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Burscheider SieferhofWarum Familie Paas in dritter Generation auf Bio umgestellt hat

Lesezeit 4 Minuten
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Seit 1991 Landwirte auf dem Hof: Julia und Frank Paas.

Burscheid – Etwas bedröppelt liegt das Kalb im Stroh, wirklich aufstehen mag es nicht. „Die Mutter hat es weggestoßen“, erklärt Julia Paas. Doch die Tanten übernehmen und kümmern sich, so ist das bei Kühen. Knapp 60 von ihnen halten Julia und Frank Paas derzeit auf ihrem Sieferhof in Burscheid. Rechnet man die jüngeren Tiere und den Zuchtbullen dazu, kommt das Ehepaar auf aktuell knapp 100 Tiere.

1991 haben die beiden den Bauernhof übernommen, drei Generationen haben mit ihm bereits ihren Lebensunterhalt bestritten. Erste urkundliche Erwähnungen habe es schon im 14. Jahrhundert gegeben, erzählt Frank Paas. Eine Zeitlang gehörte der schmucke Fachwerkhof – ganz traditionell im Stil des Bergischen Landes mit grünen Fensterläden – zum Kloster Altenberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg erbten ihn Frank Paas' Großeltern.

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Auf dem Foto ist der Deckbulle mit einem Jungrind zu sehen. Die milchgebenden Kühe tragen ein Halsband mit Sensor. Das liest der Futterautomat aus, jede Kuh erhält so eine individuelle Menge Kraftfutter.

Julia Paas stieg nach der Hochzeit mit ein. Ursprünglich hat sie Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert, sich dann Richtung Textiltechnik orientiert. Als klar war, dass sie auf dem Hof mit einsteigen will, hat sie eine Landwirtausbildung absolviert. „Dadurch hab ich vielleicht mehr Verständnis für den Blick ,von außen'“, sagt die gebürtige Bergisch Neukirchenerin und schmunzelt.

Die Kühe haben keine Namen, aber Persönlichkeiten

Sie zeigt auf die Milchkühe, zwei Rassen – Holsteiner und Norwegisches Rotvieh – leben hier zusammen. Namen besitzen die Tiere nicht, aber zuordnen kann man sie dennoch. „Es gibt Persönlichkeiten, die erkennt man gut“, sagt die 56-Jährige, Nummer 146 beispielsweise, „will immer einmal gekrault werden“, oder 107, „das ist die Größte“, die Tiere seien eben doch individuell. Im Frühling kommen sie auf die Weide, schließlich hat das Paar vor sechs Jahren auf Biobetrieb umgestellt. Und es nie bereut.

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Knapp eine Stunde dauert es, die 60 Milchkühe zu melken.

„Eine Affinität zu Bio hatten wir schon immer“, erzählt Frank Paas. Irgendwann hätten sie vor der Entscheidung gestanden, noch mehr Milchvieh zu halten und sich zu spezialisieren – „das wäre eine gigantische Investition gewesen“– oder eben auf Bio umzustellen.

Umstellung auf Öko

Leicht war es trotzdem nicht, viele Prozesse kamen auf den Prüfstand und mussten angepasst oder sogar neu gedacht werden. „Die Bioverordnung ist umfänglich“, sagt er. Jährliche Kontrollen, viele Regularien. Jetzt sind sie zufrieden: „Bei Bio gibt es den Druck nicht so, alles ausreizen zu müssen“, fasst es der 56-jährige Landwirt in Worte. Nun sind sie Teil des wachsenden Biomilchmarkts. Und man habe ein gutes Gefühl den Kunden gegenüber, ergänzt Julia Paas.

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Frisch geboren, von der Mutter verstoßen. Jetzt müssen die Tanten das Kalb aufpäppeln.

Immer wieder kommen Leute auf den Hof und zeigen ihren Kindern die Tiere. „Landwirte haben grundsätzlich ein positives Image“, empfindet Julia Paas. Was sie beobachtet hat: „Immer weniger Leute kennen die Hintergründe.“ Früher habe es oft Kundschaft gegeben, die sagte: Die Oma hatte noch zwei Kühe, jetzt hätten Leute Instagram-Bilder im Kopf. „Eigentlich müsste Landwirtschaft Schulfach werden“, findet sie, jetzt, wo es keine Wissens-Vermittlung zu dem Thema mehr durch Familien gibt. Bis es jemals so weit sein sollte, führen sie regelmäßig Schulklassen über den Hof.

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Frische Eier gibt's außerdem dazu.

Das Leben hat seinen Preis: Um 6.30 Uhr steht das Ehepaar jeden Tag auf, um die Kühe zu melken. Mal ein Wochenende oder fünf Tage wegfahren ist drin, aber „keine drei Wochen am Stück“, sagt Julia Paas, und es sei auch immer mit Organisationsaufwand verbunden, ein kleines Team fängt das auf. Relativ klar ist auch, dass die zwei Kinder den Betrieb nicht übernehmen werden. „Wir werden die letzten sein, die Kühe melken.“ Ihre Tochter plant, auf dem Hof zu leben, aber voraussichtlich nicht als Landwirtin, sie absolviere zurzeit eine Ausbildung zur Erlebnispädagogin.

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Die Kühe sind bei Weitem nicht das einzige Standbein des Sieferhof, einige Meter vom Haupthaus entfernt gurren und picken knapp 600 Hühner. Einige hat der Habicht schon geholt. Immerhin lässt sich der Fuchs vom Elektrozaun abschrecken. Auf einem Teil des Geländes stehen Mietpferde, ein Teil der Stallungen wird im Sommer zu einer Hochzeitsscheune umgewandelt. „Für 2022 sind wir schon ausgebucht“, sagt Julia Paas, viele hätten in den vergangenen zwei Jahren wegen Corona die Festlichkeiten verschoben.

Weitere Projekte

Langweilig wird ihr so schnell nicht: Zusätzlich zu den Kühen und Hühnern hält sie auf dem Areal Bienen und züchtet alte Obstsorten. „Es ist viel Abwechslung dabei“, freut sich die 56-Jährige, man kann immer wieder neu überlegen, wo es langgehen soll. „Wir hätten früher auch nicht gedacht, dass wir so viel Spaß an Legehennen haben.“

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Im Hintergrund das Solardach. Das Ehepaar Paas produziert doppelt so viel Strom, wie es verbraucht. Der Strom wird eingespeist. Die gestiegenen Energiepreise merken sie deutlich.

Neuestes Projekt war der Milch- und Eierautomat auf dem Hofgelände, an dem man sich seine frische Biomilch selber zapfen kann. Und auch die Feldränder würde Julia Paas gerne in den Fokus nehmen, mehr Gehölze anpflanzen. Durch die Bioumstellung hätten sie „einen viel ganzheitlicheren, komplexeren Blick“ auf ihr Stück Land als früher.