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„Start“-Festival in Leverkusen„Publikum wird ganz direkt in Anne Franks Welt hineingenommen“

Lesezeit 4 Minuten
Allein auf der Bühne, ganz nah an Anne Frank: Die britische Mezzosopranistin Olivia Warburton singt gegen das Vergessen.

Allein auf der Bühne, ganz nah an Anne Frank: Die britische Mezzosopranistin Olivia Warburton singt gegen das Vergessen.

Die Mezzosopranistin Olivia Warburton steht in der Oper „Das Tagebuch der Anne Frank allein auf der Bühne des Erholungshauses.

Die Mezzosopranistin Olivia Warburton steht bei „Das Tagebuch der Anne Frank“ ganz allein auf der Erholungshausbühne: In der besonderen Inszenierung als „Graphic Opera“ verschmilzt Musik mit Projektionen, Klappbildern, Raum und Erzählung. Kurz vor der Aufführung beim „Start“-Festival spricht Warburton in der Umkleide über die Verantwortung, die Kunstform – und die erstaunliche Nähe, die dabei entsteht.

Wer sind Sie, Olivia Warburton – als Mensch und als Künstlerin?

Ich komme aus einer kleinen Stadt in England. Dieses starke Gemeinschaftsgefühl, mit dem ich dort aufgewachsen bin, prägt mich bis heute. Es ist mir wichtig – sowohl im Leben als auch auf der Bühne.

Was unterscheidet die Rolle von anderen Opernrollen, die Sie bisher hatten?

Oft ist Oper ein riesiges Zusammenspiel aus Musik, Gesang, Kostümen, Bühnenbild – Kunst im großen Format. Dieses Stück hingegen ist ganz intim: ein Ein-Personen-Stück, in dem ich allein auf der Bühne stehe. Das Publikum wird ganz direkt in Anne Franks Welt hineingenommen, in ihre Fantasie und ihren Rückzugsort. Das ist besonders – und besonders bewegend.

Wie nähern Sie sich einer Figur wie Anne Frank – einer realen Person mit einer so schweren Geschichte?

Ich kannte das Tagebuch schon aus der Schulzeit. Doch als ich es nun zur Vorbereitung erneut gelesen habe, fiel mir etwas auf, das mir als Jugendliche nicht so klar war: wie viel Licht in ihrer Sprache steckt. Trotz aller Dunkelheit war sie so neugierig, verspielt, witzig. Sie war einfach auch ein Teenager. Ich habe versucht, auch meine eigene Jugendzeit wiederzuentdecken, um diese Leichtigkeit und das Menschliche in ihr zu verstehen und auf die Bühne zu bringen.

Wie gehen Sie mit der Verantwortung um, ihre Geschichte zu erzählen – durch Ihre Stimme, Ihre Präsenz?

Es ist eine große Verantwortung – und ein Privileg. Was mich besonders bewegt, ist ihre Entwicklung: Man sieht, wie sie als Mädchen zu schreiben beginnt, und wie ihre Sprache dann immer reifer, poetischer, tiefgründiger wird. In einer der letzten Passagen schreibt sie: „Solange es das noch gibt, diesen Sonnenschein, diese vortreffliche Erde, darf ich nicht traurig sein.“ Dass ein 14-jähriges Mädchen in so einer Situation solche Worte findet – das geht mir jedes Mal unter die Haut, wenn ich es singe.

War Anne Frank ein Thema in Ihrer Schulzeit in Großbritannien?

Ja, wir haben uns im Geschichtsunterricht damit beschäftigt. Ich erinnere mich nicht an jedes Detail, aber ich bin sicher, dass sie Teil unseres Unterrichts war. Als junger Mensch in Europa kommt man an diesem Thema nicht vorbei.

Sie erzählen diese Geschichte als britische Künstlerin – auf einer deutschen Bühne, 80 Jahre nach Kriegsende. Was bedeutet Ihnen das?

Es ist ein sensibles Thema – vor allem in der heutigen Zeit, in der Krieg und Gewalt leider wieder Teil der europäischen Realität sind. Zugleich leben wir in einer Phase, in der es immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gibt. Das macht es umso dringlicher, diese Geschichten weiterzugeben – aber auch anspruchsvoller. Als Künstlerin muss ich lernen, eine gewisse Distanz zu halten, um emotional nicht überrollt zu werden, aber ich bin mir der Verantwortung bewusst.

Gab es während der Proben oder Aufführungen Momente, in denen Anne Frank Ihnen besonders nah war?

Oh ja – das passiert fast jedes Mal. Es gibt Passagen, in denen die Emotionen so stark sind, dass man aufpassen muss, nicht zu tief einzutauchen. Es ist ein Balanceakt zwischen Nähe und professioneller Distanz.

Wie verändert das Bühnenbild Ihre Darstellung?

Die Oper besteht aus 21 Szenen aus Annes Tagebuch – beginnend mit ihrem Geburtstag, als sie das Tagebuch geschenkt bekommt. Die Bühne ist wie ein Pop-up-Buch, das sich mit der Erzählung entfaltet: Erst sehen wir Amsterdam, dann das Versteck, dann ihr Zimmer. Video, Musik, gesprochene Texte, Hitlers Stimme – all das hilft, ihre Welt greifbar zu machen. Es ist fast mehr ein Musiktheaterstück als eine klassische Oper. Und gerade das macht es so besonders.

Besonders Jugendliche tun sich mit klassischer Oper oft mal schwerer. Erreicht diese Form ein junges Publikum besser?

Ich denke schon. Anfangs sind sie vielleicht noch unruhig – aber gegen Ende spürt man oft: sie sind dabei. Diese Mischung aus Musik, Text, Projektion zieht sie hinein. Und ich glaube, viele erkennen sich in Anne Franks Alltagsthemen des Erwachsenwerdens wieder – auch wenn es schwerfällt, das zuzugeben.

Was kann Anne Frank jungen Menschen heute sagen?

Ich glaube, ihr größtes Vermächtnis ist ihre Hoffnung. Diese Lebensfreude, dieser Optimismus – trotz allem. Und: Sie hat alles aufgeschrieben. Ihre Gedanken, ihre Fragen, ihre Unsicherheiten. Gerade für Teenager ist das wertvoll – sich selbst in ihren Worten wiederzufinden.

Wie erleben Sie Grigori Frids Musik? Gibt es Stellen, die Sie besonders tief berühren?

Die Musik ist abwechslungsreich – mal leise und zart, dann wieder dramatisch. Eine Szene berührt mich besonders: Anne erzählt von einem Traum, in dem ihr eine Freundin erscheint, die von der „Schutzstaffel“ verschleppt wurde. Die Musik steigert sich da ganz allmählich – bis zu einem Punkt, an dem ich fast schreie. Das lässt einen nicht los.

Was kann Musik ausdrücken, was Worte nicht können – besonders bei einem Thema wie diesem?

Musik erreicht Ebenen, für die Sprache nicht reicht. Sie übersetzt Gefühle in Klang – Schmerz, Angst, Hoffnung, Sehnsucht. Gerade in einer Geschichte wie dieser, in der Worte manchmal zu klein wirken, kann Musik das Unsagbare erfahrbar machen.

(Das Gespräch wurde aus dem Englischen übersetzt.)


Familientag

Am 30. Mai ist von 10 bis 16 Uhr noch ein letzter Familientag der Ausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte.“ im Erholungshaus, Nobelstraße 37, 51373 Leverkusen. Führungen starten um elf und 14 Uhr. Der Besuch ist kostenfrei und es ist keine Anmeldung erforderlich.