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HauptversammlungBayers Aktionäre werden ungeduldig

Lesezeit 5 Minuten
Demonstranten vor der Bayer-Konzernzentrale während der Hauptversammlung am Freitag, 26. April 2024

Während der Hauptversammlung protestierten die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und weitere Aktivisten vor der Konzernzentrale.

Wird PCB das neue Glyphosat? In der Krise tauchen unter den Anteilseignern neue Fragen auf.

Lebhaften Gegenwind der Aktionäre gab es am Freitag für den Bayer-Vorstand. Die Krise, die sich in einem immer weiter nachgebenden Börsenkurs und künftig zusätzlich in einer historisch niedrigen Dividende von gerade noch elf Cent pro Aktie manifestiert, lässt den Ton rauer werden. Waren es früher Umweltschützer und Menschen, die sich als Opfer von Bayer-Produkten sehen, sind es längst Vertreter aus dem Finanzsektor, die Vorstand und Aufsichtsrat des Leverkusener Konzerns kritisieren. Das betrifft auch symbolische Fragen wie die Bezahlung des Vorstands. Wiederum gab es zu den entsprechenden Tagesordnungspunkten Gegenstimmen, wenn auch meist wenige: Fast 92 Prozent der Aktionäre entlasteten den Vorstand, knapp 94 Prozent den Aufsichtsrat, die Vergütung des Vorstands im vorigen Jahr fand allerdings nur gut 74 Prozent Zustimmung, das neue Bezahlsystem billigten aber 93 Prozent der Aktionäre.

In diesem Klima stellte der seit einem knappen Jahr amtierende Vorstandschef Bill Anderson recht präzise dar, wo es hakt im Konzern. Unter anderem an überbordender Bürokratie. Sie sei eine von „vier großen Baustellen“ bei Bayer. Damit ist sie offenbar genauso belastend wie die Glyphosat-Klagen, die das Unternehmen schon Milliarden für Vergleiche gekostet haben, die anstehenden Patent-Abläufe bei den Blockbuster-Arzneien wie Xarelto und ihr bisher nicht zu erkennender Ersatz. Denn auch an Perspektiven fehlt es in der Pharma-Sparte.

Drei Jahre, um Bayers Organisation zu reformieren

Es sei klar, dass man eine Organisation, die Ausdruck einer in mehr als 150 Jahren gewachsenen Unternehmenskultur ist, so schnell nicht umkrempeln kann. „Es wird keine schnelle Lösung innerhalb eines Jahres sein, und es wird schwierige Momente geben“, kündigte Anderson den Aktionären an, von denen viele auch derzeitige oder frühere Bayer-Beschäftigte sind. Das von ihm verordnete Prinzip sei „eine radikale Abkehr von der Art und Weise, wie die meisten Unternehmen – einschließlich Bayer – geführt werden.“ Für diesen Prozess veranschlagt der Vorstandsvorsitzende im Moment drei Jahre. Ingo Speich von Deka, dem Investmenthaus der Sparkassen, gefällt das nicht. Er hält die Arbeit an der internen Organisation für „Selbstbeschäftigung: Bayer brennt lichterloh, und Sie beginnen mit dem Aufräumen, statt die Brände zu löschen“, ging er den Vorstand an.

Bayer brennt lichterloh, und Sie beginnen mit dem Aufräumen, statt die Brände zu löschen
Ingo Speich, Deka-Bank, in Richtung des Bayer-CEO Bill Anderson

Anderson indes gab ein Beispiel, warum sich Bayer anders organisieren muss: „Trotz umfangreicher Analysen und Prognosen von qualifizierten Menschen auf verschiedenen Ebenen des Organigramms hatten wir die Entwicklung der Glyphosatpreise nicht richtig vorhergesagt und haben unsere Ziele verfehlt.“ So etwas findet Anderson „enttäuschend und entspricht nicht unserem eigenen Anspruch“.

Bayer „ist im Kern gesund“

„Das Unternehmen ist im Kern gesund.“ Aber die durch Monsanto zugekauften juristischen Probleme liegen Anderson offenbar schwer im Magen: „Zu viel ist noch ungelöst“, und das nach Jahren voller Rechtsstreite. Deren Kosten haben den Cashflow bei Bayer deutlich reduziert – auf ein Maß, das Anderson „enttäuschend“ nannte.

