Fußball-WMDie meisten Leverkusener Kneipen können sich den Boykott nicht leisten

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Hagen Norhausen Leverkusen

Hagen Norhausen wird die WM-Spiele übertragen. Auf den Umsatz kann und will er nicht verzichten.

Leverkusen – Tausende Arbeiter sind beim Bau der Stadien für die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ums Leben gekommen, die Zahlen schwanken je nach Quelle zwischen 6500 und 15.000. Menschenrechte werden in dem Wüstenstaat mit Füßen getreten, wer homosexuell ist, wird jahrelang ins Gefängnis gesteckt. Für eine Reihe Kölner Kneipenwirte war das alles Grund genug, zu sagen: Wir zeigen die WM-Spiele nicht in unseren Kneipen. Eine Umfrage unter Leverkusener Wirten zeichnet ein ganz anderes Bild.

Bierbar Wiesdorf: „Natürlich zeigen wir die Spiele“

„Um Gottes willen, nein“, sagt Dawid Pietrzak von der Wiesdorfer Bierbar, als der „Leverkusener Anzeiger“ ihn am Telefon fragt, ob er Bedenken habe, die Spiele zu zeigen. „Natürlich zeigen wir sie.“

Wie Pietrzak reagieren viele Gastwirtinnen und Gastwirte in der Stadt. „Wir zeigen die Spiele“, sagt Elisabeth Schulz, Chefin der Telegraphen Klause in Schlebusch. „Was soll ich dazu sagen? Es wurde nun mal entschieden, dass die WM da stattfindet, da waren andere am Drücker. Wir sind doch froh, wenn überhaupt Leute kommen. Erst Corona, jetzt die steigenden Preise.“

Wiesdorfer Bierbar Kneipe

Dawid Pietrzak, Wirt der Wiesdorfer Bierbar, sieht keinen Grund, die Fußball-Weltmeisterschaft zu boykottieren.

Schnell wird klar: Die meisten Leverkusener Kneipen können sich einen Boykott überhaupt nicht leisten. Sie sind auf den Umsatz mit den Fußballfans angewiesen, um als Gastronomiebetriebe zu überleben. Amir Brisimovic, Geschäftsführer des Rheinischen Hofs in Rheindorf, sagt ganz pragmatisch: „Wenn alle boykottieren, dann mache ich es auch. Wenn alle die WM zeigen, dann zeige ich sie auch.“ Nach Corona sei sowieso schon alles schlecht, sagt Brisimovic.

Dehoga: WM-Boykott nicht Aufgabe der Gastronomen

Corona – das Wort ist zur Chiffre geworden für eine grauenvolle Zeit im Gastgewerbe. Für eine Zeit, in der Gäste nicht bewirtet, Getränke nicht ausgeschenkt, Essen nicht gekocht, Geld nicht verdient werden durfte. Über Monate. Mehrmals. Für eine Zeit, in der viele Angestellte aus der Branche geflüchtet sind – und nicht mehr wiederkommen werden. „Wir konnten doch gerade erst wieder ein bisschen aufatmen“, sagt Brisimovic.

„Es ist jetzt nicht die Aufgabe kleiner Gastronomen, die Fußball-WM zu boykottieren“, sagt Hagen Norhausen. Er ist nicht nur in fünfter Generation Wirt der Gaststätte Norhausen, sondern auch Kreisvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Leverkusen. Und spricht damit für das gesamte Gastgewerbe, wenn er sagt: „Es geht jetzt darum, Umsatz zu machen, der es uns erlaubt, weitermachen zu können.“

Treff Wiesdorf Kneipe (1)

Auch abseits der großen Turniere läuft im Wiesdorfer Treff Fußball.

Und klar, auch in seiner Rheindorfer Gaststube wird er den Fernseher für die Gäste anschalten, wenn es ab dem 20. November in Katar um den Weltmeistertitel geht. Ein Public Viewing im großen Saal sei jedoch unwahrscheinlich, sagt Norhausen. „Da spielen aber auch Energiepreise eine Rolle. Im Winter lohnt es sich nicht, den großen Saal zu heizen. Da ist es wichtiger, die Gaskosten zu sparen.“ Im kleineren oder größeren Rahmen werde in der Gaststätte Norhausen aber die deutsche Mannschaft angefeuert, vor allem, wenn die K.o.-Spiele erreicht werden. „Die Vorrundenspiele sind auch im Sommer nicht so gut besucht“, sagt Norhausen.

Gaststätte Norhausen: Gaspreis verdreifacht

Als er mit dem „Leverkusener Anzeiger“ spricht, ist Hagen Norhausen gerade von einem Dehoga-Termin zurückgekehrt. Da ging es um Energiepreise: „Für mich bedeutet das eine Verdreifachung meines aktuellen Gaspreises.“

Und dann kämen noch die „explodierenden Lebensmittelpreise“ hinzu: „Ich kann Weihnachtsfeiern gar keine richtigen Angebote machen. Eine Gänsekeule für 40 Euro zu verkaufen? Da sehe ich auch keinen Sinn drin.“ Hinzu kommt: Die Reservierungen bleiben in weiten Teilen aus, auch das ein branchenweites Problem. „Bei den Weihnachtsfeiern ist es sehr verhalten. Es sind Anfragen da, aber es bleibt auch dabei. Die Leute entscheiden alle sehr kurzfristig.“ Angesichts aller Unsicherheiten habe er dafür auch Verständnis.

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Hagen Norhausens Fazit klingt dramatisch: „Das fühlt sich alles noch schlimmer an als Corona.“ Wer sich dennoch entscheide, die WM-Spiele nicht zu übertragen, habe sein Verständnis, sagt er. „Wenn jemand das so für sich entscheidet, ist das doch in Ordnung.“

Doch es findet sich kaum jemand, auf den das zutrifft. Kosta Markidis, Wirt des Treff in der Wiesdorfer City, hat sich noch nicht entschieden, sagt er. „Wenn ich keinen Laden hätte, würde ich den Fernseher nicht anmachen. Aber wenn der Kunde das Spiel schauen will? Und in der Zeit ist auch direkt nebenan noch Weihnachtsmarkt, da ist viel Betrieb. Ich bin im Zwiespalt.“

Treff Wiesdorf Kneipe (2)

Treff-Wirt Kosta Markidis hat sich noch nicht endgültig entschieden, ob er die WM-Spiele zeigt.

Nur ein Wirt positioniert sich gegenüber der Redaktion unmissverständlich gegen die Weltmeisterschaft im Wüstenstaat Katar. „Ich boykottiere das“, sagt Andreas Berndt, Inhaber des Brauhaus Schlebusch an der Saarstraße: „Das passt nicht zur Weihnachtszeit ins Programm. Ich lebe mit einem Mann zusammen. Nein, das muss nicht sein.“

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