Explosion in LeverkusenKatastrophenstoff ist vorher nie in Bürrig verbrannt worden

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Der Chemiemüll, der am 27. Juli in Bürrig explodiert ist, wurde offenbar zum ersten Mal angeliefert. 

Leverkusen – Es war wohl nur eine Lieferung, die zur Katastrophe führte – und sie wurde offenbar zum ersten Mal zur Verbrennung nach Bürrig gebracht. So hat man in der Bürgerliste Chempark-Chef Lars Friedrich verstanden, der am Dienstagabend die Fraktion in ihrem Büro besuchte. Nachdem Currentas Technik-Chef Hans Gennen seine Teilnahme an der Ratssitzung vor einer Woche aufgrund eines Trauerfalls kurzfristig abgesagt und der Chempark-Betreiber zur Enttäuschung einiger Politiker auch keinen Ersatz geschickt hatte, tingelt Friedrich nun durch die Fraktionen. Rund zwei Stunden habe das Gespräch gedauert, so Erhard Schoofs in einer Notiz, die er am Donnerstag öffentlich machte.

Es habe einige interessante Erkenntnisse vermittelt, obwohl der Chempark-Chef mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in sieben Fällen hier und da habe schweigen müssen, so der Fraktionschef der Bürgerliste. Neben der Neuigkeit, dass am 27. Juli keineswegs ein Gemisch aus verschiedenen Anlieferungen im Tank 3 explodiert war, habe Friedrich auch genauere Angaben zu den Stunden vor der Explosion um 9.37 Uhr gemacht. Den neuerdings von Currenta eingeräumten Temperatur- und Druckanstieg im Tank 3 habe man schon ab etwa 5 Uhr bemerkt, die Werkfeuerwehr aber nicht benachrichtigt. Die habe bei dem späteren Brandeinsatz auch das Kommando gehabt.

Mehrere Proben gezogen

Die Anlieferung des neuen Chemiemülls sei ausführlich beprobt worden – auch am Tor der Bürriger Anlage. Der Stoff falle in der Chemischen Industrie weiterhin an und werde nun anderweitig entsorgt. Details habe Friedrich aber nicht genannt.

Zu den Stromleitungen über der Sondermüll-Verbrennungsanlage habe der Chef des Chempark diese Auskunft gegeben: Sie seien in den 60er-Jahren mit dem Bau der Anlage genehmigt worden. Eine Verlegung sei nicht erforderlich, obwohl es inzwischen Richtlinien gibt, die Hochspannungsleitungen über Störfall-Betrieben als gefährlich einstufen und ausschließen: Für die Anlagen gebe es Bestandsschutz. Dass die 110-Kilovolt-Leitung die Löscharbeiten rund zwei Stunden behinderte, weil sie einen Erdschluss hatte und die Feuerwehren nur von Westen aus gegen den durch die Explosion ausgelösten Großbrand vorgehen konnten, habe Friedrich bestätigt. Hermann Greven, Chef der städtischen Feuerwehr, hatte sich im Stadtrat ähnlich geäußert. Eine Aussage, wie viel schneller der Brand hätte bekämpft werden können, wenn die gefährliche Leitung nicht im Weg gewesen wäre, war Greven allerdings nicht zu entlocken.

Rettungskräfte mit Chemikalien belastet

Unterdessen hat Currenta neue Daten veröffentlicht. Sie zeigen, dass etliche der 460 Rettungskräfte vom 27. Juli bedenklichen Chemikalien-Konzentrationen ausgesetzt waren. Von allen habe man Blut- und Urinproben genommen. Anschließend seien rund 23.000 Untersuchungen angestellt worden. Resultat: 55 Personen hätten Konzentrationen nahe oder oberhalb der zulässigen arbeitsmedizinischen Grenzwerte aufgewiesen.

In vier Proben seien Konzentrationen des Lösungsmittels Aceton nachgewiesen worden. 13 Proben hätten Kresolwerte im Warnbereich oder darüber aufgewiesen. Das bedeute: Der kritische Grenzwert wurde zu mindestens 75 Prozent erreicht. Die Lösungsmittel 1-Propanol und 2-Propanol seien ebenfalls in 13 Proben gefunden worden, zwölf hätten Konzentrationen von PAKs im Warnbereich oder darüber enthalten. Bei 18 Proben seien Benzol-Konzentrationen festgestellt worden. Der Stoff ist auf die Dauer krebserregend.

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Prof. Hans Drexler, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, habe die Befunde so eingeordnet: „Im Vergleich zu am Arbeitsplatz üblicherweise vorliegenden Belastungen sind die gefunden Werte natürlich hoch. Da es sich aber um ein einmaliges Ereignis gehandelt hat, sind die Befunde anders zu bewerten.“ Schließlich basierten die vom Ausschuss für Gefahrstoffe erarbeiteten Grenzwerte auf einer dauerhaften Belastung über das gesamte Arbeitsleben. Im Vergleich dazu sei die nun festgestellte Belastung „sehr gering“. Weitere Untersuchungen seien angeboten worden.

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