Die European Open bieten ein ganzes Wochenende Spaß und eine Überraschung: Der deutsche Profi Ricardo Pietreczko bezwingt mit Peter Wright eine Legende.
European OpenIn Leverkusen gelingt eine Darts-Sensation

Die Sensation bei den European Open in Leverkusen: Darts-Superstar Peter Wright scheitert in der zweiten Runde am jungen Berliner Dartsprofi Ricardo Pietreczko.
Copyright: Julia Hahn-Klose
Der Dartpfeil landet in der Doppelacht, und die Ostermann-Arena ist nicht mehr zu halten. Der Deutsche Dartsprofi Ricardo Pietreczko hat für die Sensation des Tages gesorgt, er hat die Legende Peter Wright bezwungen. Das Publikum springt auf die Tische und schreit: „Pikachu, Pikachu!“ Das ist der Spitzname des 28-jährigen Berliners.
Die Leute sind verrückt kostümiert, grölen irrsinnige Sprechgesänge. Und der Boden unter ihnen klebt bedenklich: So läuft der Abend bei den European Darts Open in Leverkusen. Das Publikum des Turniers in der Ostermann-Arena macht dem der Fußballspiele im benachbarten Stadion durchaus Konkurrenz. Es wird Bier in rauen Mengen getrunken und die Emotionen kochen ähnlich hoch. Die Szene nach dem unerwarteten Sieg von „Pikachu“ über den Weltranglisten-Zweiten war der Höhepunkt des Samstagabends. Der Berliner schreit noch immer ungläubig in Richtung Publikum und ballt siegesgewiss die Fäuste.
Dabei ist Wright eigentlich sehr beliebt bei den Fans. Seine bunten, zum Mohawk gegelten Haare und flippigen Klamotten kopieren viele Besucher. „Du hast die Haare schön“, singen sie in einem großen Chor zum Auftakt seines Spiels. Während viele Spieler sich mental völlig auf den Wettbewerb konzentrieren, macht Wright Späße mit dem Publikum, teilt seine Emotionen mit den Kameras. Auch die PDC (Professional Darts Corporation) schätzt sein extrovertiertes Bühnentalent.

Die Show fängt schon beim Gang auf die Bühne an.
Copyright: Julia Hahn-Klose
Für die Premier League mit Spielen in Großbritannien, den Niederlanden und seit 2018 auch in Deutschland vergibt die PDC zu den vier gesetzten Spielern, die sich aus den ersten Plätzen der Weltrangliste „Order of Merit“ ergeben, vier Wildcards nach eigenem Ermessen. Da kann es helfen, Entertainer zu sein. Neben Sport zählt auch ein wenig Show, die PDC ist ein Wirtschaftsunternehmen, kein Sportverein. Für das Turnier in Leverkusen qualifizierten sich über Vor-Turniere 32 Teilnehmer, die am Freitag in der ersten Runde um ihr Weiterkommen spielten, darunter auch Pietreczko.
Ich schaue Darts auch im Fernsehen, aber nur hier kannst du die Atmosphäre richtig erleben.
Erst in der zweiten Runde am Samstag stiegen die Stars Smith, Wright und Co. ins Turnier ein, die besten 16 der PDC Pro Tour-Rangliste waren automatisch gesetzt, um gegen die Gewinner der ersten Runde anzutreten. Meistens gewinnen die Weltranglistenführer. Aber eben nicht immer: „Oh wie ist das schön“, tönt es am Ende des Spiels zwischen dem stattlichen Showmaster und dem zierlichen „Pikachu“ minutenlang durch die Arena, aus Freude für Pietreczko.
Für den amtierenden Weltmeister Michael Smith drängen sich die Fans dicht an den „Walk“, den Gang, den die Spieler theatralisch zu ihren Signatur-Songs auf die Bühne nehmen. Er tritt gegen René Eidams aus Hagen an. Und wieder zeigt sich: Die Herzen des Publikums erobern doch die deutschen Spieler. Ihm gelingt, wenn auch kurzzeitig, ein Punktevorsprung zu Smith – und das Publikum ist plötzlich weniger am Weltmeister als an „The Cube“ interessiert.

Weltmeister Michael Smith gibt den Fans in Leverkusen Autogramme.
Copyright: Julia Hahn-Klose
Aus der ersten Reihe feuert Marina Wildenhoff „den René“ an, wie sie ihn nennt: „Du schaffst das!“ Die Wuppertalerin erzählt stolz: „Ich habe sogar schon gegen ihn gespielt.“ Sie ist in der Stadtliga für den Hobby-Verein mit dem humorvollen Namen „Dynamo Tresen“ unterwegs und verfolgt mit ihren Söhnen das Leverkusener Open. Das Turnier von Freitagmittag bis Sonntagnacht, wenn um 23 Uhr das Finale ausgetragen wird, zieht Besucher aus einem großen Radius um Leverkusen an.

Es geht nichts über ein Live-Turnier. Lucas Breimhorst ist mit seinen Freunden aus Osnabrück angereist.
Copyright: Julia Hahn-Klose
Aus Osnabrück ist Lucas Breimhorst mit acht Freunden gekommen, sie haben sich extra für das Dartsturnier Hotelzimmer genommen. Die Männer sitzen in knalligen blau-lila Trainingsanzügen im Stil der 80er an einem Tisch. Breimhorst sagt: „Ich schaue Darts auch im Fernsehen, aber nur hier kannst du die Atmosphäre richtig erleben.“ Er hält eines der gelben Poster der PDC mit der großen Zahl im Dartsport, der 180, in einer Hand auf dem Biertisch bereit. Der dreimalige Weltmeister Michael Van Gerwen steht jetzt auf der Bühne ... und wirft eine 180.
Der Caller schreit mit lang gezogener Sprachmelodie in sein Mikrofon: „Ooonehuuundredandeighty!“ Die 80er-Gang springt auf und reckt die Poster in die Luft. Darauf haben alle gewartet. Auf der Rückseite der Plakate ist Platz für eigene Grußbotschaften. Bei der Übertragung von Spielen schwenkt die Kamera einen großen Teil der Zeit durchs Publikum. Die feiernde Menge ist Teil des Sports. Eine Gruppe in Hawaii-Hemden versucht, ihre Poster ins Bild zu bekommen.

Nicole Melzer ist mit Familie und Freunden aus Witzhelden nach Leverkusen gekommen.
Copyright: Julia Hahn-Klose
Eine von ihnen ist Nicole Melzer aus Leichlingen-Witzhelden. Sie bezeichnet ihren Trupp aus Familie und Freunden als „Freizeit-Darter“. Aber sie haben sich einen Platz direkt neben dem „Walk“ erkämpft. „Wir wollen die Spieler live sehen“, sagt Melzer, „die Stimmung ist einfach grandios.“