Ermutigend seien zwei Projekte, die Bayer auch ohne neue Arzneien voran bringen: Das Multivitamin-Präparat, das in den USA unter dem Namen „One-a-Day“ vermarktet wird, gibt es jetzt in einer neuen Formulierung. Es soll Paare mit Kinderwunsch ansprechen. Anderson hob das Tempo hervor, in der das Projekt umgesetzt wurde: „ein Jahr früher als geplant“.

Auch die neue Formulierung des Augenpräparats Eylea – acht Milligramm Wirkstoff statt der bisher üblichen zwei – sei ein Wurf. Auch dieses Team habe nach den neuen DSO-Prinzipen gearbeitet, mit denen auch das gesamte Agrochemie-Geschäft „vom Kopf auf die Füße gestellt“ werden soll.

Der Anderson-Effekt ist „verpufft“

Janne Werning, Manager von Union Investment und somit Vertreter von rund 5,8 Millionen Anlegern, verlangte von Anderson Lösungen für die „geerbten Probleme“. In den Augen des Fondsmanagers reicht das, was der Vorstandschef bisher angekündigt hat, nicht aus. Das zeige sich am Echo der Anleger auf seine Auftritte. Die Wirkung sei „verpufft“.

Das Format einer virtuellen Hauptversammlung gefällt Werning, wie vielen anderen Aktionären, auch nicht: Anderson vertue eine Chance, wenn er sich den Aktionären nicht persönlich stellt. Die Teilnehmerzahl stützt die Kritik an einer virtuellen Zusammenkunft. Nur rund 450 Aktionäre hätten sich eingewählt, berichtete Aufsichtsratschef Norbert Winkeljohann auf Nachfrage. Davon seien 20 aus dem Ausland. Die Zahl der Zuschauer schätzte ein Bayer-Sprecher indes auf rund 5000 Personen.

Blick auf den Platz vor der Bayer-Konzernzentrale mit Protestierenden

Der Platz vor W 11 während der Hauptversammlung

„Wann kommt die Performance zurück?“ Diese Frage ist nach Auffassung von Marc Tüngler der Kern. Der Vertreter der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz eröffnete einmal mehr den Reigen der Redner und Fragesteller. Mit Blick auf den Erfolg von Bayer 04 sagte er: „Wie gern würden wir über Fußball reden.“ Die Bayer AG kann da nicht mithalten: Der Aktienkurs ist im vorigen Jahr um 55 Prozent gefallen, während der Dax um zwölf Prozent zulegte.

Wann kommt die Performance zurück?
Marc Tüngler, Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz

Immerhin: Keines der Vorstandsmitglieder der AG sei an der Übernahme von Monsanto beteiligt gewesen, alle seien „unbelastet“, sagte Tüngler. Damit ließ der Aktionärsschützer durchblicken, was Auslöser für die beispiellose Krise des Konzerns ist, die nun schon so lange dauert. Als Anteilseigner sei man längst „ungeduldig“ – trotzdem sei einzusehen, dass Anderson und die Führung weitere Zeit brauchen für die Sanierung. Dass der Gewinn des vorigen Jahres in den Abbau der sehr hohen Schulden fließt und kaum etwas an die Aktionäre ausgeschüttet wird, findet Tüngler „schmerzhaft, aber wir können das nachvollziehen“.

Wird PCB das neue Glyphosat?

Erklärungsbedürftig ist mehr und mehr das Thema PCB. Könnte das ein zweites Glyphosat werden hinsichtlich der Klagen, ein „toxisches Gebräu“, wie es Ingo Speich von Deka nannte? Im Vorstand sieht man die Gefahr nicht. Finanzvorstand Wolfgang Nickl erinnerte an Haftungsausschlüsse, die Monsanto mit Unternehmen vereinbart hatte, die PCB verwendeten. Die werde man juristisch verteidigen. Weitere Milliarden-Risiken sieht der Bayer-Vorstand bei PCB nicht.

PCB, aber eben auch Glyphosat und die mutmaßliche Wirkung von Bayer-Produkten auf die Artenvielfalt sind aus der Perspektive von Fondsmanager Werning inzwischen echte Investitionshindernisse. Aktienfonds, bei denen Nachhaltigkeit Priorität hat, ließen das Papier links liegen. Auch das sei nicht gut für den Kurs.

Immerhin: Im Juni will Bayer einen neuen Klimabericht vorlegen. Was die Nachhaltigkeit der Produktion angeht, ist der Konzern sehr weit vorn. Daran hat natürlich die Abspaltung der Chemie- und Kunststoff-Produktion in Deutschland einen erheblichen Anteil: Lanxess und Covestro haben viel mehr Mühe, ihre Emissionen zu senken.