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ForumEine Auseinandersetzung mit Astrid Lindgrens Kindheit in Leverkusen

Lesezeit 3 Minuten
Schritte ins entschwundene Land der Kindheit von Astrid Lindgren macht das Landestheater Detmold.

Schritte ins entschwundene Land der Kindheit von Astrid Lindgren macht das Landestheater Detmold.

In „Astrid. Das entschwundene Land“ verschmelzen Erinnerung, Kindheitsutopie und literarischer Widerstand zu einer vielschichtigen Theatersprache.

Ein schmaler Pfad durch den Nebel der Vergangenheit: Auf der Forum-Bühne stehen Erinnerungen an eine Kindheit. Das, was Regisseurin Konstanze Kappenstein und das Ensemble des Landestheaters Detmold mit „Astrid. Das entschwundene Land“ auf die Bühne bringen, ist kein sentimentaler Rückblick, sondern eine künstlerisch eigenständige Auseinandersetzung mit dem autobiografischen Text der wohl berühmtesten Kinderbuchautorin: Astrid Lindgren.

Nicht Pippi, nicht Michel, nicht Ronja – sondern Astrid selbst steht im Mittelpunkt. Genauer: ihr inneres Kind, ihr literarisches Gedächtnis, ihre leise Wut und ihre große Zärtlichkeit. Wie kam sie zum Schreiben? Wie entstanden die berühmten Figuren? Drei Schauspielerinnen verkörpern sie in verschiedenen Lebensaltern – und doch ist da immer nur eine Stimme, die durch alle Zeiten spricht: eine, die erinnert, fragt, zweifelt und liebt. Und sich dann selbst umarmt.

Forum: Kindheit als Kontrapunkt zur Welt

Da ist ein bisschen Vila Kunterbunt auf der Bühne, ein bisschen von Michels Schnitzschuppen. Franz Dittrichs Szenografie schafft damit Räume, die offen bleiben. Kein pures Småland, sondern ein seelischer Landschaftsraum, durch den sich das Publikum tastet wie durch die Nebel eines „entschwundenen Landes“. Unterstützt wird das mit einer Live-Kamera auf der Bühne, deren Bild projiziert wird.

Lindgrens Kindheit wird kritisch lesbar gemacht. Die poetische Sprache der Vorlage bleibt erhalten, aber sie wird rhythmisiert und gebrochen. In choreografierten Szenen fügen sich Alltag, Natur, Glaube und Verlust zu einem erzählerischen Gewebe zusammen. Hier und da – ohne Pause – etwas in die Länge gezogen. Lindgrens Rückblick ist nicht harmlos. Die ländliche Idylle ist auch ein Ort der Begrenzung, der sozialen Normierung, des Schweigens. Die Erfahrung, ein uneheliches Kind geboren zu haben, bleibt ein leiser Schatten – aber er ist da. Da ist Distanz zu einem Jungen.

Den Anfang macht Lindgrens berühmter Rede „Niemals Gewalt“, die sie 1978 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hielt. Während sich einleitend im Saal das Licht dimmt, ertönt sie als Kontrapunkt zur erinnerten Welt wie eine Haltung. Lindgren schrieb nicht nur für Kinder, sondern gegen die Gewalt der Erwachsenenwelt. Wie ein mahnender Stein in ihrem Küchenregal. Ihre Kinderfiguren sind nicht nur verspielt – sie sind widerständig. Sie glauben an Gerechtigkeit, an Freundschaft, an die Möglichkeit einer besseren Welt. Kappenstein gelingt es, diese Haltung spürbar zu machen – in Blicken, Pausen, Stimmen. Neunzig Minuten für alle, die einmal Kinder waren. Wer jemals mit Pippi durch die Villa Kunterbunt gezogen oder mit Michel in der Speisekammer gesessen hat, hat in diesem Stück nicht nur eine Autorin wiederfinden – sondern vielleicht auch einen Teil seiner selbst. Denn am Ende stehen sie alle da, diese Figuren: „So oder so ähnlich fängt es manchmal an.“