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„Start“-Festival in LeverkusenDie Stimme des Dazwischen von Dafné Kritharas

Lesezeit 2 Minuten
Eine Sängerin auf der Bühne

Dafné Kritharas verbindet in ihrer Musik jüdische, griechische, osmanische und französische Klangtraditionen zu einer eindringlichen Erzählung vom Leben zwischen den Kulturen.

Ein Abend zwischen Orient und Okzident, zwischen Erinnerung und Aufbruch: Dafné Kritharas verwebt musikalische Migrationsgeschichten zu einem Klangteppich voller Poesie.

Ihr Gesang ist ein lebendiger Beweis dafür, dass Exil auch Schönheit bedeuten kann: ein Laut, zunächst kaum mehr als ein gehauchter Hauch, dann plötzlich glasklar, kraftvoll, wie aus einer anderen Zeit. Dafné Kritharas erhebt ihre Stimme. Und mit ihr hebt ein klangliches Mosaik an, das Erinnerungen, Geschichten und Sehnsüchte miteinander verwebt. Kritharas, französisch-griechische Sängerin mit sephardischen Wurzeln, steht zwischen den Dingen – zwischen Sprachen, zwischen Jahrhunderten, zwischen geografischen wie emotionalen Welten. Man fühlt sich eingeladen, mitzuhören und mitzuempfinden.

Das Lied vom Dazwischen im Erholungshaus

Was an diesem Abend auffällt: Nichts an Kritharas' Musik ist museal oder angestaubt. Ihre Lieder, auch wenn sie teils Jahrhunderte alt sind, atmen. Sie erzählt sie nicht wie eine Historikerin, sondern wie eine Dichterin, die weiß: Vergangenheit ist kein fester Ort, sondern ein beweglicher Spiegel der Gegenwart.

Da erklingt ein sephardisches Wiegenlied in Ladino – einer Sprache, die einst durch Vertreibung über den Mittelmeerraum verstreut wurde und heute vom Verschwinden bedroht ist. Doch unter Kritharas’ Händen wird sie nicht zum Denkmal, sondern zum Gespräch. Zwischen ihr und dem Publikum entsteht ein stilles Einverständnis: Dass Erinnerung etwas ist, das wir nicht festhalten müssen, sondern zum Klingen bringen dürfen.

Kein Entweder-Oder zwischen Orient und Okzident beim „Start“-Festival

Die musikalische Reise führt mit Eigenkompositionen weiter nach Griechenland, in die Welt der Rebetika – jener städtischen Lieder der Entrechteten und Exilanten. Aber auch in die Türkei, auf den Balkan, in die armenischen Klangwelten. Kritharas verbindet sie mit einer Selbstverständlichkeit, als habe sie nie etwas anderes getan. Das liegt auch an ihrem exzellenten Quintett: Paul Barreyre an Gitarre, Bouzouki als Gesangsunterstützung, Pierre-Antoine Despatures am Kontrabass, Camille El Bacha am Klavier und Milàn Tabak am Schlagzeug. Hier entsteht ein Klangraum, in dem die Trennung zwischen Orient und Okzident aufgehoben wird. Gerade in dieser Durchlässigkeit liegt die berührende Kraft des Abends – weil sie zeigt, dass Identität nicht in Abgrenzung entsteht, sondern im Dialog.

Dafné Kritharas zeigt Schönheit der Vielstimmigkeit

Kritharas’ Stimme ist mal sanft, dann wieder wie mit Feuer gezeichnet. Jeder Ton ist ein Schritt über imaginäre Grenzen, jeder Vers ein Versuch, das, was verloren ging, neu zu denken – nicht rückwärtsgewandt, sondern mit leuchtender Gegenwart. Die Musik wirkt wie eine zarte Hand auf der Schulter. Es ist politisch, aber leise politisch. Kein Manifest. Kein Statement. Und doch: ein musikalisches Plädoyer für das Miteinander, das Ineinander der Kulturen. Eine Absage an Nationalismen und kulturelle Reinheitsfantasien. Dafür braucht sie keine großen Worte. Es genügt ein Lied in fünf Sprachen. Die Welt ist nicht zu vielstimmig. Sie ist noch nicht vielstimmig genug.