie eine Studie zu Holzfeuchte und Schwingungseigenschaften an Klanghölzern gemacht. Was ist bei den Untersuchungen herausgekommen?
Wir haben mehrere Studien gemacht. In unserer Grundlagenstudie haben wir verschiedene Holzarten unter dem physikalischen Aspekt der Dämpfung gemessen. Dabei haben wir die Eigenschaften von alten und neuen Resonanzböden verglichen. Uns beschäftigte die Frage, die so viele Pianisten stellen, warum alte Instrumente oft besser, voller, runder klingen als neue.
Ist das so?
Es ist eine verbreitete Meinung, die vielleicht nicht unbedingt von den Herstellern geteilt wird. Es gibt auch Erklärungsansätze, dass Faktoren wie Lack, Hammerköpfe und das Gehäuse eine Rolle spielen. Ein Faktor alleine ist es nicht. Meiner Meinung nach gibt es viele Einflussfaktoren, aber der Hauptfaktor für den größeren Klang von alten Instrumenten liegt im Resonanzboden. Wir sind dort mit einem dynamischen, mechanischen Analysegerät dem Aspekt der Dämpfung nachgegangen.
Um was zu analysieren?
Wir haben alte und neue Holzproben genommen, kleine Stückchen, die wir mit einem Impulsgeber in Schwingung gebracht haben. Durch das Holzstückchen ging eine Welle. Dabei ließen sich Kräfte auf eine Tausendstelsekunde genau messen. Einfach gesagt: Je besser das Holz war, desto schneller war die Welle, je schwächer das Holz war, desto langsamer.
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Ist das alte Holz trockener?
Das mag zwar im Einzelfall zutreffen, ist aber nicht der Hauptgrund. Es finden chemische Prozesse statt. Neues Holz hat mehr Inhaltsstoffe wie Öle, Fette, Terpene und anderes, die über die Jahre vergasen oder abgebaut werden. Aber der Abbauprozess braucht lang. Nach 20 Jahren passiert noch etwas und auch danach. Im Lauf der Jahre verflüchtigen sich im Holz gebundene Stoffe, die es anfangs träge machen. Je weiter sie abgebaut sind, desto beweglicher wird das Holz. Die Änderung der Dämpfung kann in den Mikrostrukturen nachgewiesen werden.
Um Ihren wichtigsten Rohstoff, das Fichtenholz, steht es besorgniserregend. Gibt es einen Ersatz für den Resonanzboden aus Fichte, dem Herzstück eines Klangkörpers wie dem Klavier?
Nein. Vor zehn Jahren schon habe ich in meiner damaligen Funktion als Bundesinnungsmeister der Musikinstrumentenmacher-Innung angeregt, dass wir in Brüssel in der Generaldirektion Environment über die Fichte sprechen sollten, um für diesen empfindlichen und für uns so wichtigen Baum vorausschauend Sorge zu tragen. Leider gab es seitens meiner Kollegen nur wenig Verständnis dafür. Jetzt ist das Problem da. Die Fichte ist leicht und schwingungsfähig. Dazu gibt es noch keine bewährte Alternative. Es wird eine Aufgabe werden, Fichte zu ersetzen.
In der Sendung „Wetten, dass...?“ trat einmal ein junger Mann auf, der mit verbundenen Augen am Klang einer zufallenden Autotür die Marke erkennen konnte. Die Autoindustrie, aber auch andere Branchen setzen auf die Botschaft der Klänge. Was können Sie als Klavierbauer anbieten?
Das, was wir im Klavierbau im Rahmen unserer betriebsinternen Studien an Kenntnissen gewonnen haben, ließe sich auch auf Küchenmaschinen oder Motoren von Elektro-Autos transferieren. Auch eine Bohrmaschine könnte akustisch optimiert werden, beispielsweise zum Schutz des Gehörs. Dabei geht es auch um die Frage, welche Materialien den Sound beeinflussen. Glas, Metall, auch Gummidichtungen oder Spangen, spielen akustisch eine Rolle. Viele Hersteller haben Sounddesign versucht, aber aufgegeben, weil sie die Sounds nicht verstehen. Sounds muss man verstehen.
Was können Klänge im Idealfall in Industrieprodukten bewirken?
Industriell hergestellte Produkte sollten sich am Menschen durch eine ergonomische Soundanpassung ausrichten. Idealerweise sollten Maschinen dem Bediener mit ihren Geräuschen Botschaften geben, die ihn unterstützen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im einen Fall ist es Wohlbefinden, im anderen eine Alarmbereitschaft, oder sonstige Assoziationen wie eine akustische Bereitschaftsanzeige.

Impulse auf unterschiedliche Holzstücke wurden in Versuchsreihen physikalisch gemessen.
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Wenn ein Porsche oder eine Kaffeemaschine einen neuen Klang erhalten, was soll das bewirken?
Identität.
Sie haben keinen Lehrstuhl und beteiligen sich dennoch an der Forschung. Müsste der Instrumentenbau mehr Wissenschaftscharakter haben?
Einerseits brauchen wir in der Gesellschaft Kontinuität, feste bestehende Regeln. Das ist wichtig für den Fortbestand und das Funktionieren der Gesellschaft. Aber auch Forschung, die Grenzen auslotet, auch mal etwas in Frage stellt oder sogar konfrontativ neue Wege beschreitet. Daraus entwickeln sich Chancen, quasi neue Lebensräume, beispielsweise ein neuer kleiner Industriezweig. Ja, wir brauchen Wissenschaft, wenn wir von Klang sprechen.
Hätten Sie am Anfang Ihrer Laufbahn als Klavierbauer gedacht, dass Sie sich einmal mit Schiffen und Häfen befassen?
Ich hätte es nicht gedacht, aber auch nicht ausgeschlossen.