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GeflüchteteWenn alle Stricke reißen, kommt das Camp in der Leichlinger Tennishalle

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Mitarbeiter des Bauhofs 2015 beim Bettenbauim Camp im früheren Aldi-Markt an der Brückenstraße.

Müssen bald wieder Notbetten aufgebaut werden wie 2015 im Camp im früheren Aldi-Markt an der Brückenstraße?

Die Zahl der Geflüchteten, die in Leichlingen Schutz vor Krieg und Not suchen, ist auf mehr als 600 gestiegen. Die Stadt will ein Haus kaufen. 

Lagerähnliche Zustände wie im früheren Aldi-Markt an der Oberen Brückenstraße, den die Stadt 2015/16 in Zeiten höchster Not als Erstaufnahme-Einrichtung angemietet hatte, möchte das Sozialamt gerne nicht noch einmal erleben. Aber wie lange es noch zu vermeiden ist, erneut eine durch Sicherheitsdienste bewachte und von Caterern mit Essen belieferte Massenunterkunft einzurichten, weiß man im Rathaus nicht. Denn der Zuzug von Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen hält an und erreicht ständig neue Höchstwerte.

Nach der neuesten Statistik aus dem Rathaus sind derzeit 612 Personen aus 26 Ländern in Leichlingen untergebracht, so viele wie noch nie. Unter ihnen sind 329 Menschen, die bei uns vor den Bomben in der Ukraine Schutz suchen. Ende Januar war beim vorherigen Statusbericht der neue Höchststand mit 551 gemeldet worden. Zum Vergleich: Im Krisenjahr 2016, als das vom Roten Kreuz betreute Camp im leerstehenden Aldi-Supermarkt belegt war, gab es in der Spitze 302 Migrantinnen und Migranten, die versorgt werden mussten.

Noch ist es den Ämtern gelungen, alle Angekommenen in städtischen Heimen, Häusern und Wohnungen sowie 123 Personen in zehn angemieteten Immobilien unterzubringen. Aber es werden immer mehr. Alle verfügbaren Kapazitäten sind ausgeschöpft. Und die beengten Wohnverhältnisse bergen allmählich dermaßen sozialen Zündstoff, dass die Stadt zu Notmaßnahmen greifen muss.

Die Tennishalle haben wir in der Schublade, wenn alles andere nicht mehr funktioniert.
Ingolf Bergerhoff, Fachbereichsleiter

Wie Fachbereichsleiter Ingolf Bergerhoff und Bürgermeister Frank Steffes jetzt in der Sitzung des Sozialausschusses erläuterten, kann man wohl nicht mehr lange auf die Inanspruchnahme der früheren Tennishalle in Bremsen verzichten. Den leerstehenden Teil der Gewerbehalle hatte die Stadt bereits 2022 für den Fall der Fälle angemietet. Und sie hält auch längst Betten bereit, um sie kurzfristig als Übergangsheim einrichten zu können. Dort würde dann – für etwa 50 Personen - ein ähnliches Camp entstehen wie vor acht Jahren an der Brückenstraße. „Die Tennishalle haben wir als Netz in der Schublade, wenn alles andere nicht mehr funktioniert“, sagte Bergerhoff.

Eine Alternative dazu sieht die Stadt aktuell noch im Erwerb eines größeren Gebäudes: Der Verwaltung ist laut Steffes ein Haus angeboten worden, das für diesen Zweck gemietet oder erworben werden könnte. In den nächsten Sitzungen von Haupt- und Finanzausschuss und Rat soll darüber nicht öffentlich informiert und rasch entschieden werden. „Wir glauben, dass ein Kauf wirtschaftlicher wäre“, deutete der Bürgermeister im Sozialausschuss an. Um welche Immobilie es sich handelt, wurde nicht gesagt. Nach wie vor ist die Stadt für Angebote von Wohnungseigentümern und Vermietern dankbar, die helfen können.

Laut Quote muss Leichlingen noch 93 Menschen mehr aufnehmen

Betrachtet man die weltweiten Krisenherde und den Kriegsverlauf in der Ukraine, ist nicht mit einer Entspannung der Lage zu rechnen. Laut dem offiziellen Zuweisungsschlüssel müsste Leichlingen bereits jetzt noch weitere 93 Personen aufnehmen, weil die Stadt die Aufnahmequote erst zu 76 Prozent erfüllt hat. „Wir rechnen mit einem stetigen Zuwachs“, stellt sich Bürgermeister Steffes auf so bald nicht endende Herausforderungen und Konflikte ein.

Und tatsächlich stehen jede Woche weitere Menschen vor der Rathaustüre. „Es kann morgens der Anruf kommen, dass gleich zwölf afghanische Ortskräfte ankommen“, beschrieb Bergerhoff die Dynamik der Lage: „Das hat natürlich Auswirkungen auf die Mitarbeitenden, auf die Qualität der Betreuung und auf die finanzielle Situation.“ Aufsuchende soziale Arbeit sei kaum noch zu leisten. „Durch die hohe Fallbelastung beschränkt sich die individuelle Betreuung der Geflüchteten auf eine Krisenintervention“, bekennt das Sozialamt. Berichtet wird über zunehmenden Streit in den Unterkünften und Beschwerden von Asylbewerbern aus anderen Ländern über empfundene Benachteiligungen gegenüber Ukrainerinnen und Ukrainer.

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