Nach Explosion in LeverkusenUmweltministerin will Currenta besser kontrollieren

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Die Explosion, vor allem aber ihre bisherige Aufarbeitung, hat dem Chempark-Betreiber Currenta einen extremen Vertrauensverlust in der Bevölkerung beschert.

Leverkusen – Strengere Verordnungen und strengere Kontrollen für Giftmüllöfen kann sich die Umweltministerin des Landes vorstellen. „Wir müssen uns anschauen, ob Veränderungen nötig sind“, sagte Ursula Heinen-Esser (CDU) am Donnerstagabend im Rahmen einer Diskussion im „Scala“, die der WDR organisiert hatte und die im Radio direkt übertragen wurde. Es war die dritte – aber auch die erste, an der mit Chempark-Chef Lars Friedrich ein Verantwortlicher von Currenta teilnahm. Es ging um die Explosion am 27. Juli und welche Lehren aus der Katastrophe zu ziehen sind, bei der sieben Menschen ums Leben kamen, 31 verletzt wurden und über die Umweltschäden immer noch sehr große Unsicherheit herrscht. Dies zeigte jede der Äußerungen aus dem Publikum. Ebenfalls sehr deutlich wurde, dass Currenta viel Vertrauen verspielt hat, weil die Betreiber der Bürriger Anlage immer noch sehr viele Fragen unbeantwortet lassen.

Was Currenta sagt - und was nicht

Auch die Medien werden von Currenta mit größter Vorsicht informiert. Seit der Explosion werden selbst Fragen, die nicht direkt mit der Katastrophe zusammenhängen, sehr zögerlich beantwortet. Die Sprecher des Unternehmens verweisen in jedem Fall auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die vorherige Absprachen erfordere.

Erstes Beispiel: Wo wird nach der Havarie in Bürrig Chemiemüll verbrannt? Es interessieren auch Anlagen, die nicht von Currenta betrieben werden. Antwort: „Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Kunden und externen Partnern, um den Ausfall unserer Verbrennungsanlage durch unser Entsorgungsnetzwerk zu kompensieren. Auch unsere Rückstandsverbrennungsanlage in Dormagen spielt dabei eine Rolle.“

Zweites Beispiel: Um welche Tonnage auf welche Kapazität wurde die Anlage 2012 erweitert? Antwort: „2012 wurde die Kapazität im Zuge des Genehmigungsverfahrens auf 264.000 Tonnen/Jahr in der Verbrennung festgelegt.“ (tk)

„Wir glauben Ihnen in Summe kein Wort mehr“, wandte sich Peter Odenthal an Chempark-Chef Lars Friedrich. Ein Vorwurf mit ganz besonderem Gewicht: Odenthal hat sein Berufsleben in der damaligen Bayer-Umweltanalytik verbracht, ist also vom Fach. Kurz nach der Explosion und dem Großbrand seien rund um sein Haus Partikel und Tropfen niedergegangen, „meine Haut hat gebrannt“, berichtete er vom Unglückstag. Wie er dann säuberlich Proben nahm, hatte er am Tag nach dem Unglück dem „Leverkusener Anzeiger“ erzählt. Und dass sein Vorstoß beim Leiter der Currenta-Analytik folgenlos blieb: „Es ist keiner gekommen“, wiederholte Odenthal am Donnerstagabend.

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Der pensionierte Bayer-Umweltexperte Peter Odenthal hatte Proben gesammelt. Currenta wollte sie nicht haben, sagt er.

Wie groß die Zweifel an der Entwarnung sind, die ein paar Tage nach der Explosion – und drei Proben – vom Landesamt für Umwelt und Verbraucherschutz gegeben wurde, zeigte sich in der Diskussion ebenfalls. Die Reaktion der Umweltministerin war eindeutig: „Ich würde dem Lanuv immer empfehlen, möglichst viele Proben zu nehmen. Dem Chemiker reichen vielleicht drei Proben – der Bevölkerung reichen sie nicht.“

Keine Infos in den Akten

Dies gilt erst recht, nachdem Greenpeace in eigenen Proben das Seveso-Gift Dioxin nachgewiesen hatte. Das sei „immer ein Problem“, unterstrich Dieter Donner vom Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland: „Es gibt dafür keine Grenzwerte.“ Seine Organisation habe inzwischen die Prüfprotokolle von 2014, 2016 und 2018 eingesehen – ohne Erkenntnisgewinn: „Da steht drin: Alles in Ordnung.“

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Die Rolle der Bezirksregierung Köln bei der Überwachung der Jahrzehnte alten Anlage war ein weiteres großes Thema in der Diskussion. Dass sie das Prüf-Intervall von zwei auf drei Jahre verlängert hatte, weil die Currenta-Anlage immer unauffällig war, kommentierte die Umweltministerin nicht, erwähnte es aber ausdrücklich. Klar sei, dass die von Lars Friedrich angekündigte Wiederinbetriebnahme des havarierten Ofens „sehr, sehr eng begleitet“ werde. So schnell sei aber nicht daran zu denken, unterstrich Heinen-Esser: Denn solange die Ursache der größten Chemie-Katastrophe nach dem Krieg nicht geklärt sei, könne nichts in dieser Richtung geschehen, so die Umweltministerin.

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Moderator Ralph Erdenberger mit Chempark-Chef Lars Friedrich und BUND-Aktivist Dieter Donner (von links)

Davor hatte Lars Friedrich für Alarmstimmung im Publikum gesorgt: „Wir wollen die Anlage in den Winterschlaf schicken und langfristig wieder in Betrieb nehmen.“ Vorher, das unterstrich Benedikt Rees (Klimaliste), müsse es ein komplettes neues Genehmigungsverfahren für die Sondermüll-Verbrennungsanlage in Bürrig geben. Die Reaktion der Umweltministerin auf diese dringliche Forderung: „Das kann ich absolut nachvollziehen.“

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